Von Franz Chololaty Gröger | Buchrezension, Pardubitz|Pardubice 22. Januar 2011
Vom 12.-14.November 2008 fand auf dem Boden der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn eine Konferenz unter der Benennung: „Die deutschsprechende Bevölkerung in der Tschechoslowakei nach 1945“ statt, die gleichzeitig auch Anlass zu einem Arbeitstreffen des Autorenkollektivs rund ums Forschungsvorhaben der Masaryk-Universität gab . An der Konferenz nahmen auch Forscher aus der Slowakei, ferner der deutschstämmige Historiker aus Mährisch Ostrau, Otfried Pustejovsky, sowie Vertreter der deutschen Minderheit in Böhmen, Mähren und Schlesien teil. Für den „Förderverein der Stadt Saaz“ nahm Otokar Löbl teil.
Als Ergebnis kam ein Buch heraus, das auch in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungszentrum für Geschichte Mitteleuropas und dem Institut für zeitgenössische Geschichte der Akademie der Wissenschaften der ČR entstanden ist. Deren Brünner Nebenstelle beteiligte sich an der Umsetzung im Rahmen des Projektes „Dokumentation des Schicksals der aktiven Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus“, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Zusammenhang mit jenen Maßnahmen standen, die in der damaligen Tschechoslowakei gegen die sogenannte feindliche Bevölkerung angewendet wurden. Das Buch „Die deutschsprechende Bevölkerung in der Tschechoslowakei nach 1945“ erschien Ende des vergangenen Jahres bei der Matice moravská.
Das veröffentlichte Werk kann im Wesentlichen in drei Abteilungen untergliedert werden:
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Die bisherige Forschung, Perspektiven und Methoden,
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Regionale Forschung und
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Neue Themen und neue Kontexte.
Im ersten Kapitel beschäftigt sich Tomáš Staněk anhand der bisherigen Forschung mit der „deutschen Problematik“ nach Kriegsende, und Adrian von Arburg legt einen umfangreichen Beitrag einiger Erwägungen vor, wie man die Forschung über die Stellung der deutschsprechenden Bevölkerung in Böhmen, in Mähren und in Schlesien nach dem Krieg fortsetzen sollte. Eben dieser Beitrag wurde diskutiert, vor allem von Seiten der deutschen Minderheit. Ein weiteres Kapitel ist die Arbeit Tomáš Dvořáks „Die Erforschung der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegstschechoslowakei, Probleme und deren Begrenzung sowie eine weitere Kontextualisierung“, eines der Autoren, der in der Edition „Aussiedlung der Deutschen und die Veränderungen des tschechischen Grenzlandes von 1945“. Diesen ersten Teil beschließt die Arbeit „Vertreibungsforschung zwischen Politik und Wissenschaft“ des bedeutenden deutschen Forschers Otfried Pustejovsky.
Der zweite Teil wird durch die Arbeit des bereits erwähnten Tomáš Dvořák eingeleitet, der Brünn und seiner Bevölkerung im Jahre 1945 gewidmet ist. Für Tschechen bekannt geworden ist die Vertreibung der deutschen Bevölkerung und der von vielen Exzessen begleitete folgende Marsch zur österreichischen Grenze. Es handelt sich dabei um die Frage des historischen Gedächtnisses, bzw. des Nicht-erinnert-werden-wollens, und um die Frage der politischen Verantwortung. Die darauf folgende Arbeit ist den Deutschen in Reichenberg nach dem Zweiten Weltkrieg, den Deutschen in Neuhaus und Umgebung nach 1945 und der deutschsprechenden Bevölkerung in der Umgebung von Budweis nach 1945 gewidmet, die durch dazu gehörende und veranschaulichende Tabellen ergänzt wird. Die Studie „Die deutsche Bevölkerung im politischen Kreis Senftenberg in den Jahren 1945-1948“ von Václav Kaška befasst sich ebenfalls mit den leidigen Aktivitäten der Partisanengruppe „Václavík“ der Kommandeure Jan Ptáčník und Josef Hýbl Brodecký, die „bekannt“ wurde durch die Morde in Landskron, Wichstadtl, Grulich, Linsdorf und in weiteren Orten. Sie beschäftigt sich auch mit der Vertreibung der Bevölkerung nach Glatz im Jahre 1945. Den tschechischen Leser werden sicher auch die Arbeiten slowakischer Autoren interessieren, die sich mit der Frage der Karpatendeutschen in den Jahren 1945-1946 befassen.
Die dritte Abteilung widmet sich der Frage der Kommunistische Partei der Tschechoslowakei und „unseren Deutschen“, also dem Verhältnis von Nationalismus, Internationalismus und Pragmatismus beziehungsweise der Problematik der Rückkehr „rechtswidrig Abgeschobener“. Aufmerksamkeit verdienen alle Arbeiten, mag es sich dabei um das Schicksal von Emil Beer oder um den Deutschen Karl Jüttner handeln. Große Aufmerksamkeit erweckt die Arbeit von Vladimir Černý „Prozesse mit den Angehörigen des nationalsozialistischen Sicherheitsapparates in Brünn und deren Schicksale in den Jahren 1945-1956“, die ergänzt wird durch ein komplexes Verzeichnis der ermittelten und inhaftierten Mitglieder des Sicherheitsapparates, oder die Arbeit „Das kleine Retributionsdekret und die deutschsprechende Bevölkerung in Ostrau in den Jahren 1945-1948“.
Das Buch enthält auch Quellen und eine ausgewählte und empfohlene Literatur inklusive noch nicht erschienener Quellen bzw. Verzeichnisse von Archiven und Fonds in der Tschechei, in der Slowakei, in Deutschland und Österreich. Teil des Buches ist auch umfangreiches Foto-Material.
Es ist anzunehmen, dass diese anregende, gut bearbeitete Publikation in Hinkunft weitere Forschungen anregen wird und auf diese Weise behilflich bei der Suche nach Antworten auf bislang verschwiegene Fragen zur Nachkriegszeit sowie zum Zusammenleben von beiden Völkern sein kann.
Bilder zur Tagung in Brünn: