Der Ackermann und der Tod (Ausstellung)

ACKERMANN UND DER TOD die Vernissage der Ausstellung am 4. Mai 2022 im Foyer des Archäologischen Museum in Frankfurt am Main. Nach der Begrüßung durch den Direktor Dr. Wolfgang Davidn, erfolgte eine Vorstellung der Ackermann Gemeinde von den Vorsitzenden Peter Hoffmann. Es folgte ein Grußwort der hessischen Regierung von der Beauftragten Frau Ziegler-Raschdorf. Der Kurator der Ausstellung und Vorsitzender des Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec Otokar Löbl führte die Besucher in das Thema ein und berichtete über die Entstehung der Ausstellung

Saazer Rathausturm lockt mit einer Ausstellung und einem interessantem Rundblick

Die neue Ausstellung entstand im Rahmen der kürzlich abgeschlossenen umfangreichen Restaurierung des Saazer Rathauses und wurde zu einer Attraktion, mit der Touristen ihre Besichtigungstour durch die Königsstadt beginnen können. Im Turm können sie viele interessante Fakten aus Jahrtausenden Jahren Geschichte erfahren. Von der Galerie des Turms haben sie einen Rundblick auf die Stadt, wie sie heute ausschaut.

Von Tomáš Kassal | Žatecký.Deník.cz 14. Juli 2021

Die Ausstellung entstand in einem Team von Künstlern wie den Architekten Miloslav Čejka und Jana Šmidtová von der Abteilung Stadtentwicklung sowie den Mitarbeitern des Regionalmuseums K. A. Polánek in Saaz, Milada Krausová und Monika Merdová.

Der Spaziergang durch die reiche Geschichte der Stadt und des Rathauses ist in sieben Teile gegliedert. „Wir haben uns darauf geeinigt, im Erdgeschoss mit Architektur und Zeitstrahl zu beginnen. Für die oberen Etagen hat Milada Krausová, die Museumshistorikerin und Hauptautorin der Ausstellungkonzeption, weitere interessante Ereignisse aus der Geschichte von Žatec gewählt, die mit dem Rathaus zusammenhängen“, erklärte Monika Merdová vom Regionalmuseum.

Ausstellung im Rathausturm mit dem Modell des Alten Rathauses (Foto: Deník/Petr Kinšt)

Die Ausstellung vermittelt zahlreiche historische Daten, aber die Besucher sollen auch unterhalten und dadurch zu einem Besuch der Sehenswürdigkeiten der Stadt verführt werden. „Es ist eher ein Spektakel als eine klassische Ausstellung. Es geht darum, dass die Leute Spaß haben“, sagt Miloslav Čejka, ein akademischer Architekt, der auch die Ausstellung „Mammutjäger“ im Nationalmuseum gestaltet hat.

„Bei der Vorbereitung eines solchen Projekts sind nicht nur historische Genauigkeit und Bedeutsamkeit, sondern auch attraktives Aussehen und interaktive Qualität eine Selbstverständlichkeit. Die gesamte Ausstellung sollte von Anfang an in Zusammenarbeit zwischen Architekt, Historikern und anderen Berufsgruppen entstehen, und das ist im Rathausturm gelungen. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet, unsere Ideen haben sich gegenseitig ergänzt“, rühmt M. Merdová den Teamgeist der Ausstellungsmacher.

Die Ausstellung bietet historische Grunddaten. Sie stellt interessante Persönlichkeiten vor, die in Žatec lebten, aber auch solche, die die Stadt besuchten, wie Könige und Kaiser. Sie nimmt die Rathausuhr in den Fokus, die Kriegsereignisse, rekonstruiert aber auch, was an der Stelle des heutigen Hopfenhauses stand oder gestanden haben soll – eine Kirche, ein Wachhaus und vielleicht auch ein Theatergebäude.

Blick von Rathausturm zur Dekanatskirche (Foto: Gerhard Gerstenhöfer)

Die Ausstellung ist täglich um 10 Uhr, 13 Uhr und 15 Uhr oder nach Vereinbarung zu anderen Zeiten für die Öffentlichkeit zugänglich. Der Eintrittspreis beträgt 80 CZK (Erwachsene) und 40 CZK (ermäßigt) und wird im Touristeninformationszentrum neben dem Hopfenhaus verkauft, wo Führer die Besucher auf den Turm führen.

Fernsehbericht zur Ausstellung von Televize ok plus Žatec:

https://www.facebook.com/watch/?v=416084469651227

Ein großer Sohn der Stadt Saaz: Karel Reiner

Komponist, Pianist, Musikkritiker 1910-1979

Saaz war keine Provinz. Goethe speiste hier zu Mittag und lobt die schöne Lage der Stadt. Im Saazer Theater gastierten namhafte Künstler und Ensembles aus Wien und München. Opernsänger, Schauspieler und Komponisten sind in Saaz geboren, die es allerdings alle in die Welt hinaus zog oder, wenn sie sich zum Tschechentum bekannten, nach Prag. Zu letzteren gehört Karel Reiner, in der Nachkriegszeit ein renommierter Vertreter der modernen Klassik. Eine Ausstellung in Saaz würdigt das aufregende Leben und Werk des jüdischen Musikers, der wie ein Wunder Ausschwitz überlebt hat.

Als Karl, der sich später Karel nannte, am 27. Juni 1910 auf die Welt kam, war Saaz eine überwiegend deutsche Stadt. Seine jüdischen Eltern stammten aus Czernowitz, wo man ebenfalls mehrheitlich Deutsch sprach. Der Vater hatte am Wiener Konservatorium studiert, in Saaz arbeitete er als Klavier- und Gesangslehrer und diente der jüdischen Gemeinde als der Oberkantor. Auch die Mutter unterrichtete am Klavier. Karls musikalisches Talent wurde bald erkannt. Er zeigte sich als Wunderkind, das mit Zwölf auf dem Piano Haydn und Mendelssohn­-Bartholdy spielte. So war klar, dass ihm Saaz musikalisch zu eng wurde. Achtzehnjährig begann er in Prag mit dem Musikstudium. Da er in Tschechisch Abitur abgelegt hatte, fand er sich in der neuen Umgebung schnell zurecht.

