Zur Tausendjahrfeier der Stadt Saaz 2004

Von Herbert Voitl | Rede im Saazer Rathaus vor tschechischen und deutschen Gästen

Professor Voitl bei seiner Rede im Saazer Kulturhaus anlässlich der Millenniumsfeier am 12. September 2004 (Foto: ZATECsetkani)

Professor Voitl bei seiner Rede im Saazer Kulturhaus anlässlich der Millenniumsfeier am 12. September 2004 (Foto: ZATECsetkani)

Ich stehe vor Ihnen als Vertreter (Vorsitzender) des deutschen Vereins „Kulturkreis Saaz e. V.“, der in Roth bei Nürnberg ansässig ist und der seit rund vier Jahren im Gespräch ist mit der hiesigen tschechischen „Vereinigung der gebürtigen Saazer und Freunde der Stadt“ (SRPMŽ), mit der wir eine langfristige partnerschaftliche Zusammenarbeit unter dem Titel „Saazer Weg„verabredet haben und durchzuführen versuchen. Das jüngste Projekt in diesem Programm war gestern eine Vortrags- und Gesprächsserie über Themen aus der Geschichte der Stadt Saaz (drei von der deutschen, drei von der tschechischen Seite, alles in beiden Sprachen). Den Antrag auf Mittel dafür beim Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds hatten wir satzungsgemäß gemeinsam mit der RPMŽ zu stellen. Herr Šimáček, Vorsitzender des RPMŽ, hatte die nicht geringe Mühe, als örtlicher Organisator und Veranstalter in Prag tätig zu sein. Dafür, wie auch für die komplizierte und gelungene Organisation des heutigen Tages in Saaz möchte ich ihm, auch im Namen der anwesenden deutschen Saazer und Saazerinnen, herzlich danken.

Deutsche Saazer und Saazerinnen, das sind also einige von den Menschen mit deutscher Muttersprache, die in Saaz und den Gemeinden des damaligen Bezirkes Saaz geboren wurden, dort wohnten und lebten, die weit überwiegende Bevölkerungsmehrheit von zuletzt rund 80 Prozent bildeten und dann, sofern sie die Saazer und Postelberger Anarchie von 1945 überlebten, fast ohne Ausnahme enteignet und aus der Heimat vertrieben wurden. Sie leben seitdem größtenteils in Deutschland, teils auch in Österreich und anderen Ländern. Es leben heute noch mehrere tausend von ihnen, jedoch können nur noch die jetzt mindestens 65 Jahre alten Menschen persönliche, emotionale Erinnerungen an die alte Heimat haben. So erklärt es sich schon aus Gründen des Alters, der Gesundheit, der Reisefähigkeit, dass die von uns geplante Delegation nur relativ klein ausgefallen ist; denn bei den Jüngeren, die sich zwar zum Teil auch für die Heimat sehr interessieren, sie aber als solche nicht mehr erlebt haben, war der Reiz, zu einem solchen Fest zu fahren, naturgemäß gering.

Den Entschluss, zum Millennium nach Saaz zu fahren, hat mancher von uns gewiss nur mit gemischten Gefühlen gefaßt, nicht zuletzt wegen der in den letzten Monaten eingetretenen enttäuschenden Rückschläge in der hohen Politik. Aber da waren wir uns mit unseren Partnern vom SRPMŽ seit langem einig, dass diese „großen“ Themen nicht auf die lokale Ebene gehören, auf der wir unsere Zusammenarbeit gestalten. Bei den „großen“ Themen wird es wohl auf allen Seiten erst dann Ruhe geben, wenn endlich einmal die internationalen Gerichte vielleicht ihr endgültiges Wort gesprochen haben werden. Vorerst aber sollten wir, so jedenfalls die bei uns vorherrschende Meinung, am unbedingten Willen zum weiteren Ausbau friedlichen Zusammenlebens beider Nationen festhalten, und dieser Wille bildet ja auch die Grundlage unserer – mit dem SRPMŽ – gemeinsamen Arbeit an der Festigung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der gemeinsamen Heimatstadt, einer Arbeit, an der seit einem Jahr auch der ebenfalls in Deutschland neu gegründete „Förderverein Saaz“ tatkräftig teilhat.

