Von Otokar Löbl | Ansprache zur Ausstellung im Regionalmuseum Saaz von 2. November bis 31. Dezember 2010
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich heiße sie herzlich willkommen zur Ausstellung „Die Juden von Saaz“. Erlauben Sie mir bitte, einige kurze Erläuterungen zur Entstehung und Bestimmung dieser Ausstellung.
Ich bin hier in Saaz in den sechziger Jahren geboren und seit meiner Umsiedlung nach Deutschland im Jahre 1970, die nicht nur familiäre Gründe hatte, habe ich überwiegend gute Erinnerungen an meine Heimatstadt. Ich selbst betrachte mich als einen Patriot dieser schönen Stadt.
Jeder Mensch befasst sich ab einem bestimmten Alter mit seiner Herkunft und seinen Wurzeln. Das Schicksal meiner Eltern, genauso wie das des überwiegenden Teils der Bewohner dieser Stadt, war nicht einfach, sondern oft bewegt. Zwei Kriege und die anschließende kommunistische Diktatur hinterließen ihre Spuren. Ein Teil davon bekommt man als junger Mensch mit, aber viele Gespräche mit den Eltern gab es darüber eigentlich nicht. Die Gründe dafür sind von Familie zu Familie unterschiedlich.
Die Wurzeln meiner Mutter waren relativ einfach zu verfolgen. Ihre Verwandtschaft wurde aus dem von den Amerikanern besetzten Teil der Sudeten ziemlich undramatisch vertrieben. Problematisch wurde es mit den Vorfahren meines Vaters. Außer einer Schwester und zwei Cousins, die Europa 1937 rechtzeitig verlassen hatten, war von seiner Familie keine Spur mehr zu finden. Mein Vater starb, als ich 17 war; so erfuhr ich nicht viel von ihm, was mir heute sehr leid tut. Meine Großmutter ist hier in Saaz auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.
Aus persönlichen Gründen fing ich an, nachzuforschen, und vor mir öffnete sich eine zwar vergangene, aber doch neue Welt. Ich betrachte es als meine Pflicht, diese Erkenntnisse mit Ihnen zu teilen.
Denn wie ein bedeutender deutscher Historiker Johannes Droysen sagte: „Nicht die Vergangenheiten sind die Geschichte, sondern das Wissen des menschlichen Geistes von ihnen. Und dies Wissen ist die einzige Form, in der die Vergangenheiten unvergangen sind, in der die Vergangenheiten als in sich zusammenhängend und bedeutsam, als Geschichte erscheinen.“ Die Geschichte muss daher ständig ergänzt und manchmal sogar neu geschrieben werden. Am besten drückte dies Prof. PhDr. František Šmahel aus: „Die Geschichte wird immer neu geschrieben, denn sonst würde sie für uns als Bürger ihren Sinn verlieren. Es kann nämlich sein, ich will es nicht heraufbeschwören, dass man in der Geschichte und ihren Gestalten wieder seine Stärke sucht und dies ohne Rücksicht auf den Fortschritt der europäischen Integration. Die Geschichte als Wissenschaft sollte sich aber nicht durch nationale und religiöse Rücksichtnahmen binden. Auch wenn sie mit ihren Erkenntnissen manchmal verletzt.“
Aus diesem Grund habe ich mich zusammen mit unserem Verein und allen, die sich an dem Projekt „Die Juden von Saaz“ beteiligen, entschlossen, diese Ausstellung durchzuführen. Die Nachforschungen waren nicht einfach. Die meisten Juden aus dem Saazer Land leben entweder nicht mehr – denn sie überlebten den Holocaust nicht – oder sind in der ganzen Welt verstreut. Dasselbe gilt für die Urkunden und schriftliche Nachweise, die sich in unterschiedlichen Archiven befinden und noch nie gesichtet wurden.
Deswegen besuchten wir im Frühjahr dieses Jahres Saazer Juden, die in Israel leben, und befragten sie zu ihren Erinnerungen an Saaz. Ein Teil dieser Gespräche wird in dieser Ausstellung als Video vorgeführt. Aus dem umfangreichen Filmmaterial möchten wir einen Dokumentarfilm erstellen. Er soll auch die Luftbrücke Saaz–Tel Nof (Haifa) im Jahre 1948 zum Thema haben. Auch zu diesem Thema ist eine Ausstellung geplant.