Karl Reiner mit seinen Eltern Josef und Sima

In Prag lernte er bei Berühmtheiten wie Alois Hába und Josef Suk, die unterschiedliche Musikstile vertraten. Während Suk die Klassik des 19. Jahrhunderts lehrte, war Hába ein Vertreter der musikalischen Moderne, experimentierte mit Viertel­, Fünftel-, Sechstel- sowie im diatonisch-chromatischen Tonsystemen und erregte damit das Aufsehen in der Fachpresse des In- und Auslandes. Unter diesen Einflüssen entwickelt Reiner eine eigene moderne Klangsprache, die das klassische Tonsystem mit polyphonen Klängen bereicherte. Eine bedeutende Rolle spielte dabei das Multitalent E. F. Burian, der sich vor allem als Theaterleiter hervortagt. Seine avantgardistischen Inszenierungen machten ihn ebenfalls über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Reiner wurde bei Burian musikalischer Leiter. Daneben arbeitete als Chefredakteur der Musikzeitschrift „Rytmus“.

Karel Reiner (Mitte oben) mit
E. F. Burian (links), dem russischen
Regisseur W. Meyerhold
(rechts) und Ensemblemitgliedern
1936/ 37

Es waren die dreißiger Jahr. Anfangs glaubte Karel Reiner trotz böser Vorzeichen noch, dass die tschechoslowakische Republik stark genug sein würde, den inneren und äußeren Bedrohungen standzuhalten. Den tschechischen Nationalismus und Antisemitismus fand er ebenso fatal wie die Gefahr durch Hitler-Deutschland. Leider irrte er, wie viele andere, in der Annahme, die Westmächte würden einen Angriff nicht dulden. Doch es kam anders. Im September 1938 marschierten deutsche Truppen ins Sudetenland ein, im März darauf in Prag. Dem Juden Karl Reiner und seinen jüdischen Leidensgenossen blieb noch eine Galgenfrist von der Einführung der Rassengesetze bis zur Deportation ins KZ Theresienstadt.

Sonate No. 2 für Klavier, „Vítěztví“ („Der Sieg“)

Infolge der Rassengesetzte hatten Karel Reiner und seine Kollegen öffentliches Auftrittsverbot. Also organisierten sie heimlich Konzerte in privaten Räumlichkeiten. Reiner nutzte überdies die Zeit zum Sammeln tschechischer Volks- und Kinderlieder und Vertonen volkstümlicher Reimliteratur. Und natürlich arbeitete er an seinen Kompositionen weiter, darunter die optimistische Sonate „Der Sieg“. Spätestens 1942, als die ersten Juden nach Theresienstadt verschleppt wurden, war ihm jedoch klar, dass auch diese musikalische Untergrundarbeit ein Ende haben würde. Doch da Theresienstadt mit Blick auf ausländische Besucher als Musterlager konzipiert war, boten sich ihm wie anderen Künstlern dort weiter Möglichkeiten, kreativ tätig zu sein. Es gab interne Theateraufführungen und Konzerte, an denen er mitarbeitete.

Kinder in Theresienstadt: 400 starben dort, 7.500 in Auschwitz.

Daneben war er, wie seine Frau Hana, zur Kinderbetreuung eingeteilt. Vielleicht rettete ihm dies das Leben. Denn so wurde er erst im September 1944 nach Ausschwitz transportiert, als die Rote Armee dort schon nahe war. Das Lager befand sich in Auflösung. Bereits nach einer Woche kam er in einen Arbeitskräftetransport nach Dachau, ins Außerlager Kaufering, wo man an einer unterirdischen Flugzeugfabrik baute. Als dort im April 1945 die Amerikaner anrückten, ging es auf einen letzten Marsch in Richtung Alpen, solange, bis sich die SS aus dem Staub machte. Als Karel Reiner am 22. Mai in Prag eintraf, wog er noch fünfundvierzig Kilo. Aber auf wunderbare Weise erwartete ihn dort seine Frau Hana am Hauptbahnhof. Auch drei seiner engen jüdischen Freunde hatten überlebt, der Schriftsteller Norbert Frýd, der Theatermacher E. F. Burian und sein Lehrer Alois Hába.

Man könnte meinen, nach dem erlittenen Leid würde jemand wie er, der das künstlerische Leben Prags bereichert hatte, mit offenen Armen in seiner Heimat aufgenommen. Das Gegenteil war der Fall. Als gebürtiger Deutscher musste er erst beweisen, dass er ein guter Tscheche war. Mit Hilfe von Hába gelang es ihm schließlich, die Behörden davon zu überzeugen, das er sich, seit er in Prag lebte, als Tscheche gefühlt und so verhalten habe. Mit der Machtübernahme der Kommunisten im Februar 1848 entwickelten sich für ihn jedoch noch ganz andere Probleme. Er hatte zwar in der Besatzungszeit mit kommunistischen Zellen zusammengearbeitet, doch jetzt musste er feststellen, dass zwischen seinen Vorstellungen von künstlerischer Freiheit und dem zweckorientierten Kunstverständnis ideologisch geschulter Funktionäre eine breite Kluft auftat.

„Deportation“, Zeichnung der dreizehnjährigen Helga Weiss. Eine der Kinderzeichnungen aus Theresienstadt, die Eingang in die Filmdokumentation „Schmetterlinge leben hier nicht“ fand, die 1959 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Karel Reiner schrieb dazu die Filmmusik.

Als erstes nahm er die musikalische Zusammenarbeit mit den überlebenden Freunden wieder auf. Er komponierte, er inszenierte, er publizierte, letzteres in Burians linker Zeitschrift „Kulturpolitik“. Seit 1947 engagierte er sich in führenden Funktion im Verband tschechoslowakischer Komponisten. Da konnte es nicht ausbleiben, dass man sich seiner uneingeschränkten Loyalität versichern wollte. Man nötigte ihn zum Parteieintritt, was durchaus unerfreuliche Folgen hatte. Unter dem Druck der angeblichen jüdischen Ärzteverschwörung in der UdSSR, dem großen Bruder, erhöhte auch die KPČ 1952 ihre „Wachsamkeit“ gegenüber Menschen jüdischer Herkunft. Vor dem Zentralkomitee musste sich Reiner in einem vierstündigen „Gespräch“ rechtfertigen, ob er ein Anhänger des Zionismus sei. Daraufhin hatte er immer einen Koffer mit dem Nötigsten gepackt. Er hatte Erfahrung damit, was man bei einer Deportation brauchte.

