Der Saazer Hopfenhandel und seine steinernen Zeugnisse

Titelbild

Geschichte einer teilweise erloschenen Tradition

Vortrag von Otokar Löbl bei der internationale Tagung Monumenta VIVA in Prag (Vyšehrad) am 3. Dezember 2015 zum Thema „Pflege des Kulturerbes im Gebiet des ehemaligen Sudetenlandes“

Die Stadt Saaz und ihre ländliche Region sind mit ihrer typischen Urbanität ein Zeugnis des Hopfenanbaus sowie dessen Vermarktung und Verarbeitung. Vom Mittelalter bis heute haben Hopfendarren, Hopfenmagazine (Lager) sowie Vorverarbeitungs- und Verpackungsbetriebe das Weichbild von Saaz und der umliegenden Dörfer geprägt. Besonders die sogenannte “Prager Vorstadt“ ist als schützenswertes Gebäudeensemble geradezu ein Alleinstellungsmerkmale. Die auf einer kleinen Fläche konzentrierten, heute überwiegend ungenutzten, aber immer noch erhaltenen, im Grundriss mittelalterlichen Gebäude erinnern an die Produktveredelung des Hopfens und den internationalen Hopfenhandel hier von Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Otokar Löbl

Otokar Löbl

Die erste schriftliche Nennung des Saazer Hopfens datiert auf den 23. April 1348. Ein gewisser Albertus verkauft seine Güter in Col und Straupitz einschließlich Hopfengärten an den Saazer Bürger Jeklinus Divitus, bezeugt vom Rat der Stadt. Der Hopfen wurde bereits in dieser Zeit in Gärten und auf Hopfenfeldern kultiviert und über den Eigenbedarf hinaus in großem Umfang und bester Qualität produziert. Wie in anderen königlichen Städten wurde das Bier auf der Grundlage spezieller Rechte in Bürgerhäusern gebraut. Im Januar 1376 bestätigte Karl IV. der Stadt Saaz das sogenannte Meilenrecht für die Erzeugung von Malz sowie das Brauen, den Verkauf und den Ausschank von Bier. Dieses Recht besagt, dass niemand ohne die Genehmigung der Stadt in einem Umkreis von einer oder mehrerer Meilen diese Handwerk bzw. Gewerbe betreiben durfte.

In der Region von Saaz konzentrierte sich damals mehr als die Hälfte der Anbaufläche des böhmischen Hopfens. Hopfengärten gehörten fast zu jedem bürgerlichen Haus. Für viele historische Bürgerhäuser ist das Trocknen des Hopfens auf dem Dachboden bis zum Anfang des 19. Jahrhundert bezeugt.

Mit der Gesetzgebung von 1859 entstand für den Hopfenhandel Gewerbefreiheit. Es wurde zwischen Kundschaftshandel, Kommissionshandel und Platzhandel unterschieden. Diese Unterscheidung verwischte sich aber im Laufe der Zeit wieder.

Im Jahre 1860 entstand eine Saazer Börse für den Hopfenmarkt, die bis 1879 tätig war. Im Jahre 1861 wurde der Saazer Hopfenverein ins Leben gerufen, nach der damals neu eingeführten “Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzgebung“ (ADHGB) . Bedeutende deutsche und jüdische Familien gründeten Unternehmen, die über Jahrzehnte das Hopfengeschäft beherrschten und damit weitgehend das wirtschaftliche Geschehen der Stadt prägten. In dieser Zeit entwickelte sich der bisherige traditionelle Haushandel zu einer marktwirtschaftlichen Form bayerischer Handelskammern beziehungsweise zu Siegelbezirken Das führte zu einer Konzentration des Handelsgeschäfts auf einen engeren Personenkreis, der den Export beherrschte.

Zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in Saaz viele neue Hopfenmagazine, Darren und Lager. Die Silhouette der Stadt wurde weithin sichtbar von den Schloten der Schwefelkammern geprägt. Markant zeichnet sich die obere [Prager-] Vorstadt hinter dem vormaligen Prager Stadttor bis zur damaligen Wussinallee (heute Komenskeho alej) im Stadtbild ab.

Saaz war am Ende des 19. Jahrhunderts ein lebendiges und wirtschaftlich bedeutendes städtisches Zentrum in Nordwestböhmen. Hier kreuzten sich zwei wichtige Eisenbahnlinien, die Buschtierhrader Eisenbahn (Prag − Eger) und die Linie von Dux nach Pilsen. Im Jahre 1900 zählte Saaz 1.034 Häuser, in denen 15.900 Einwohner wohnten und arbeiteten. Es waren 161 Firmen registriert, die sich mit dem Verkauf des Hopfens beschäftigten. Es gab allein 53 Hopfenmagazine. Der jüdische Spediteur Fanta entwickelte speziell für den Hopfentransport eingerichtete Eisenbahnwaggons. Die Hopfenhändler waren mit dem Nürnberger und Bamberger Hopfenmarkt vernetzt und exportierten in die ganze Welt, besonders auch nach Übersee in die USA und Südamerika.