Dank vieler hilfsbereiter Menschen, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde, ist es uns gelungen, genügend Material für diese Ausstellung zusammenzubringen. Ich versuchte, mich auf die Meilensteine der Geschichte der Juden in Saaz zu konzentrieren. Über manche Schicksale bekam ich auch fotografisches und urkundliches Material. Dies alles sind nur Splitter, aber ich hoffe dennoch, dass sie Ihnen das Leben der Saazer Juden näher bringen können.
Die Ausstellung ist aber nicht nur auf die Vergangenheit gerichtet. Ihre Aufgabe ist auch, dass sie eine Hilfe zur Verteidigung und Bewusstseinsbildung gegen den immer noch vorhandenen latenten Antisemitismus wird. Dieser entsteht vor allen durch Unkenntnis, Vorurteile und durch die falsche Auslegung der sogenannten „Auserwähltheit des jüdischen Volkes. Diese bedeuten aber in der jüdischen Religion an erster Linie die Verantwortungsübernahme für das eigene Leben und für die Handlungen gegenüber den Mitmenschen und Gott.
Der verbale Antisemitismus der Deutschen transformierte wie in Deutschland und Österreich, so auch in Saaz auf furchtbare Weise. Erst wurden die Juden aus der Gesellschaft ausgeschlossen und entrechtet, dann wurden sie ihrer materiellen Existenz beraubt und schließlich physisch vernichtet. Wir sollten uns immer das Bibelzitat vor den Augen halten: „Am Anfang war das Wort …“
Der radikale deutsche Antisemitismus hat seine Wurzel in Wien, wo Georg Ritter von Schönerer den Spruch prägte: „Religion ist einerlei, Rasse ist die Schweinerei“. In den Sudeten wurde schon 1919 eine radikale „Deutsche nationalsozialistische Arbeiterpartei“ (DNSAP) gegründet. Und dies schon Monate bevor der erfolgslose Maler von schlechten Ansichtskarten die NSDAP in München mitgründete. Diese sudetendeutsche Partei verfolgte in ihrem Programm eine klare und strenge antijüdische Richtung.
Der Antisemitismus war und ist kein Monopol der Deutschen. Er war auch in der ersten Tschechoslowakischen Republik verbreitet, wenn auch unter dem Tarnmantel der Vorwürfe, dass sich die Juden zur deutschen Kultur bekannten und überwiegend die deutsche Sprache benutzen. Letzteres wurde ihnen am meisten vorgehalten.
Ich hoffe, dass diese Ausstellung ein weiterer Schritt auf unserem „Saazer Weg“ ist, dass sie hilfreich ist für die Überwindung vieler Vorurteile gegenüber den Juden und einen Beitrag zur weiteren Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft in Saaz leistet.
Das nächste Ziel unseres Verein ist, in Zusammenarbeit mit dem Regionalmuseums und allen Bürgern dieser Stadt an einem eigene Standort eine ständige Ausstellung zur deutschen und jüdischen Geschichte der Stadt Saaz zu installieren. Wir hoffen, dass uns dies bis zum Jahre 2015 gelingt, in der die Stadt ihr 750jähriges Jubiläum der Erteilung der Stadtrechte durch König Otokar II. begeht.
Zum Schluss möchte ich mich bei allen Institutionen, Organisationen und Menschen bedanken, die diese Ausstellung ermöglicht haben, ins besonders bei dem Direktor des Museums in Saaz, Herrn Kopica und seinem Team, bei allen Angestellten des Prager jüdischen Museums, die mich sehr unterstützten. Weiters bei Herrn Mgr. Petr Šimaček, der leider heute nicht anwesend sein konnte, für seine Arbeit, Koordination und Betreuung des Projektes, bei der jüdischen Gemeinde Teplitz und beim Heimatkreis Saaz in Roth, der hier heute durch Frau Uta Reiff vertreten ist. Falls ich jemanden vergessen habe, bitte ich dies zu entschuldigen.
Morgen um 17.00 Uhr laden wir Sie herzlich zu einer Benefizvorstellung der Kinderoper Brundibar ein. Diese wurde zu ersten Mal im Ghetto Theresienstadt uraufgeführt. Der Erlös der Veranstaltung wird für die Revitalisierung des jüdischen Friedhofs in Saaz verwendet, der ein bedeutsames historischen Mahnmal werden soll.