Trotzdem konnte er sich danach als leitender Funktionär im „Haus der Volkskeativität“ und später als Vorsitzender des Tschechischen Musikfonds eine gewisse Unangreifbarkeit erarbeiteten. Dazu kamen seine musikalischen Erfolge, auch wenn sich seine avantgardistischen Arbeiten immer wieder dem Vorwurf des Individualismus und Formalismus ausgesetzt sahen. Musikalisch gesehen sträubte sich dabei ein traditionalistischer Musikgeschmack gegen die klassische Moderne, ideologisch gesehen ein marxistisches dirigistisches Kunstverständnis gegen die Kunstfreiheit. Ersteres war ein Generationenproblem, das auch den Westen betraf. Deswegen ist es typisch, dass Reiner dort einem breiteren Publikum nicht durch sein klassisches Werk bekannt wurde, sondern durch seine Filmmusik zu „Schmetterlinge leben hier nicht“, eine Dokumentation in Form von Kinderbildern aus Theresienstadt. Sie gewann 1959 in Cannes die Goldene Palme.

Karl Reiner in den 70er Jahren zu Hause beim Komponieren

An der Überlegenheit des Kommunismus hatte er lange keinen Zweifel, und der Aufstieg Alexander Dubčeks bestärkte ihn in der Hoffnung, dass sich der praktizierte Sozialismus sowjetischer Art liberalisieren ließe. Die militärische Niederschlagung des „Prager Frühlings“ beendete diesen Traum. Als sich die kommunistische Diktatur wieder verhärtete, trat er aus der kommunistischen Partei aus. Deren Reaktion ähnelte den Maßnahmen während der Besatzung gegen die Juden. Die Aufführung seiner Kompositionen wurde beschränkt auf einen kleinen Zirkel. Viele Musiker trauten sich danach nicht mehr, seine Musik zu spielen.

Galt die ideologische Verfolgung in den fünfziger Jahren seinem Werk, so jetzt seiner Person. Er reagierte darauf wiederum durch unverdrossene Arbeit an seinem Werk, das eine große Spannbreite aufwies, von Kinderliedern, volkstümlichen Opern und Filmmusik über klassische Kammermusik bis hin zu experimentellen Stücken, in denen er Musiktraditionen aus dem Balkan und Arabien verarbeitete. Soweit es das staatliche Reglement und erlaubte, pflegte er Kontakte ins Ausland, er war dort kein Unbekannter. Seit 1978 hatte er bereits gesundheitliche Probleme. Karel Reiner starb am 17. Oktober 1979.

Bürgermeisterin Zdenka Hamousová im Gespräch mit Vorstandsmitglied Helmut Schneider, rechts Otokar Löbl, links Tanja Krombach vom Kulturforum Östliches Europa und Matthias Dörr, Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde.

Der Förderverein hat es sich zusammen mit den dem Verein der Freunde und Landsleuten der Stadt Žatec zur Aufgabe gemacht, diesen große Sohn ihrer Stadt in der Ausstellung „Karl Reiner – Komponist, Pianist, Musikkritiker“ zu würdigen. Ihre Eröffnung in der Galerie am Rathaus auf dem Saazer Marktplatz musste jedoch wegen Corona-Beschränkungen mehrmals verschoben werden. Am 20. Juni 2021 fand dann die Vernissage glücklich statt. Höhepunkt war der Auftritt von Aida Mujačič. Ihre Vortrag von Kompositionen des Gefeierten, vokal und am Klavier, tief beeindruckte tief.

Pianistin und Sängerin Aida Mujačič mit dem Ausstellungskurator Pavel Stranka

Zu den Besuchern zählte als Schirmherrin der Ausstellung die Bürgermeisterin Zdenka Hamousová. Besonders zu erwähnen sind auch Matthias Dörr, Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde, und Tanja Krombach vom Kulturforum Östliches Europa. Beide Vereine gehören zu den Sponsoren. Wir danken auch alle anderen Förderern und Helfern, die unser Projekt ermöglicht haben, ganz herzlich.

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Die tschechisch-deutsche Ausstellung kann noch bis Ende Juli in Saaz besucht werden. Der zweisprachige Katalog ist auch danach noch erhältlich bei Otokar Löbl, 60488 Frankfurt am Main, Hausener Obergasse 15.

Ein Leben für Wahrheit und Versöhnung

Nachruf auf eine bewundernswerte Frau: Uta Reiff 1938–2021

Uta Reiff wurde als Kind Opfer der schrecklichen Nachkriegsereignisse in Saaz. Sie verlor ihren Vater und wäre beinahe verhungert. Entschlossen, den Zirkel von Verletzung und Rache zu durchbrechen, trat sie für Versöhnung mit den Tschechen ein. Dazu gehörte die Anerkennung des Leids auf beiden Seiten und ein zukunftsgerichteter Blick. Im Heimatkreis Saaz und als Gründungsmitglied des Fördervereins der Stadt Saaaz|Žatec setzte sie sich erfolgreich für diese Ziele ein. Der Förderverein trauert um sie.

„Ich bin im Jahre 1938 in Asch geboren“, begann ihre Erzählung, wann immer sie nach ihrer Heimat befragt wurde. Asch (Aš) liegt im äußersten Nordwesten von Deutschböhmen, nur einen Katzensprung von der bayerischen Stadt Hof entfernt. Doch Kindheitserinnerungen hatte sie erst an Saaz. Ihr Vater war dort Gymnasialdirektor, sie wuchs auf in einer Dienstwohnung mit „einem großen Garten, in dem wir gespielt haben. Es gab auch eine große Schaukel. Ich erinnere mich an diese Zeit als eine sehr schöne Zeit als Kind.“ Aber dieses Paradies währte nur kurz. Am 1. Juni 1945, knapp einem Monat nach Friedensschluss, füllten sich die Straßen von Saaz mit tschechischen Uniformen, und damit begann für die deutsche Bevölkerung eine Zeit des Schreckens. Die machte auch vor Kindern nicht halt.

Uta (links) mit ihrer Mutter und Bruder Hans

Uta Reiff kam am 29. August 1938 zur Welt, einen Monat später besetzten deutsche Truppen das „Sudetenland“, ein halbes Jahr darauf den Rest von Böhmen und Mähren. Dies wer das Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg, den Hitler allen Friedensbeteuerungen zum Trotz vom Zaun brach. Utas Vater Alfred Jäckel, Jahrgang 1900, hatte im Ersten Weltkrieg den Rock des Kaisers in Wien getragen, danach diente er in der tschechischen Armee. Nun musste er noch einmal ins Feld, diesmal für den „Führer“. Nachdem er zunächst altershalber verschont geblieben war, kam er 1943 an die Ostfront. Da war Uta fünf.

