Vernissage der Ausstellung der „Ackermann und der Tod an der Westböhmischen Universität
Am 2. Oktober 2023 hatte ich die Ehre die Ausstellung in der Eingangshalle der Universitätsbibliothek Pilsen-Bory für die Philosophische Fakultät der UNI vorzustellen.
Die Vernissage wurde durch zwei mit Zither begleitete böhmische Volkslieder (Soldatenlos/Ztráta syna vojáka und Trennungsschmerz/Hoře z odloučeni) eröffnet, dargeboten von den Egerländer Målaboum, Richard und Vojtěch Šulko, welche die musikalische Umrahmung der Veranstaltung gestalteten. Dem schlossen sich Grußworte von Dr. David Šanc, Dekan der Philosophischen Fakultät der Westböhmischen Universität an, die aufgrund eines Auslandsaufenthaltes des Verfassers in dessen Abwesenheit von Dr. Zdeněk Vávra, Leiter des veranstaltenden Lehrstuhls für Germanistik und Slawistik vorgetragen wurden. Die Grußworte strichen die große Bedeutung einer Ausstellung über ein einzigartiges literarisches Werk des Spätmittelalters, das Deutsche und Tschechen kulturhistorisch im Geiste des Humanismus verbinde, für die deutsch-tschechische Nachbarschaft heraus.
Den Hauptteil der Vernissage machte der folgende Einführungsvortrag von Otokar Löbl aus, der als Vorsitzender des Fördervereins der Stadt Saaz/Žatec neben Andreas Kalckhoff als Mitautor und Initiator maßgeblich an der Konzeption und Realisierung der Wanderausstellung „Der Ackermann und der Tod. Johannes von Saaz und seine Zeit“ beteiligt war, die ab sofort vom 3. bis 27. Oktober 2023 in der Eingangshalle der Universitätsbibliothek Pilsen – Bory besucht werden kann. Unter dem Titel „Der Ackermann und der Tod“ gab der Referent einen konzisen Einblick in „die Motivation und Entstehung der Ausstellung im böhmischen Kontext“.
Nach einleitenden Worten zur Geschichte des Fördervereins stellte der Referent die Frage in den Raum, was Geschichte sei, und beantwortete sie mit einem Zitat Johann Gustav Droysens, der festgestellt habe, dass nicht die Vergangenheiten die Geschichte bildeten, „sondern das Wissen des menschlichen Geistes von ihnen.“ Die Notwendigkeit, Geschichte immer wieder mit neuen Erkenntnissen neu beleuchten zu müssen, illustrierte er mit einer Aussage František Šmahels: Geschichte werde immer wieder neu geschrieben, dürfe sich als Wissenschaft aber nicht durch nationale und religiöse Rücksichtsnahmen binden, auch wenn sie mit ihren Erkenntnissen manchmal verletze.
Folgend stand die Geschichte der Stadt Saaz, besonders ihre Blütezeit im 13. und 14. Jh. im Mittelpunkt, in der Johannes Henslin, später als Johannes von Saaz bezeichnet, der Schöpfer des „Ackermanns aus Böhmen“, im nahegelegenen Schüttwa (Šitboř) zur Welt gekommen sei. Ziel der Ausstellung sei es aber nicht nur, die Persönlichkeit des Autors vorzustellen, sondern auch, seine Zeit und ihre kulturhistorische Dimension aufzuarbeiten. Die Bedeutung des „Ackermanns“ läge in seiner Stellung als erste philosophische Dichtung des europäischen Humanismus, als erster frühneuhochdeutscher literarischer Text und besonders in seinem modernen Menschenbild: Das ursprünglich nur „Ackermannbüchlein“ genannte Werk behandle im Kern nämlich den Menschen, wobei der Tod, Dialogpartner des Ackermanns, der den arbeitenden, leidenden Menschen schlechthin verkörpere, die Rolle eines „Sparringspartners“ im Streit um die Würde des Menschen einnehme – als „Gegenbild“, als Negation irdischer Existenz.
