Von Otokar Löbl | Mladá Fronta DNES, 16. Dezember 2010
„Lasst frische Luft herein! Habt keine Angst! Das, liebe Landsleute, ist ein ganz entscheidendes Wort. Habt keine Angst. Wir wollen die Fenster aufreißen, wir wollen frische Luft herein lassen, wir wollen einen festen und realistischen Blick auf eine bessere Zukunft richten.“ Das waren die Schlussworte von Bernd Posselt auf dem diesjährigen Sudetendeutschen Tag in Augsburg.
Dies kling gut, hat aber einen Fehler. Wenn man die Fenster öffnet, kommt zwar frischer Luft herein, aber es kommt auch zu einer Luftzirkulation und die verbrauchte Luft entschwindet hinaus.
Herr Posselt sollte in Prag erklären, wie er sich die Wiedergewinnung der Heimat und die Entschädigungszahlungen für die „Sudetendeutschen“ vorstellt, die ein Pfeiler in der Satzung der Landsmannschaft sind, derer Sprecher er ist.
Die Sudetendeutschen sind keine Ethnie, sondern eine politische Schicksalsgemeinschaft der vertriebenen Deutschen. Der Begriff „sudetendeutsch“ entstand anfangs des 20. Jahrhunderts, hat also keine älteren historischen Wurzeln. Heute verlangt die „Sudetendeutsche Landsmannschaft“ von den Tschechen eine Aufarbeitung der Vergangenheit; sie sollen ihre Fehler und Verbrechen zugeben und für diese Taten die Verantwortung übernehmen.
Wo aber bleibt die eigene Reflexion? Darüber, dass in Dux, also im Grenzgebiet der damaligen Tschechoslowakei, schon am 16. November 1919 − also noch bevor der erfolglose Maler von Ansichtskarten in München seine NSDAP gegründet hat − eine extrem nationalistische und antisemitische Arbeiterpartei namens DSNAP entstand. Dass sich führende Funktionäre der Sudetendeutschen Partei (SdP) bei Hitler für ihre gemäßigte Forderung vor dem Krieg nach „Autonomie“ entschuldigten − diese sei nur aus taktischen Erwägungen gestellt worden, da die Partei sonst verboten worden wären. Dass sie sich bei Heydrich über eine angebliche Bevorzugung der Tschechen im Protektorat beschwerten, während die Sudetendeutschen doch nur Pflichten hätten. Dass sie in ihren Volkstumskampf radikaler gegen die Tschechen vorgehen wollten als die Reichsdeutschen und deshalb nicht mit Heydrichs Umvolkungsplan einverstanden waren. Dass sie eine schnellere Enteignung der Tschechen verlangten als Belohnung für ihren „Volkstumskampf“, der das Münchner Abkommen erst ermöglicht habe und auch die kampflose Schaffung des Protektorats Böhmen und Mähren. Dass nach dem Krieg in der SL-Führung nicht nur Leute saßen, die einfache NSDAP-Mitglieder waren, sondern Leute, die im Sudetengau und im Protektorat führende Funktionen inne hatten und fanatische Anhänger des deutschen Nationalsozialismus waren.
Seit dem Jahre 1938 war das Sudentenland als Verwaltungsgebiet „Sudetengau“ ein Teil des nationalsozialistischen Hitler-Reiches. Die Sudetendeutschen waren den Deutschen im „Reich“ gleichgestellt mit Rechten und Pflichten. Also waren sie auch verantwortlich für die Verbrechen an der tschechischen und jüdischen Bevölkerung hier und in anderen besetzten Ländern. Von dieser Verantwortung und Mitschuld der „Sudetendeutschen“ findet sich aber kein Wort im Programm der SL oder der Erklärungen aus München.
Die Zuweisung einer Kollektivschuld einer ganzen Nation ist unzulässig. Aber es gibt eine kollektive Verantwortung und Scham für das, was im Namen einer Nation getan wurde. Dies gilt für Tschechen, Deutsche und auch für „Sudetendeutsche“.
Die Bitte um Vergebung für die Mitschuld der Sudetendeutschen an den Verbrechen des Nationalsozialismus in der Tschechischen Republik aus den Munde des Sprechers der SL und die Kranzniederlegung in Lidice waren ein symbolischer Schritt zu einer wirklichen Versöhnung. Nun müssen Taten folgen. Dies wird keine leichte Aufgabe für ihn sein. Aber mit der Hilfe eines starken, zuverlässigen und ehrlichen Partner, in der Person von Horst Seehofer als Ministerpräsidenten des Landes Bayern, dem Schirmherrn der vertriebenen Deutschen aus Böhmen, Mähren und Schlesien, könnte es ihm gelingen, dass die Fenster für immer geöffnet bleiben.