Als der Vater nach zwei Jahren von der Front zurückkehrte, glaubte Uta, sie hätte ihren Vater wieder. Doch kaum daheim, wurden er und ihr Bruder Hans mit der männlichen Bevölkerung ins Lager Postelberg (Postoloprt) verschleppt. Von dort kehrte Utas Vater nicht mehr zurück, er wurde Opfer der Massenerschießungen. Der sechzehnjährige Hans Jäckl kam zur Zwangsarbeit ins Bergwerk nach Kladen (Kladow), wo er nur knapp überlebte. Uta selbst wurde mit ihrer Mutter und dem neunjährigen Bruder Bernd in ein Frauenlager gesteckt. Acht Monate dauerte die Internierung, dann wurde die Restfamilie im Viehwaggon über die bayerische Grenze abtransportiert.

Uta Jäckel mit Bruder Bernd in Saaz

„Für die siebenjährige Zugehörigkeit zum Deutschen Reich haben wir Sudetendeutschen hart bezahlt“, klagte Uta Reiff in ihrer Gedenkrede auf dem Postelberger Friedhof 2010. Es war diese Ungerechtigkeit, mit der sie lange haderte. Vor allem den Tod ihres Vaters konnte sie lange nicht überwinden. Alfred Jäckel war als Beamter Mitglied der Nazi-Partei, Aber er galt auch, wie die Mutter erzählte, als Freund der Tschechen und Juden. Denen, die nach dem deutschen Einmarsch Saaz verlassen wollten oder mussten, half er beim Übersetzen ihrer deutschen Dokumente. Dennoch wurde er als Vertreter der deutschen Besatzungsmacht erschossen, ohne Prozess, nachts im Wald mit vielen anderen.

Die Bewältigung dieser Erfahrungen bestimmte einen Großteil ihres Lebens. Über das Studium der Psychotherapie fand sie einen Weg, Frieden mit den schrecklichen Kindheitserlebnissen zu machen. Rache und Vergeltung seien nicht die Lösung, erklärte sie später. Die Opfer dürften sich nicht zu Tätern machen und umgekehrt. Dabei sei es nötig, Leid anzuerkennen. „Ja, das war so, und es war ganz schrecklich“: in diesem Satz läge oft die Lösung innerer wie äußerer Konflikte. Dies sei nicht nur eine psychische Hilfe für die verletzten Opfer, sondern auch für den Seelenfrieden der Täter. Deshalb wirkte Uta Reiff ihr Leben lang darauf hin, das Leiden der Sudetendeutschen öffentlich – heute würde man sagen „sichtbar“ – zu machen. Sie wünschte sich, dass es auch in Tschechien anerkannt würden.

Uta Reiff (links) bei der Gründung des Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec

Womit hatten Uta und ihre Geschwister dieses Leiden verdient? Der halbwüchsige Hans wurde in der Steinkohlengrube beinahe zu Tode geschunden und erholte sich zeitlebens nicht von dieser Tortur, körperlich wie seelisch. Uta selbst wäre, wie viele andere Kinder, beinahe verhungert. Sie war am Ende so unterernährt, dass sie keine reguläre Nahrung mehr zu sich nehmen konnte. Im Fürther Kinderspital wurde sie langsam wieder aufgepäppelt. Die Monate im Lager, als sie auf dem Rücken ihrer Mutter schlafen musste, um diese vor Vergewaltigung zu schützen: „Es war alles schrecklich für mich. Das hat auch meine Einstellung zu Männern sehr beeinflusst. Als Frau hatte ich große Angst vor Männern.“

Die Anerkennung des Leidens und Sichtbarmachung des mörderischen Geschehens gelang, auch dank des Einsatzes von Uta Reiff, mit der Anbringung einer Gedenktafel durch den Stadtrat von Postelberg. „Wir wollen nicht anklagen, wir wollen klagen“, erklärte sie in ihrer Gedenkrede dazu. „Wir wollen einer tiefen Traurigkeit Ausdruck geben, die seit fünfundsechzig Jahren in uns ist. Wir hatten bisher keinen Platz zu trauern, keinen Platz, um Blumen und Kränze niederzulegen – hier an diesem Ort dieser furchtbaren Ereignisse.“

Uta Reiff spricht auf der Gedenkfeier auf dem Friedhof Postelberg

Doch ging es ihr nicht nur um den Schmerz der Opfer, sondern auch um die leidvollen Ursachen, die dem Schrecken von Postelberg vorausgegangen waren. Immer wieder betonte sie, dass es ohne die deutsche Besetzung Tschechiens und die Begeisterung der Sudetendeutschen für Hitler keine Vertreibung gegeben hätte. Dabei wies Uta Reiff jede Kollektivschuld von sich. „Es sind immer Einzelne oder Gruppen aus einem Volk, die Gräueltaten begehen.“ Als Beispiel dafür, dass nicht alle Tschechen Täter waren und schon gar nicht die tschechischen Nachbarn in Saaz, erzählte sie die Geschichte vom Herrn Kratochvil, dem Straßenkehrer. Wenn er bei ihnen vorbeikam, lud ihn die Mutter oft zu einer Vesper mit Kaffee ein. Dafür warf dieser ihnen, den Kindern, später Wurstbrote durch den Zaun zu. Bis eine Wache sie erwischte und windelweich prügelte. „Herr Kratochvil hat sich dann nicht mehr getraut zu kommen.“

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass jede Flucht oder Vertreibung zwei Seiten hat, das Verlassen und das Ankommen. Für die sogenannten „Flüchtlinge“ war nach dem Krieg das Ankommen in Deutschland oft nicht einfach. An den Aufnahmelagern lag das nicht: „Dort bekamen wir warme Kleidung und warmes Essen. Das Lager war menschlich eingerichtet.“ Für die Ansässigen waren sie dagegen lange unwillkommene Fremde: „Die Leute haben gesagt: Wenn ihr euch bei den Tschechen gut aufgeführt hättet, dann hätten die euch auch behalten.“ Solche Feindseligkeiten erlebten damals viele Flüchtlinge bis weit die fünfziger Jahre.

Uta Reiffs Kampf um einen Ort zu trauern ist nicht zu verstehen ohne ihr Bemühen um Versöhnung. Immer wieder fuhr sie nach Saaz, suchte Freundschaften mit Tschechen, tauschte Erfahrungen aus und stand gern zur Verfügung für Zeitzeugenbefragungen in tschechischen Schulen. Sie wusste, dass es keine Wahrheit gibt ohne Wissen und ohne Wissen kein vernünftiges Handeln. Um sich besser verständlich machen zu können, lernte sie noch im Alter Tschechisch. Für sie war dies wohl ein Abschluss des Versöhnungsprozesses. Gemeinsame Sprache muss nicht, aber kann zu Verbundenheit führen.