Im folgenden Abschnitt stellte der Vortragende Überlegungen zur Entstehungsmotivation des „Ackermanns“ an. Johannes von Saaz habe als privilegierter Bürger und Handelsmann gute Kontakte zur jüdischen Gemeinde seiner Stadt und über diese vielleicht auch zur prominenten Prager Judengemeinde gehabt. Indizien für einen jüdischen Auftraggeber ließen sich u. a. in der von Albrecht Hausmann bemerkten Tatsache ausmachen, dass sich im Werk keine Bezüge zum Neuen Testament fänden und Christus (nicht einmal im Zusammenhang mit der Jahresangabe) an keiner Stelle des Textes Erwähnung finde. Auch wenn das Werk auf Deutsch verfasst wurde und damit von den Bildungsansprüchen einer beträchtlichen deutschsprachigen Gemeinde in Saaz und Umgebung zeuge, so seien der Rat und die Bürgermeister der Stadt doch deutsch-tschechisch gemischt bzw. zweisprachig gewesen – Sprache sei hier mithin kein Zeichen nationaler Identifikation, sondern ein Medium der Kommunikation gewesen, und so habe der „Ackermann“ auch für Tschechen und Deutsche gleichermaßen Bedeutung gehabt. Erst die deutschnationale Propaganda des frühen 20. Jh. habe Johannes von Saaz vereinnahmt und politisch missbraucht und ursprünglich religiöse und soziale Gegensätze (des Spätmittelalters) zu nationalen Konflikten (des 20. Jh.) umgedeutet.
Zum Abschluss seiner Ausführungen gab der Referent noch einen kurzen Überblick über die bisherigen Stationen der Wanderausstellung: in Frankfurt a. Main, in Saaz/Žatec, Praha/Prag, Podersam/ Podbořany, Aussig/Ústi n. Labem, Hainburg/Hejnice und zuletzt in Karlsbad/Karlovy Vary. An diesen Standorten, wie auch jetzt in Pilsen, sehe er die Aufgabe der Ausstellung darin, den bedauerlicherweise langlebigen oder wiederkehrenden Klischees innerhalb der deutsch-tschechischen Beziehungen entgegenzuwirken, die nicht zuletzt auf Unkenntnis, Vorurteile und Fehlinterpretationen zurückzuführen seien. Nicht zuletzt solle sie auch den Beitrag Böhmens zur europäischen Kulturgeschichte dokumentieren, der weit mehr als nur seine Bierkultur ausmache.
Mit zwei weiteren böhmischen Volksliedern ( Unglückliche Ehe und Liebesgram) beschlossen Richard und Vojtěch Šulko den offiziellen Teil der Vernissage. Danach setzten sich die Gäste interessiert mit den auf den Ausstellungswänden dargebotenen Informationstexten und Bildern auseinander und kamen darüber ins Gespräch. Die einzelnen Abschnitte der Ausstellung behandelten Johannes von Saaz in seiner Rolle als Stadtnotar, Schulmeister und Humanist, die Stadt Saaz zu seinen Lebzeiten, das Werk „Der Ackermann aus Böhmen“, das Thema „Mensch und Tod im Mittelalter“, den Stand der Rhetorik, Bildung und Poesie um 1400, das Bild vom Menschen sowie die Würde des Menschen im Humanismus, Aspekte von Revolution und Glaube sowie den Ruhm und Nachruhm des Johannes von Saaz.
Anhand der lebhaften Diskussionen und Gespräche, zu welchen es im Anschluss an den Vortrag zwischen dem Referenten und einzelnen Gästen kam, kann man die Vernissage und Ausstellung als Erfolg bewerten. Nachträglicher Thematisierung der Vernissage in den Lehrveranstaltungen des Lehrstuhls für Germanistik und Slawistik in den folgenden Tagen und nicht zuletzt angesichts der beträchtlichen Anzahl von Besuchern der Veranstaltung wird bestimmt erfolgen. Ich danke insbesondere Herrn Dr. Boris Blahak, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Germanistik und Slawistik der Westböhmischen Universität, für die Organisation der Ausstellung in Pilsen.
Otokar Löbl
Impressionen der Vernissage der Ausstellung an der Westböhmischen Universität in Pilsen am 2. Oktober 2023. Foto: Dr. Boris Blahak