Saaz 1900

Saaz 1900

Die “Hopfenarchitektur“

Die Geschichte des Hopfens in Saaz ist von überregionale Bedeutung. Die erhaltenen Zweckbauten sind ein monumentaler Beweis der örtlichen Prosperität dieses Wirtschaftszweiges. Sie zeugen von der Erfahrung und dem Fleiß mehrere Generationen der Stadt. Die Geschichte des Saazer Hopfens belegt, wie dieses landwirtschaftliche Produkt nicht nur den Charakter der agrarischen Kulturlandschaft, sondern eine ganze Stadt mit ihrer Architektur, ihrer urbanen Struktur und deren ganzes Leben beeinflusste.

Der ideelle Wert der erhaltenen „Hopfenbauten“ ist aus der Sicht des Denkmalschutzes bedeutsam. Entstanden durch die zeitliche und räumliche Konzentration der Hopfenwirtschaft ist dieser historische Stadtteil weltweit einmalig. Solche alten Hopfenbauten sind im Ausland eher selten. Bis auf Ausnahmen sind sie dort Neubauten gewichen.

Die Hopfenlager in der Pragervorstadt in Saaz

Die Hopfenlager in der Pragervorstadt in Saaz

Die Juden und der Hopfenhandel

Aus dem Hopfen haben Stadt und Region großen Nutzen gezogen und dadurch eine außergewöhnliche Prosperität erlangt. Nach Gesetzesänderungen in der habsburgischen Monarchie siedelten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Saaz wieder Juden an, wurden unternehmerisch tätig und hatten somit großen Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt. Ab den Jahren 1861/ 62 war ihnen ohne Beschränkungen Pacht und Besitz von Immobilien erlaubt. Im Jahre 1867, mit der so genannten “Dezemberverfassung“, erhielten sie die Staatsangehörigkeit und somit alle politischen und bürgerlichen Rechte. Wie alle übrigen Bürger der österreichisch-ungarischen Monarchie hatten sie jetzt die freie Wahl des Wohnortes, das Recht auf jeglichen Besitz und genossen Gewerbefreiheit .

Mit dem Hopfenhandel wuchs die jüdische Bevölkerung der Stadt zahlenmäßig und hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Bedeutung. Die vermögenden Juden bauten in der Stadt repräsentative, architektonisch bedeutsame Häuser, die noch heute erhalten sind. Von ihrem Reichtum zeugen auch die repräsentative Synagoge im mauretanischen Stil und der jüdische Friedhof mit einem prächtigen Portal, dessen gläserner Vorbau leider während der Naziherrschaft zerstört wurde.

Die jüdischen Geschäftsleute etablierten sich nicht nur im Hopfenhandel. Ihr Engagement in Saaz begann schon ab 1851. Sie kamen seit dem Bau der Eisenbahn überwiegend aus der Karlsbader Gegend. Sie beteiligten sich maßgeblich an der Gründung der Saazer Industrie. Besonders zu nennen sind die Firmen Bechert (Schraubwarenfabrik), Telatko (Draht- und Drahtstifterfabrik), Bergmann & Daiml (Lackfabrik), Kauzner & Nauman (Eisenwaren und Baumaterial Handlung), Josef Reiman & Co. (Drahtseilfabrik), Ferdinand Lustig (Erste Saazer Fichtenpechraffinerie) und die Spedition Fanta, von der schon die Rede war. Es gab mehrere jüdische Textil- und Kolonialwarengeschäfte, und es praktizierten einige jüdische Ärzte und Rechtsanwälte.

Obwohl die Zahl derer, die sich zum jüdischen Glauben bekannten, nie die Zehnprozentgrenze an der Gesamtbevölkerung erreichte, war ihr Anteil am wirtschaftlichen Leben, insbesondere am Hopfenhandel, dominant. Dies soll anhand der Firmen und Hopfenmagazine in folgender Präsentation dargestellt werden.

Statistik-deutsch

Juden in Saaz im Vergleich zur Gesamtzahl der Bevölkerung

Schlussbemerkung

Der Hopfenhandel bildet auch heute noch einen bedeutenden Wirtschaftszweig in Saaz, doch die alte, deutsch-jüdisch geprägte Hopfenhändlerkultur ist durch die Kriegsereignisse unwiederbringlich dahin. Sinn und Bedeutung dieser kurzen Studie liegt deshalb auch in der Erinnerung an den Anteil der Juden an der Bevölkerung der Stadt Saaz und seiner wirtschaftlichen Bedeutung in der kurzen Periode 1852 bis 1938. Sie ist ein Teil unseres laufenden Projektes “Die Juden von Saaz“. Sie soll das diesbezügliche Defizit deutscher, insbesondere der “sudetendeutschen“, und der tschechischen Literatur ausgleichen. Der Förderverein der Stadt Saaz möchte damit seinen Beitrag zur geschichtlichen Bewältigung einer sensiblen Epoche der Stadt leisten.

Der Vortrag, begleitet von einer Powerpoint-Präsentation der Hopfenlager, wurde in tschechischer Sprache gehalten.