Es waren auch diese Erfahrungen, die Uta Reiff motivierten, sich später um Vertriebene und Flüchtlinge aus den aktuellen Kriegsgebieten zu kümmern, die „Migranten“. Hinter dem humanistischen Antrieb verbarg sich die Fähigkeit, Schicksalsschlägen mit positivem Handeln zu begegnen. Als sie durch einen Autounfall ihre zehnjährige Tochter verlor, verwandelte diese bewundernswerte Frau ihre tiefe Trauer in den Entschluss, einen farbigen Buben, Oliver, zu adoptieren und ihn zusammen mit ihrer zweiten Tochter Annette aufzuziehen.

Uta Reiff mit ihren Kindern Oliver und Annette

„Das Wichtigste ist, die Menschen zu lieben“, erklärte sie dazu. „Liebe steht über allem, es spielt keine Rolle, ob man weiß oder schwarz ist, Liebe ist das Einzige, was jeder braucht. Die Menschen sehen unterschiedlich aus, aber sie sind alle Gottes Geschöpfe.“ Mit solcher Menschenliebe kann man selbst über das Schlimmste hinwegzukommen. Es braucht dazu aber auch einen Menschen, bei dem man Halt und Unterstützung findet. Es war dies ihr Ehemann Dr. med. Adalbert Reiff.

Begegnung mit Saazer Gymnasiasten im Hause Reiff

Uta Reiff war eine Frau mit vielen Talenten, die sie in einer Reihe von Berufen als Lehrerin, Buchhalterin, Dolmetscherin und Familientherapeutin bewies. Sie engagierte sich im Heimatkreis Saaz der Sudetendeutschen Landsmannschaft und im Förderverein der Stadt Saaz|Žatec mit ihrem Wissen, ihrer Tatkraft, ihrer Empathie. Dafür machte der Förderverein sich ihr Projekt, die Gedenktafel in Postelberg, zu eigen. Sie war auch langjährige Vorsitzende des Amberger Oratorienchors.

Uta Reiff starb starb 16. März 2021 in Amberg. Die Welt ist ärmer ohne sie.

Uta Reiffs Grabstätte auf dem Amberger Katharinenfriedhof.

Trauerrede von Uta Reiff, Postelberg 2010

Gedenkfeier zur Enthüllung der Gedenktafel für die Postelberg-Opfer

Die Gedenktafel in Postelberg und ihre Geschichte

Saazer Synagoge wird saniert

Die Saazer Synagoge, die zweitgrößte in Tschechien, soll Ende 2022 als Kulturhaus und Begegnungsstätte wiedereröffnet werden. Die renommierte Sächsischen Zeitung veröffentlichte dazu nachfolgenden Artikel ihres Prager Korrespondenten unter der Überschrift „Synagoge von Schutt und Taubendreck befreit“. Dazu wurden der Eigentümer Daniel Černý und Otokar Löbl vom Förderverein der Stadt Saaz|Žatec interviewt.

Von Steffen Neumann | 13. Februar 2021

Die Synagoge von Saaz nach dem Fassadenanstrich 2012

Die bunten Bleiglasfenster der Synagoge in Žatec (Saaz) strahlen neu und bringen Wärme. Die fünf Fenster in der Seitenfront sind nämlich die ersten, die eingesetzt wurden. Die anderen Fensteröffnungen lassen weiter ungehindert Luft hinein, und die ist gerade besonders kalt.

„Wegen der tiefen Temperaturen mussten die Fensterbauer das Kitten unterbrechen“, sagt Daniel Černý. Aber die Fenster sind für ihn, der gerade das Gotteshaus mit den zwei Türmen unweit des alten Ringplatzes sanieren lässt, ein Wendepunkt. „Wir sind von der Phase, in der wir alles einreißen, in die Erneuerung eingetreten“, freut sich Černý.

Dem 48-Jährigen gehört die Synagoge. Dass eine Privatperson Eigentümer der zweitgrößten Synagoge Tschechiens ist, hat mit der Geschichte zu tun.„Vor dem Krieg hatte die jüdische Gemeinde 1.300 Mitglieder, heute ist es gerade mal noch eine Familie“, erzählt Černý. Mit dem im Zuge des Münchner Abkommens erzwungenen Abtritt der Sudetengebiete durch die Tschechoslowakei an Deutschland Ende September 1938 begannen die Nürnberger Rassengesetze auch hier zu gelten und damit die Verfolgung der Juden. Vorher hatte sich schon ein Großteil von ihnen ins Ausland abgesetzt. Wer das nicht schaffte, den ereilte der Tod.

Nach der „Reichskristallnacht“

Nur wenige kehrten zurück. Zu ihnen gehörte auch der Vater von Otokar Löbl, der inzwischen in Frankfurt lebt, sich aber seit Jahrzehnten im „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ für die Erinnerung an das jüdische Leben engagiert. „Fast zwanzig Prozent der Bevölkerung war bis 1938 jüdisch. Das war deutlich mehr als in anderen Städten Tschechiens“, hebt Löbl die Bedeutung der Juden für Žatec heraus, was auch erklärt, warum die Synagoge so groß war.

Am 10. November 1938 wurde in der „Reichskristallnacht“ die ganze Inneneinrichtung vernichtet. „Die Synagoge steht in der dicht bebauten Altstadt. Damit die umliegenden Häuser nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, hat die Feuerwehr den Brand schnell gelöscht. Das hat zumindest die Synagoge als Gebäude gerettet“, erzählt Černý.

Seitdem war der Bau zunächst Lazarett, später Markthalle und am Ende Lagerhaus für landwirtschaftliche Geräte. Als Synagoge wurde sie nie wieder genutzt. Bis 2005 gehörte sie noch der Stadt. Die hatte nur Geld für die nötigsten Reparaturen, sodass sie den Bau zum Verkauf anbot. „Damals sagte ich mir, was muss das für ein Verrückter sein, der die Synagoge kauft“, erzählt Černý, der eigentlich in Chomutov (Komotau) wohnt. „Mein Vater stammt aus Žatec (Saaz). Deshalb verfolge ich, was hier so passiert.“

Blick auf den „israelitischen Tempel“, Zeichnung nach einer Fotografie von 1910

Tatsächlich fand sich eine Firma, die sich mit dem Kauf verpflichtete, die Fassade zu sanieren. Doch kaum war die Fassade saniert, ging die Firma pleite und das Schicksal der Synagoge war wieder offen.

