Von Uta Reiff | Rede zur Enthüllung der Gedenktafel für die unschuldigen Opfer von Postelberg am 3. Juni 2010. Die Rede wurde in Deutsch und Tschechisch vorgetragen.
Ich weise darauf hin, dass diese Rede meine eigene Meinung spiegelt. Sie gilt nicht für alle Sudetendeutschen. Ich glaube aber, dass viele der hier anwesenden Landsleute damit einverstanden sein werden.
Ich freue mich begrüßen zu dürfen Seine Exzellenz, den deutschen Botschafter, Johannes Haindl, Herrn Hýlak, Bürgermeister von Postelberg, Herrn Knoblauch, Bürgermeister von Saaz, Dr. Michal Pehr, Historiker, Herrn Libowic, Vorsteher der jüdischen Gemeinde Teplitz und die zahlreichen Vertreter der Medien.
Liebe Trauergäste,
ich begrüße Sie ausdrücklich als „Trauergäste“, denn dies ist ein Tag der Trauer, der Tag der Klage um unsere Toten. Nach 65 Jahren stehen wir nun endlich vor einer Gedenktafel, die zur Erinnerung an die deutschen Zivilisten angebracht wurde, die hier in Postelberg vor 65 Jahren auf schreckliche Weise umgebracht wurden. Das war im Mai und Juni 1945 nach dem Ende des Krieges. Der Beginn dieser Schreckenszeit war für die Deutschen aus Saaz der 3.Juni 1945, also heute auf den Tag genau vor 65 Jahren. Lassen Sie mich fragen: Wer waren die Menschen, die hier hingerichtet wurden? Die hier gefoltert und hingerichtet wurden waren keine Verbrecher, keine Mörder. es gab kein Gericht, keinen Prozess, kein Urteil. Sie wurden ermordet, weil sie Deutsche waren. Sudetendeutsche, die schon seit Jahrhunderten hier in diesem Land lebten. Dies war ihre Heimat!
In den furchtbaren Nachkriegswirren 1945 genügte es, Deutscher zu sein oder deutsch zu sprechen, um einfach erschossen zu werden. Die Mörder wurden ermittelt, aber nicht verfolgt, obwohl es bereits 1947 eine Untersuchungskommission des Prager Parlaments gab. Die Protokolle darüber sind seit 1992 frei zugänglich [1] und wurden auch übersetzt ins Deutsche. Die Schuldigen wurden verhört, aber nicht bestraft. Wir alle wissen, dass es dafür ein Freistellungsdekret gab und gibt, das – zu unserem Entsetzen – auch heute noch gültig ist.
Aber wir wollen hier nicht anklagen, wir wollen klagen. Wir wollen einer tiefen Traurigkeit Ausdruck geben, die seit 65 Jahren in uns ist. Wir hatten bisher keinen Platz zu trauern, keinen Platz, um Blumen und Kränze niederzulegen, hier an diesem Ort dieser furchtbaren Ereignisse. Deswegen möchte ich der Stadt Postelberg danken für diese Gedenkplatte in Deutsch und Tschechisch. Ich bedauere jedoch, dass aus der Inschrift nicht zu erkennen ist, dass es sich um deutsche Opfer handelt.
Viele aus der tschechischen und deutschen Bevölkerung wissen nicht, oder jedenfalls nicht genau, was sich in diesen Monaten Mai und Juni 1945 in Saaz und Umgebung und in Postelberg abgespielt hat.
Daher muss ich näher darauf eingehen, obwohl es mir schwer fällt, darüber zu sprechen, denn mein eigener Vater wurde hier ermordet, und mein älterer Bruder Hans -der hier auch anwesend ist – hat diese schrecklichen Tage knapp überlebt. Er war damals 16 Jahre alt. Er kam dann zur Zwangsarbeit ins Bergwerk nach Kladno und wurde dort fast zu Tode geschunden und geprügelt.
Die unschuldig Ermordeten aber haben keine Stimme mehr. Daher will ich ihnen meine Stimme geben, als die Tochter eines der Ermordeten: Mein Vater und mein Bruder gehörten zu den etwa 5000 deutschen Männern, die am 3. Juni 1945 auf dem Marktplatz in Saaz zusammengetrieben wurden und von dort nach Postelberg in die Kaserne. Am nächsten Tag und an den darauf folgenden Tagen gab es wilde Prügelorgien und wahllose Erschießungen. Auch fünf Jungen im Alter von circa 14 Jahren wurden erschossen, weil sie sich Äpfel von einem Baum geholt hatten. Am 7. und 8. Juni fanden die Massenerschießungen statt. Die Männer wurden in Gruppen von circa achtzig oder mehr Leuten eingeteilt und mussten zum Lewanitzer Fasanengarten marschieren. Dann hörte man Gewehrsalven, und die Wachen kamen allein zurück. Die meisten Überlebenden dieses Massakers kamen zur Zwangsarbeit in Arbeitslager. Im Herbst 1947 wurden 763 Leichen aus Massengräbern ausgegraben und in verschiedenen Krematorien verbrannt. Die restlichen Gräber wurden nicht geöffnet. Insgesamt wurden jedoch in jenen Tagen im Raum Saaz-Postelberg mindestens circa 2.000 deutsche Zivilisten erschossen.
