Von Jitka Mládková | Tschechischer Rundfunk 7, Radio Prag, 10. September 2004
Die nordböhmische Stadt Žatec|Saaz, in der die tschechische, die deutsche und auch die jüdische Kultur Jahrhunderte lang einander beeinflussten, feiert dieser Tage 1000 Jahre ihrer Existenz. Aus diesem Anlass fand am Freitagvormittag in den historischen Räumlichkeiten des tschechischen Senats im Waldsteinpalais ein Seminar statt, bei dem sich tschechische und deutsche Historiker über verschiedene Themen der tschechisch und deutsch geprägten Geschichte von Zatec austauschten. Über die Bedeutung des Seminars wie auch über die Stadt selbst unterhielt sich vor Ort Jitka Mladkova mit seinem Schirmherrn, dem Senatsvorsitzenden Petr Pithart.
Wie archäologische und insgesamt historische Forschungen der jüngsten Zeit andeuten, scheint Žatec|Saaz eigentlich älter als tausend Jahre zu sein. Die Grundrisse einer fürstlichen Residenz und einer Kirche, die bei Ausgrabungen erst im Vorjahr entdeckt wurden, deuten auf die Existenz dieser Stadt bereits um die Mitte des 10.Jahrunderts hin. Das genaue Gründungsjahr, geschweige denn der genaue Gründungstag, sind unbekannt, doch irgendwann muss man beginnen, die Geschichte der Stadt zu datieren, sagte Petr Šimáček vom Organisationsausschuss für die Jubiläumsfeierlichkeiten bei der Seminareröffnung. Daran, dass es Žatec|Saaz seit mindestens 1000 Jahren gibt, muss jedenfalls niemand zweifeln.
Žatec sei eine starke Stadt mit einer starken Geschichte, sagte Petr Pithart in seinem Grußwort. Um eine Erläuterung, wie er das gemeint habe, bat ich ihn während einer Pause:
Starke Stadt in dem Sinne, dass die Konflikte keinen Halt vor Žatec machten und die Stadt nicht am Rande der Geschichte stehen ließen. In Žatec lebten neben- und miteinander Tschechen, Deutsche und Juden, oder Deutsche, Tschechen und Juden − die Reihenfolge ihrer Aufzählung ist nicht wichtig. Dadurch gehört Žatec zu solch »starken« Orten, wo Konflikte schneller entstehen als dort, wo die Bevölkerung homogen ist.
Für den Senatsvorsitzenden ist die tausendjährige Stadt auch fest verbunden mit der Person Johannes von Saaz, dem die Dichtung „Ackermann aus Böhmen“ zugeschrieben wird. Bei der Lektüre des berühmten Streitgesprächs über den Sinn von Tod und Leben sei er durch die Gedankentiefe und Aussagekraft dieses literarischen Werkes getroffen worden. Der Tod, so Pithart wörtlich, sei auch eine Art Vergessen, dem auch das Historikerseminar entgegenwirken soll. Was ist also erforderlich, um die eigene Geschichte bzw. die gemeinsame tschechisch-deutsche Geschichte nicht zu vergessen? Auf diese Frage antwortete Petr Pitthart wie folgt:
Genau, der Tod bedeutet auch das Vergessen. In den letzten Jahren macht mir aber die Tatsache Mut, dass es so viele Menschen und so viele organisierte Bemühungen gibt, die gegen dieses Vergessen wirken. Die gesamte Massenkultur ist ein einziges großes raffiniertes Vergessen. Der so genannte Mainstream gibt sich große Mühe, den Menschen Zerstreuung statt Konzentration auf etwas zu ermöglichen. Zum Glück gibt es viele wertvolle Menschen, die dagegen arbeiten. Gestern bin ich mit einigen deutschen Europaparlamentariern zusammengekommen, und gemeinsam haben wir über ein Projekt unter dem Titel „Erinnern als Aufgabe“ gesprochen. Das Vergessen ist nämlich ein Prozess, der keine besondere Mühe erfordert und dem die Massenkultur entgegenkommt. Das Erinnern hingegen bedeutet, gegen den Mainstream zu gehen, und das ist nicht leicht. Dieses Seminar zeigt, dass es auch in Žatec Leute gibt, die dies als eine Aufgabe betrachten.
Die Jubiläumsfeierlichkeiten von Žatec, zu deren Auftakt das Prager Historikerseminar stattfand, werden am Samstag und Sonntag mit einem reichhaltigen Kulturprogramm direkt in dieser Stadt fortgesetzt. Als Gäste werden zahlreiche ehemalige Saazer erwartet, die das Schicksal in mehrere Länder der Welt verschlagen hat.