Da fasste Černý den Entschluss, selbst zum „Verrückten“ zu werden und die Synagoge zu kaufen. Das war 2012. „Ich war der einzige Bieter und zahlte den Startpreis von 3,6 Millionen Kronen (140.000 Euro, Anm. d. Red.).“ Černý ist nicht der Typ „reicher Mäzen“. Zwar ist er Miteigentümer einer gut gehenden Familienfirma für Materialprüfung. Aber die Synagoge sanieren geht doch über seine Verhältnisse. „Das war anfangs auch nicht der Plan. Wir mussten die Synagoge zwar erst mal von Taubendreck und Schutt befreien, aber die Substanz war intakt, sodass wir gleich begannen, Konzerte und Ausstellungen zu veranstalten.“

Dazu gehörte 2014 auch die Ausstellung über die Saazer Juden vom Mittelalter bis in die Nachkriegszeit des „Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec“. „Wir sind sehr froh, dass es mit der Synagoge vorangeht“, sagt Otokar Löbl, der Vorsitzende des Fördervereins. Die Ausstellung ist gerade in die neue Galerie am Rathaus ausgelagert, aber wegen der Corona-Bestimmungen geschlossen. Wenn die Synagoge fertig ist, soll die Ausstellung wieder dahin zurückkehren.

Daniel Černý in der Baustelle

Für Daniel Černý ist am wichtigsten, dass wieder Leben in die Synagoge einkehrt. Dazu passt, dass er sich schon länger für öffentliche Belange einsetzt. Seit zehn Jahren sitzt er im Kommunalparlament von Chomutov (Komotau). Zwei Jahre war er sogar Oberbürgermeister. Die Synagoge ist nicht das erste historische Gebäude, das er rettet. In Kadaň (Kaaden) kaufte er eine alte Handschuhfabrik, in Chomutov das einstige Kaufhaus Julius Meinl.

Die Synagoge wollte Černý eigentlich nach und nach sanieren. Doch dann bot sich vor zwei Jahren dank der Aufnahme von Žatec (Saaz) auf das Indikativverzeichnis der Kandidaten für den UNESCO-Welterbe-Titel die Chance, EU-Fördermittel für die komplette Sanierung nicht nur der Synagoge, sondern auch des benachbarten Rabbinerhauses zu erhalten. Die Kosten belaufen sich auf 55 Millionen Kronen (über zwei Millionen Euro), 15 Prozent davon muss Černý bzw. der Verein der Freunde der Synagoge von Žatec tragen. „Das geht nur mit Krediten. Aber ich konnte auch schon einige Sponsoren gewinnen“, sagt er und hofft auf noch mehr Unterstützer.

Die Synagoge, die unter Denkmalschutz steht, soll außen so original wie möglich wiederhergestellt werden. Da sie nicht mehr als Gotteshaus genutzt wird und die Inneneinrichtung fehlt, hat sich Černý in Absprache mit dem Denkmalamt für eine modernere Gestaltung entschieden.

Prager Klesmer-Quartett bei der Ausstellungseröffnung „Die Juden von Saaz“

Neben Veranstaltungen wird die Synagoge normal für Besucher zur Besichtigung geöffnet. Im Rabbinerhaus entstehen ein Informationszentrum, Sanitärräume und eben die Ausstellung über die Juden von Saaz. Dafür will Černý zeitgenössische Möbel anschaffen. Läuft alles nach Plan, kann die Synagoge im 150. Jahr ihrer Weihe, Ende 2022 eröffnen.

http://www.saechsische.de

www.synagoga-zatec.cz

Erinnerung an das jüdische Saaz

Die jüdischen Bürger haben Saaz mitgeprägt. Unter dem Nationalsozialismus wurden sie ausgelöscht. Die Brandschatzung der Synagoge war der Anfang dazu – Gedenken an die „Reichskristallnacht“ 1938.

Prominente Teilnehmer (v.l.n.r.): Hans Peter Hinrichsen von der deutschen Botschaft, Frau Bürgermeister Zděnka Hamousová, der israelische Botschafter J. E. Meron, der Vorsitzende der „Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“ Petr Šimáĉek.

Auch dieses Jahr haben der Förderverein der Stadt Saaz|Žatec mit Unterstützung des heimischen Vereins der „Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“ und der Stadt Saaz selbst an die Vertreibung und Ermordung der Juden durch das Nazi-Regime gedacht. Bei dem Festakt in der außen schön renovierten, aber innen immer noch wüsten Synagoge sprachen unter anderem die Bürgermeisterin, Frau Senatorin Zděnka Hamousová, der israelische Botschafter J. E. Meron sowie Hans Peter Hinrichsen von der deutschen Botschaft. Der Saazer Gesangschor unter Leitung von Alžběta Urbancová begleitete die Veranstaltung. Die Hotelfachschule sorgte für das leibliche Wohl der Gäste.

Oben: Der Saazer Chor singt das jüdische Volkslied „Schalom Alechem“ (Friede sei allen!)

Unter den Rednern war auch Gabriela Becková, Enkelin des einzigen Überlebenden der jüdischen Gemeinde von Saaz. In kurzen bewegenden Worten erinnerte sie an das Schicksal der Saazer Juden. Otokar Löbl, Vorsitzender des Fördervereins, rief ins Gedächtnis, in welcher Weise jüdische Bürger die Saazer Geschichte einst wirtschaftlich und kulturell mitbestimmt haben. Viele der repräsentativen Bürgerhäuser, die heute zur Attraktivität der Stadt beitragen, vor allem am Marktplatz, sind ihnen zu verdanken, ebenso die historischen Speicher und Kontoren des Hopfenhandeln, die jetzt unter Denkmalschutz stehen und Museen beherbergen.

Nachdenklich machte dabei Löbl Hinweis, dass die Saazer und böhmischen Juden von der Geschichte zweimal bestraft wurden: zuerst von deutschen Rassisten, die ihnen das Lebensrecht absprachen, und danach vom tschechischen Staat, der jüdische Überlebende und Erben als Deutsche enteigneten. Heute wirbt die Stadt nicht zuletzt mit jenen Bauten, die jüdischem Fleiß und Unternehmungsgeist zu verdanken sind, um den UNESCO-Titel „Weltkulturerbe“. Es wäre angemessen, sich dafür am Erhalt jüdischer Denkmäler in besonderer Weise zu beteiligen.