Diese grauenhaften Taten von Postelberg und andere ähnliche Verletzungen der Menschlichkeit, begangen an unschuldigen Deutschen, wurden über Jahrzehnte in der tschechoslowakischen Republik verschwiegen und das aus ideologischen und politischen Gründen oder einfach auch aus Angst vor der Wahrheit.
Aber: Erfreulicherweise wurde in den letzten Jahren viel über diese grausamen Ereignisse in der Tschechischen Republik berichtet. Für diese Berichterstattung will ich vor allem vielen tschechischen Zeitungen und Medien, insbesondere den hier anwesenden, ausdrücklich danken. Sie haben damit auch dazu beigetragen, dass diese Erinnerungstafel hier angebracht wurde. Auch das tschechische und deutsche Fernsehen hat öfter darüber berichtet. Míroslav Bambušek, ein junger tschechischer Dramatiker, hat sich auch dieser Ereignisse angenommen und eine szenische Lesung und ein Theaterstück darüber geschrieben mit dem Titel: „Porta Apostolorum“ und dem Untertitel: „Ein grausames Spiel von Dingen, von denen lieber niemand etwas hören will“. Ihnen allen gilt unser Dank.
Die Verletzungen der Würde des Menschen, bis hin zum Mord, begannen aber nicht erst 1945. Während aller Kriege in der Geschichte, auch während des Zweiten Weltkriegs, wurden – in diesem Fall von der deutschen Besatzungsmacht – Kriegsverbrechen, vor allem Erschießungen, in den besetzten Staaten begangen, so auch in der Resttschechoslowakei nach der Besetzung durch die deutsche Armee im März 1939. Seit dem Jahr 1938 gehörte das Sudetenland zum Deutschen Reich, als „Reichsgau Sudetenland“. Damit waren die Sudetendeutschen den Deutschen im Reich mit allen Rechten und Pflichten und der Verantwortung für die Verbrechen in den besetzten Ländern, gleichgestellt.
Am Ende des Krieges kamen nicht nur die Rote Armee, sondern auch tschechische Armeeeinheiten in das Grenzgebiet mit dem Auftrag aus Prag, das Gebiet von Deutschen zu säubern. Wie war nun dort die Situation? Soweit es ihnen gelungen war, waren die Angehörigen der deutschen Besatzungsmacht verschwunden. Aber wir Sudetendeutschen waren da, wohin sollten wir auch gehen? Dieses Land war doch unsere Heimat! Der Hass vieler Tschechen war groß auf alles Deutsche und hat sich letztlich über uns, die wir greifbar waren, entladen. Die Rache trifft oft die, die gerade da sind, egal ob schuldig oder nicht. Man spricht nicht umsonst vom blinden Hass und von blinder Rache.
Ich muss hier aber sagen: Für die siebenjährige Zugehörigkeit zum Deutschen Reich haben wir Sudetendeutschen hart bezahlt mit der Vertreibung aus unserer Heimat und all den Grausamkeiten, denen wir rechtlos ausgeliefert waren, bis hin zum tausendfachen Mord an unseren Landsleuten.
Zur Schuldfrage möchte ich folgendes sagen: Es gibt keine kollektive Schuld. Kein Volk, keine Nation ist als Ganzes schuldig, daher kann man es nicht als Ganzes bestrafen. Es sind immer Einzelne oder Gruppen aus einem Volk, die Gräueltaten begehen, meist auf irgendeinen Befehl hin. Die Täter müssen gefunden und bestraft werden. Aber: Es gibt eine kollektive Verantwortung und kollektive Scham für das, was aus einem Volk heraus geschehen ist. Dies gilt für Tschechen und Deutsche und Sudetendeutsche.
Zum Schluss möchte ich sagen: Nur auf dem Boden der Wahrheit, auf beiden Seiten, kann man die Verbitterung abbauen, ist Versöhnung und eine gemeinsame Zukunft möglich. Wir wollen eine Zukunft ohne Rachegedanken, ohne Vergeltung, wir wollen eine friedliche, gedeihliche Zukunft im gemeinsamen Haus Europa. Wir wollen in Frieden miteinander leben und nicht aufrechnen, wer, was, wann und wem zugefügt hat. Das stiftet nur neuen Unfrieden. Es ist jedoch notwendig, die vergangenen Geschehnisse anzuschauen und zu benennen. Man kann sie nicht einfach ignorieren oder leugnen, aber sie sollen die Zukunft nicht verdunkeln. Der Kreislauf des Hasses und der Gewalt muss endlich durchbrochen und beendet werden. Gerade hier, an diesem Ort, möchte ich Ihnen allen zurufen: Jeder Misshandelte, jeder Ermordete, egal auf welcher Seite, ist einer zu viel!
So wollen wir jetzt unserer Toten gedenken und wollen uns in Ehrfurcht vor ihnen verneigen. Ich bitte um einige Minuten der Stille.