Kommt „sudetendeutsch“ aus der Mode?

In der Sudetendeutschen Jugend hat sich ein neuer Verein gegründet

Von Ralf Pasch | LandesZeitung Prag, 3-4 / 2014

Ralf PaschIn der Sudetendeutschen Jugend (SdJ), Nachwuchsorganisation der Sudetendeutschen Landsmannschaft, kann  sich offenbar  nicht mehr  jeder  mit  den  traditionellen Begriffen   und   Symbolen   identifizieren.   Das zeigt die Gründung des Vereins „Mit Ohne Grenzen“ (MOG), der aus dem SdJ-Bezirk Niederbayern-Oberpfalz hervorging und inzwischen 40 Mitglieder hat, darunter fünf Tschechen. Die Vereinsgründung ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Identität des Nachwuchses in den sudetendeutschen Organisationen der Bundesrepublik wandelt. Neben dem allmählichen Aussterben der „Erlebnisgeneration“ mag ein weiterer Grund dafür sein, dass es außer in der SdJ zum Beispiel auch in der „Jungen Aktion“, dem Jugendverband der katholisch geprägten Ackermann-Gemeinde, immer mehr Mitglieder ohne so genannten Vertriebenenhintergrund gibt.

Die traditionelle politische Erklärung der SdJ beim Sudetendeutschen Tag im vergangenen Jahr war von diesem Nachdenken über die eigene Rolle geprägt:

Die SdJ von heute ist weder Erlebnis- noch Bekenntnisgeneration. Wir sind die Erbengeneration, der es obliegt, das mitteleuropäische Erbe nicht zu bewahren und zu verwalten, sondern zu gestalten.

Schon in ihrer Erklärung zum 60. Gründungsjubiläum im Jahre 2010 hatte die SdJ klare Worte gewählt:

„Eigentumsfragen dürfen heute keinen Einfluss mehr auf die Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen haben“, stand dort. Zudem stellen sich die SdJler die Aufgabe, „an der Aufarbeitung deutscher Schuld mitzuwirken“.

Buchstäblich sichtbar wurde die Suche nach neuen Wegen in einer Kunstaktion am SdJ-Stand beim sudetendeutschen Pfingsttreffen 2013. Rund um den Stand waren mit weißer Farbe Worte und ganze Sätze auf den Boden geschrieben worden. „Hassliebe“, „Mein Thema? Euer Thema?“ oder „Nie wieder Nationalismus, nie wieder Vertreibung, nie wieder Krieg!“ war dort zu lesen. Die SdJler stellten sich damit die Frage, was ihre alljährliche Teilnahme am Sudetendeutschen Tag für sie bedeutet, was dies mit jedem Einzelnen macht, was es für die eigene Identität bedeutet.

Die Gründung des neuen Vereins MOG mag ein Versuch sein, Antworten auf solche Fragen zu finden. In dem Verein sammeln sich vor allem die Organisatoren des Zeltlagers in Gaisthal, in dem seit der Gründung Treffen der SdJ stattfinden und wohin seit dem Fall des Eisernen Vorhangs auch tschechische Jugendliche kommen. Inzwischen gibt es mit Sojka einen tschechischen Partnerverband. MOG-Vorsitzender Tobias Endrich sagt, dass einige SdJ- Mitglieder in seinem Umfeld sich nicht mehr damit hätten abfinden wollen, sich als „sudetendeutsch“ bezeichnen zu müssen, um deutsch-tschechische Jugendarbeit zu betreiben. Die Vereinsgründung soll „inhaltlich ein Zeichen setzen“, dass die grenzüber- schreitende Jugendarbeit auf eigenen Beinen stehen kann. Gleichwohl will der neue Verein weiterhin die Zusammenarbeit mit der SdJ pflegen. Laut Endres gibt es parallel Mitgliedschaften in der SdJ und dem neuen Verein.

Auch SdJ-Bundesvorsitzender Peter Paul Polierer ist Mitglied bei MOG geworden, er sieht in dem Verein wie seine Vorstandskollegin und bayerische SdJ-Landesvorsitzende Kataharina Ortlepp (siehe Interview unten) keine Gefahr, sondern eine Chance. Die Gründung sei ein Beweis dafür, dass „die Arbeit in der deutsch-tschechischen Jugendarbeit, die die SdJ seit dem Fall des Eisernen Vorhangs betreibt, ihre Früchte trägt“. Ziel des Lagers in Gaisthal sei „die Versöhnung und die Partnerschaft mit dem tschechischen Volk“. Es wäre „einfältig“, so Polierer, diese Arbeit ausschließlich im sudetendeutschen Kontext zu sehen. Der SdJ-Vorsitzende lehnt es dann auch ab, sich als „sudetendeutsch“ zu bezeichnen. Stattdessen sieht er sich als „Europäer niederbayerischer Heimat und böhmisch-mährischer Abkunft“.

Der Bundesvorsitzende der SL, Franz Pany, versucht, der Neugründung ebenfalls etwas Positives abzugewinnen, er sieht in dem neuen Verein eine „Erweiterung der vorbildlichen grenzübergreifenden Jugendarbeit auch über die sudetendeutsche Volksgruppe hinaus“. Grundsätzlich sei jede Aktivität zu begrüßen, die sich auf ein verbindendes Miteinander der jungen Generation sowie deren Austausch auf allen Gebieten erstreckt.

Freilich scheinen die aktuellen Entwicklungen in der SdJ mehr zu sein als nur eine Intensivierung der deutsch-tschechischen Kontakte. Vorsitzender Polierer spricht von einer „Strukturreform“, die in dem nach eigenen Angaben 5.000 Mitglieder zählenden Verband aktuell im Gange sei und die er notwendig findet, weil sich in den über 60 Jahren seit der Gründung vieles verändert habe. Das wird außer an der Rhetorik auch an der Symbolik deutlich: Den Adler der Landsmannschaft ersetzte die SdJ schon vor einiger Zeit in ihrem Logo durch einen Vogel, der von der deutschen und der tschechischen Fahne beflügelt wird.

Katharina OrtleppKeine Spaltung, sondern eine Chance

Interview von Ralf Pasch mit der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Sudetendeutschen Jugend (SdJ) und bayerischen Landesvorsitzenden der SdJ, Katharina Ortlepp

LZ: Frau Ortlepp, wie bewerten Sie die Gründung der neuen Gruppe „Mit Ohne Grenzen“ (MOG), ist das eine Spaltung der SdJ?

Wir sehen die Gründung des Vereins „Mit Ohne Grenzen“ nicht als Spaltung, sondern als Erweiterung unserer Arbeit über den sudetendeutschen Kontext hinaus. Es gibt viele Gründe, deutsch-tschechische Jugendarbeit zu machen. Ein sudetendeutscher Hintergrund ist ein sehr guter Grund, aber natürlich nicht der einzige. Wir arbeiten sehr eng mit dem neuen Verein zusammen: im Rahmen unsers Dachverbandes, der djo – Deutsche Jugend in Europa Landesverband Bayern, durch das Kooperationsabkommen zwischen der Sudetendeutschen Jugend und Mit Ohne Grenzen und natürlich auch inhaltlich. Für mich ist das deutsch-tschechische Zeltlager in Gaisthal nach wie vor das beste Zeltlager der Welt, ich fahre so oft ich es schaffe, als Betreuerin dorthin. Deshalb war ich bei der Gründung des Vereins im August dabei und wurde dort Mitglied. Da wir die Gründung als Erweiterung sehen, ist sie für uns kein Problem, sondern die Möglichkeit, aus ganz anderen Bereichen neue Mitglieder zu gewinnen. Vielleicht kann ja auch die Landsmannschaft davon profitieren, wenn wir unsere Arbeit auf eine breitere Basis stellen.

LZ: Die Gründer der Gruppe gaben als einen Grund für den neuen Namen an, dass einige Mitglieder in der SdJ mit dem Begriff „sudetendeutsch“ nichts mehr anfangen können, erleben Sie das auch so?

Natürlich hat die Generation der heute Aktiven eine andere Selbstwahrnehmung als die vorherigen Generationen. Die Enkelgeneration sieht die sudetendeutsche Herkunft ihrer Vorfahren als Teil ihrer Identität, was aber nicht automatisch heißt, dass sich unsere Mitglieder als junge Sudetendeutsche sehen. Diese Zuschreibung erfolgt vielmehr von außen und ist oft nicht ganz richtig, vor allem da wir mittlerweile auch viele Mitglieder ohne sudetendeutschen Hintergrund haben – mich zum Beispiel. Entscheidend sind für uns die Werte, die aufgrund unserer Verbandshistorie in der SdJ gelebt werden. Auch wenn sich der Zugang dazu geändert hat, geht es weiterhin um Völkerverständigung, Kulturerhalt- und Weiterentwicklung sowie die Arbeit an einem geeinten Europa.

LZ: Erwarten Sie, dass sich weitere solcher Gruppen wie MOG gründen? Wird sich die SdJ irgendwann fragen müssen, ob sie weiterhin gebraucht wird? Ist vielleicht eine neue Organisationsform nötig?

Nein, das erwarten wir nicht. Die Mehrzahl der SdJ-Mitglieder engagiert sich innerhalb der Kulturgruppen, sie haben einen anderen Zugang zur sudetendeutschen Thematik und identifizieren sich stärker damit. Allerdings überlegen wir tatsächlich, wie wir die Sudetendeutsche Jugend organisatorisch neu aufstellen können. Die rege Beteiligung der Mitglieder und die vielen Ideen, die sie dafür haben, zeigen uns, dass die SdJ sehr wohl noch gebraucht wird.