Presse und Fernsehen in Aktion: Interview mit dem israelischen Botschafter J. E. Meron

Presse und Fernsehen in Aktion: Interview mit dem israelischen Botschafter J. E. Meron

Oben: Fernsehbericht “Erinnerung an die Kristallnacht 1938” des tschechischen Senders OKplus

Die Saaz im Blut haben

Interview mit dem gebürtigen Saazer Petr Šimáček

Von Petr Kinst | Tageszeitung „Lucan“ vom 28. November 2018

Petr Šimáček arbeitete über dreißig Jahre als Redakteur beim Tschechischen Rundfunk, wo er die bekannten Sendungen „Achtung Kurve!“ sowie die „Plaudereien für Erwachsene“ oder die „Blasmusik-Hitparade“ gestaltete. Er ist auch Vorsitzender des „Vereins der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“ — und das seit dem Jahre 2000, als er den Verein gründete. Vor Jahren beteiligte er sich in Saaz an der Organisation verschiedener Schönheitswettbewerbe. Der bekannteste war die Wahl der „Miss Goldenes Getränk“ und danach der „Miss Hopfen und Bier“. In Prag besitzt er eine PR-Agentur, und in einer Kunstgalerie bereitet er Ausstellungen bekannter Künstler und Newcomer vor. Dort ist z. B. gerade eine Schmuckausstellung mit Werken von Zusana Bubilková zu sehen.

Erinnern Sie sich noch, wie der Verein der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz gegründet wurde und warum?

Ich habe zu Saaz eine enge Beziehung – dank der patriotischen Erziehung durch meine Eltern und durch Otto Rohusch, mit dem ich schon als Gymnasialschüler im örtlichen Rundfunk zusammenarbeitete. Im Studio in der Poděbrad-Straße saß ich auf dem Stuhl des berühmten Zdenek Sverák[1], der in Saaz angefangen hat. Zu den Gründern des Vereins gehören außer mir auch Josef Zábransky[2] und Vladimír Halamásek[3].

Und die Gründe für die Gründung des Vereins?

Von Anfang an wollten wir das Interesse der Landsleute und Freunde der „Königlichen Stadt Saaz“ und des Saazerlandes an der Geschichte und Zukunft der Stadt wecken, sie organisieren und ihre Tätigkeiten zum Wohl der Stadt koordinieren. Wir wollten den Tourismus fördern und einen Raum schaffen, der zur Verbesserung des kulturellen Niveaus beiträgt und zur Prosperität der Stadt, mit dem Ziel des Wiederauflebens der einst so berühmten historischen Stadt. Wir wollten in den Bürgern einen gesunden Patriotismus wecken – und dies vor allem bei den Kindern und Jugendlichen.

Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, an denen sich der Verein beteiligt. Welche davon würden Sie als die wichtigsten ansehen?

Ich würde das Welttreffen der Saazer zur Tausendjahrfeier der Stadt hervorheben. Am 11. September 2004 konnte Saaz zweieinhalbtausend gebürtige Saazer und Förderer mit ihren Familien aus der ganzen Welt willkommen heißen. Ein Gesellschaftsabend mit einem großen kulturellen Programm sowie Musik und Tanz beendete die zweitägigen Veranstaltungen. Teil der Feier auf dem Saazer Marktplatz war das Backen der größten Torte der Welt mit Tausenden brennender Kerzen, das im tschechischen „Guinness-Buch der Rekorde“ erwähnt wird.

Soviel ich weiß, war das nicht Ihr einziger Rekord.

Richtig. Ich organisiere auch große Musikfestivals, und dort fielen die Rekorde. Bei einem Blasmusikkonzert in der Prager Tesla-Arena tanzten 4340 Tänzer unter einem Dach zu dem Lied „Unter einem Dach“. Und in der Sazka-Arena traten in der größten Blasmusik-Show Europas sechzehn Kapellen auf.

Kehren wir zu Saaz zurück. Berühmt war ja auch Ihre Wette um ein Fass Bier hinsichtlich der Woche der Blasmusik im Saazer Sommerkino. Es ging darum, ob Sie das große Amphitheater mit Zuschauern füllen können.

Die Wette habe ich gewonnen. Eine ganze Woche lang füllten zweieinhalbtausend Zuschauer das Amphitheater, die mit Bussen aus allen Regionen der Umgebung kamen. Der damalige Bürgermeister der Stadt, Jiří Farkota, erklärte, dass wir der einzige Verein sind, der es fertig bringt, alle Plätze des Sommerkinos zu füllen. Das gewonnene Fass Bier – natürliche hatten wir noch weitere dazugekauft – hat der Organisationsstab ausgetrunken.

Können Sie noch einige Aktivitäten des Vereins nennen?

Es gibt Dutzende. Ich möchte die Projekte erwähnen, bei denen wir mit dem „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ und seinem Vorsitzenden Otokar Löbl aus Frankfurt am Main zusammenarbeiten. Bestandteil des Projekts „Die Juden von Saaz“ ist eine ständige Ausstellung in der Saazer Synagoge. Wir wollen auch eine Gedenkstätte mit der Dokumentation der Geschichte des Saazer Militärflugplatzes einrichten, beginnend mit dem deutschen Anteil an der Geschichte des Flugplatzes, mit den Zwangsarbeitern bei seiner Erbauung, über die Situation nach 1945, die Luftbrücke zwischen Saaz und Israel im Jahre 1948, bis hin zur Gegenwart.

Mit dem ehemaligen Flugplatz hängt direkt der Nikolaus-Fliegerball zusammen, den Sie für Samstag, den 1. Dezember, im Restaurant „Hopfen- und Biertempel “ planen. Dazu soll sich eine Gesellschaft von Piloten und Kosmonauten einfinden. Wer soll kommen?

Unser Kosmonaut Vladimír Remek hat versprochen zu kommen, außerdem der Saazer Oldřich Pelčák, Reservemitglied der Besatzung, sowie die Legende unter unseren Jagdfliegern, Václav Válek, und weitere Kommandeure, Piloten und Mechaniker vom Saazer Militärflugplatz. Die ganze Aktion organisieren wir im Rahmen des hundertsten Jahrestages der Gründung der ČSR und zur Erinnerung an den Saazer Flugplatz.

Einige der avisierten Projekte wurden bisher nicht realisiert; z. B. das Johannes von-Saaz-Museum.

Dieses Projekt wird wiederum mit dem „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ vorbereitet, aber es wird wahrscheinlich erst nach dem Erwerb eines geeigneten Gebäudes realisiert werden. Ein Erwerb, der bis jetzt noch nicht gelungen ist. An der finanziellen Absicherung arbeiten wir aber schon.

