Martina Schneibergova im Gespräch mit Andreas Kalckhoff | Tschechischer Rundfunk 7, Radio Prag, 28. März 2013
Kurz nach dem Kriegsende wurden im nordböhmischen Postoloprty|Postelberg 763 deutsche Zivilisten, darunter Frauen und Kinder ermordet. Zwei Jahre nach dem Massaker hat eine Parlamentskommission den Fall untersucht. Während des Kommunismus war der Fall Postelberg jedoch ein Tabu-Thema. Erst vor zwei Jahren wurde herausgefunden, wer 1945 Schießbefehl erteilte. Die beiden Täter sind inzwischen gestorben und wurden nie bestraft. Zahlreiche Dokumente zum Fall Postelberg, Zeugenaussagen sowie Berichte von tschechischen und deutschen Medien, sind einem neuen Buch enthalten, das vor kurzem erschienen ist. Der zweisprachige Band heißt „Versöhnung durch Wahrheit – Der Fall Postelberg und seine Bewältigung 1945-2010“. Herausgegeben wurde er vom sudetendeutschen Heimatkreis Saaz. Das Buch hat der deutsche Historiker Andreas Kalckhoff zusammengestellt, der selbst aus Žatec|Saaz stammt. Bei der Präsentation des Buches in der Prager Buchhandlung Academia entstand das folgende Gespräch mit dem Historiker.
Herr Kalckhoff, Sie haben sich selbst als Deutschböhme bezeichnet. Spielte dies eine Rolle bei der Entstehung Ihres Buchs?
Meine Mutter ist in Saaz geboren. Meine Vorfahren lebten seit einigen Jahrhunderten in Saaz. Im Elternhaus ist viel über Saaz erzählt worden. Irgendwann möchte man ja wissen, wie seine Geburtsstadt ausschaut. Auf die Idee, mich zu engagieren, bin ich durch Otokar Löbl gekommen. Er hat mich angesprochen, und sein Plan hat mir gefallen. Seitdem arbeite ich an dem Projekt des „Saazer Weges“ mit.
Handelt es sich um ein rein wissenschaftliches Buch oder ist der Band für die breite Öffentlichkeit bestimmt?
Es hat schon den Anspruch eines wissenschaftlichen Buches. Es sind darin Dokumente veröffentlich, die so auf Tschechisch überhaupt nicht veröffentlicht wurden. Wir kommentieren es aber nicht wissenschaftlich, sondern bringen Anmerkungen, die das Verständnis erweitern, weil die junge Generation über die Zeit von 1945 nicht allzu gut Bescheid weiß. Das Ziel ist vor allem, die jüngere Generation mit diesen Ereignissen vertraut zu machen. Ich glaube nicht, dass man an der Meinung von älteren Leuten viel ändern kann. Deswegen freuen wir uns auch über das große Interesse, das junge Menschen für das Thema gezeigt haben. Es gab mittlerweile schon einige Projekte von Geschichtslehrern in Tschechien, die diese Themen mit ihren Schülern durchgegangen sind. Auch das haben wir in dem Buch unter anderem dokumentiert.
Wann haben Sie Ihre Geburtsstadt Saaz zum ersten Mal besucht – war es erst nach der Wende oder schon in den 1960er Jahren?
Ich war 1968 das erste Mal hier, danach nach der Wende 1992. Seit 2000 komme ich regelmäßig nach Böhmen.
War es damals in den 1960er Jahren schon möglich, in den Archiven über das Thema Postelberg zu forschen?
Nein. Damals hatte ich auch noch kein Interesse, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich habe zwar böhmische Geschichte studiert, ich bin ein Schüler von Ferdinand Seibt, der selber aus Böhmen stammte und über das Mittelalter geschrieben hat, bin also eigentlich Mittelalter-Spezialist. Die ganze Geschichte der Vertreibung hat mich damals nicht so sehr interessiert. Meine Mutter hat zwar davon erzählt, und was sie erzählt hat, war nicht schön.
Haben Sie vor, weiter in diesem Bereich zu forschen? Es gibt auch noch weitere Fälle, die nicht so bekannt sind wie das Massaker von Postelberg.
Nein, das Thema ist erstmal für uns abgeschlossen. Ein größeres Projekt wäre ein Museum für deutsch-tschechisch-jüdische Kultur im Saazer Land. Wir werden mit dem Museum in Aussig zusammenarbeiten, in dem auf das Thema für ganz Böhmen eingegangen wird. Wir würden uns da auf Saaz beschränken, das liegt aber noch in weiter Ferne. Ich kann das auch nicht alleine machen, da braucht man viel Hilfe vor allem von den Kollegen aus Tschechien.