Von Peter Wagner
Preisgekrönter Beitrag zum 3. Literaturwettbewerb 2003, Kategorie Prosa/ Erwachsene, des tschechischen “Vereins der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz”, des deutschen “Kulturkreises Saaz e. V. Roth” und der Stadt Žatec.
Gestern
Ich bin in einer böhmischen Kleinstadt – Saaz|Žatec – aufgewachsen. Als Kind habe ich es realistisch nicht wahrgenommen, was um mich geschieht, auch als ein Soldat mir seine Pistole an meinen Kopf hielt und von meiner Mutter „Uri, Guld“ forderte. Aber ich sah auch, als wir bei meiner Tante, gegenüber der Stadtpfarrkirche, Unterschlupf fanden, dass die gleichen Soldaten, als Sie an dieser Kirche vorbeigingen, sich bekreuzigten. Als Kind konnte ich nicht verstehen, dass mein Vater und mein Bruder eingesperrt wurden und mein Vater nicht mehr aus Postelberg zurückkam. Auch meine Mutter und ich wurden in der halbfertigen Kaserne am Rande der Stadt eingesperrt. Man sagte mir, weil ich ein Deutscher bin, sind wir hier und ich musste bis zur Ausweisung nach Bayern eine weiße Armbinde tragen mit einem „N“ darauf. Aber mein Cousin durfte bleiben, weil seine Frau eine Slowakin gewesen ist. In meinem kindlichen Irrglauben war ich fest entschlossen, auch eine Slowakin zur Frau zu nehmen, und meinte alle Schwierigkeiten seien damit gelöst. Als ich 1946 über die Grenze kam, habe ich die Armbinde weggeworfen.
Sobald alles offiziell wurde, spürte ich die Bedrohung. Die einzelnen Menschen, denen ich begegnete, waren zum Großteil nett zu mir. Sie stöhnten nur, wie grausam diese Zeit ist und Sie verstünden diese Zeit nicht mehr.
Es ist eine schlechte Zeit gewesen, aber ich habe Menschen getroffen, die gut zu mir gewesen sind.
Heute
Ich wohne in Bayern, hier bin ich zuhause, jedoch daheim bin ich noch immer in Saaz|Žatec. Nach meiner Meinung ist Heimat dort, wo man geboren ist. Ich fühle mich wohl und habe keine Slowakin geheiratet und habe auch keine Schwierigkeiten. Trotzdem komme ich gerne wieder in meine Geburtstadt zurück, auch wenn ich traurig bin. Wenn ich sehe, wie die Stadt aus Ihren Problemen nicht heraus kommt, wie Teile der Altstadt regelrecht zerfallen und viele Menschen Angst haben, mit Deutschen zu sprechen. Vielleicht schämt man sich, was da geschehen ist, obwohl der einzelne wahrscheinlich gar nichts dafür kann.
Die jedoch, die miteinander sprechen, werden von ihren eigenen Leuten mit Misstrauen und Unverständnis behandelt. Wir sollten ohne Emotionen über alles miteinander reden können, auch über die Geschichte vor 1947. Mir fällt dabei eine Geschichte ein, die mich besonders beeindruckt hat. Ich saß mit meinem Freund im Gasthaus. Am Tisch saß ebenfalls ein junger Gast. Mein Freund hat ihm erzählt, ich sei auch in dieser Stadt geboren, obwohl ich kein Wort tschechisch spreche. Das konnte und wollte er nicht glauben. Was ihn dann noch völlig aus der Fassung brachte, war meine tschechische Geburtsurkunde, die ich dabei hatte.
Wenn es Menschen gibt, die bei den Nazi-Schergen im KZ gesessen sind und trotzdem zur Versöhnung mit den ehemaligen Bewohnern aufgerufen haben, so kann ich vor diesen Menschen nur meinen Hut ziehen und beide Seiten dazu aufrufen, es ihm gleich zu tun.
Es ist noch keine besonders gute Zeit, und ich habe Menschen getroffen, die unglücklich sind.
Morgen
So wie es gestern und heute ist, kann es morgen nicht bleiben. In einem gemeinsamen Haus Europa sollten wir schon miteinander reden und zusammenarbeiten, um unsere Stadt wieder aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Diese Stadt hat etwas Besseres verdient für die nächsten 1000 Jahre als so zu sein, wie sie heute ist.
Es wird eine gute Zeit sein und wir werden Menschen treffen, die zufrieden und glücklich sind.