Letztes Jahr hatte der Film „Das Saazer Land “ Premiere, der die Stadt im Kontext der Geschichte zeigt – von der Urzeit bis zum Ende der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bereiten Sie nicht etwas Weiteres vor?

Die Fortsetzung, beginnend mit der Saazer Geschichte in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist eine heikle Angelegenheit, und das betrifft ja nicht nur Saaz. Auch das Geschichtsbuch „Žatec“[4], das im Jahre 2004 herausgegeben wurde, beschreibt diese Zeit nur sehr knapp, allgemein und vorsichtig. Zudem sind manche Dokumente aus Dauer nicht zugänglich oder nicht in Karteien erfasst. Aber wir werden sehen, was die Zeit noch bringt.

Also sagen Sie nicht definitiv nein?

Im nächsten Jahr werden wir eher versuchen, an noch lebende Saazer Zeitzeugen in Israel wegen eines Dokuments heranzutreten, das uns das Leben in der Zeit der 1. Republik näherbringen könnte. Dies würde an das schon fertige [tschechische] Filmdokument „Die Juden von Saaz“ anknüpfen, das auch auf Youtube zu sehen ist, wo Zeitzeugen über Geschichte und Gegenwart sprechen.

Der Film „Das Saazer Land“ beschäftigt sich besonders mit dem Zusammenleben von Tschechen und Deutschen. Sie engagieren sich sehr für diese Thematik. Warum?

Ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft, und da Saaz ja seit dem 18. Jahrhundert überwiegend deutsch war, ist es notwendig, diese Vergangenheit kennen zu lernen — und das mit allen positiven und negativen Aspekten. „Nicht das Vergangene ist Geschichte, sondern das Wissen und die Erkenntnisse des menschlichen Geistes über die Vergangenheit. Diese Erkenntnisse sind unvergänglich, und in ihren Zusammenhängen wird Geschichte offenbar.“ Das sagte der deutsche Historiker Johann Gustav Bernhard Droysen. Ich hoffe, dass es im Film gelungen ist, das zu deutlich zu machen. Es geht aber nicht nur um mein Engagement hinsichtlich des Zusammenlebens mit den Deutschen: Wenn es nicht die ursprünglichen Einwohner, die Juden, die Deutschen, die fleißigen Wolhynien-Tschechen und dann auch noch die in letzter Zeit hinzugekommenen tüchtigen Einwohner von Saaz gegeben hätte, wäre Saaz nicht die berühmte und schöne Stadt, die es heute ist.

In Deutschland nehmen Sie an verschiedenen Treffen teil. Sind Sie im Kontakt mit ehemaligen deutschen Einwohnern von Saaz? Leben noch viele von ihnen?

Es leben nicht mehr viele, aber immer haben sie Interesse an ihrer Geburtsstadt, verfolgen ihre Entwicklung und kommen regelmäßig hierher — privat oder auch manchmal jährlich mit Autobussen. Das gilt auch für die Folgegeneration, die schon in Deutschland geboren ist. Manche haben eine ganz intensive Beziehung zu der Stadt, aus der ihre Eltern oder auch ihre Großeltern stammen. Alles an Saaz gefällt ihnen, und sie schauen es sich staunend an.

Der Verein organisiert in Zusammenarbeit mit dem „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ und der jüdischen Gemeinde Teplitz auch Gedenkakte für die Saazer Juden. Vor ein paar Tagen fand in der Saazer Synagoge die feierliche Verleihung des Titels „Gerechter unter den Völkern“ statt. Wie haben Sie diesen Akt, den Sie moderiert haben, persönlich wahrgenommen?

Die Saazer Synagoge betrete ich immer mit einem Gefühl der Demut. So war das auch bei der Anwesenheit der hohen Gäste, an ihrer Spitze der israelische Botschafter Daniel Meron. Ich bin froh, dass dieser an das bedeutende historische Ereignis erinnerte, als aus unserer Stadt militärische Hilfe an den kleinen Staat Israel ging. Aber nicht nur das: In Saaz ist sich kaum jemand darüber im Klaren, dass Häuser, bedeutende Villen und Hopfenmagazine, die sich um die Eintragung in die Liste des UNESCO-Welterbes bewerben, von Juden errichtet worden sind. Die meisten leben nicht mehr. Ehrendes Erinnern an sie ist ganz gewiss geboten, wie Otokar Löbl in der Synagoge sagte.

Wie schätzen Sie das Saaz von heute im Vergleich mit dem Zustand der Stadt vor achtzehn Jahren ein?

Die Trennung von der Verwaltung des ehemaligen Saazer Kreises hat sehr geholfen, so dass Saaz jetzt als eigenständige Stadt selbständig wirtschaftet und Entscheidungen trifft. Saaz verändert sich — auch dank des Gewerbegebiets Triangel — zu einer modernen, pulsierenden schönen Stadt mit großartiger Architektur. Ich bin froh, dass die neuen Stadtverordneten Zdenka Hamousová wieder an die Spitze der Stadt gewählt haben, die der Stadt auch als Senatorin sehr nützlich ist, und als stellvertretende Bürgermeister Radim Laibl und Jaroslav Spicka, die sich gut verstehen. Es sieht so aus, dass ein neuer Stadtrat endlich anfängt, für die Menschen, die Stadt und ihre Entwicklung ohne die früheren kleinkarierten Streitereien erfolgreich zu arbeiten. Und was tun? Unter anderem würden wir in Saaz eine Mehrzweckhalle brauchen und dazu einen Umbau des Eisstadions.

Was machen Sie im Berufsleben?

Ich beschäftige mich nur mit Dingen, die mir Spaß machen. Dazu gehört z. B. meine Kunstgalerie, in der ich Ausstellungen von renommierten und auch von weniger bekannten Künstlern veranstalte.

Zum Schluss: Ihre Wünsche?

Dass Saaz niemals schläft. Und dass alle, die Saaz „im Blut“ haben, der Stadt helfen und immer gern in ihre Stadt zurückkommen, so wie ich.

Der Beitrag unter dem Originaltitel „Gespräch der Woche: Es ist notwendig, dass Leute helfen, die Saaz im Blut haben“ wurde leicht gekürzt. Übersetzung Helmut Schneider, Redaktion Andreas Kalckhoff.

[1] Zdeněk Svěrák, tschechischer Schauspieler, Dramatiker und Drehbuchautor.

[2] Josef Zábransky, Saazer Geschäftsmann.

[3] Vladimír Halamásek (1929-2008), Philosoph, Historiker, Pädagoge, Journalist, Künstler.

[4] Petr Holodnák (Hg.), Žatec (dt. 1992)