Ein wenig Beklemmung vor dem Entschluss, die Reise zum Saazer Millennium anzutreten, mag mancher von uns auch empfunden haben bei dem für uns kaum abweisbaren Gedanken, dass wir hier sozusagen einem Schauspiel beiwohnen sollen, bei dem wir nur Zuschauer und nicht selbst die Darsteller sein können. Es kommt die Frage auf: Wer gratuliert bei diesem Geburtstag eigentlich wem und wofür? Unbeschwert von solchen weittragenden Gedanken bleibt aber, glaube ich, auch für uns ein Kern reiner Festfreude: unser aller Dank an Gott dafür, dass er diese unsere schöne Stadt hat schon so früh entstehen und so lange leben und überleben lassen!

Trotz aller Bedenken erschien es aber doch aus einem Grund dringend wünschenswert, dass eine nicht zu geringe Delegation vertriebener gebürtiger Saazer zustande kommt und hier Präsenz zeigt. Denn es war dieses große Ereignis für uns vielleicht die letzte Gelegenheit, der Jugend und den jüngeren Generationen der heutigen Saazer, die in der Schule von der deutschen Vergangenheit von Saaz, der Vertreibung und den Morden von Postelberg bis vor kurzem gar nichts oder nur Falsches gehört hatten, ein wenig näherzubringen, dass es uns überhaupt gibt. Die seit 1945, und natürlich verstärkt seit 1948, anhaltende gesteuerte Politik des Verheimlichens und Verschweigens hatte das Ziel, den deutschen Anteil an der Geschichte von Saaz in den Gedächtnissen – nicht nur des tschechischen Volkes – ganz zu löschen. Dieser noch bis weit in die 1990er Jahre anhaltenden Tendenz friedlich und korrigierend entgegenzuwirken, betrachten wir als unsere dringendste Aufgabe, denn wir können nicht untätig zulassen, dass man uns nach der Vertreibung aus der Heimat auch noch aus unserer Geschichte vertreibt. Dabei unterstützten uns unsere Partner vom SRPMŽ von Anfang an; so vor zwei Jahren, als sie uns die Kranzniederlegung im Postelberger Fasanengarten ermöglichten und wir für das Thema bei der folgenden Pressekonferenz einen ersten größeren Durchbruch erzielten. Seither beginnt, nach fast sechzig Jahren, die unwürdige Mauer des Schweigens in den Medien mehr und mehr zu bröckeln.

Ein in diesem Sinne erfreuliches Ereignis, genau im Jahre des Millenniums und von der Stadt Saaz unterstützt, ist das Erscheinen eines stattlichen, 500 Seiten starken Buches mit dem Titel „Žatec“, einer Darstellung der Geschichte der Stadt Saaz. Ich habe es erst vor wenigen Tagen in die Hand bekommen und noch nicht ganz und noch nicht gründlich lesen können, kann aber – mit allem Vorbehalt für Einzelheiten – schon jetzt sagen, dass hier ein unerwartet großer, ehrlicher Schritt in der erhofften Richtung getan worden ist; hier wird versucht, aus dem gewohnten Versteckspiel, aus den gewohnten Halbwahrheiten vor allem über die Zeit seit dem Ersten Weltkrieg bis heute, ganze Wahrheiten zu machen. Hier drängt sich das vielzitierte Wort von T. G. Masaryk auf: die Wahrheit beginnt (also doch allmählich) zu siegen, wenn auch vorerst nur auf dem Papier von – wohl meist jungen – Historikern. Das Buch verdient eine schnelle Übersetzung ins Deutsche, weil es – nicht nur – für die Saazer Deutschen lesenswert ist und zur weiteren Befriedung der Verhältnisse beitragen kann.

Mit dieser erfreulichen Bemerkung schließe ich und wünsche uns allen, dass wir diesen für Saaz großen Tag mit Stunden unbeschwerter Freude beschließen und dem Ziel des „Saazer Weges“ ein Stück näherkommen, das der leider verstorbene Jaroslav Venclík bei seiner deutschen Ansprache in Roth 2001 trefflich formuliert hat: „würdiger Ausgleich“ (důstojné vyrovnání).

Anmerkung der Redaktion:
Für das Symposion anlässlich der Tausendjahrfeier der Stadt Saaz gab es leider in Saaz keinen geeigneten Saal. Stattdessen fand es am 10. September 2004 im Prager Waldsteinpalais (Senatsgebäude) mit Simultanübersetzung vor großem Publikum statt. Thema war das tausendjährige tschechisch-deutsche Zusammenleben in politischer und kultureller Hinsicht. Senatspräsident Petr Pithart sprach als Gastgeber die Einführungsworte. Zwei Vorträge von deutscher Seite veröffentlichen wir hier:

Andreas Kalckhoff: Johannes von Saaz und sein „Libellus Ackerman“
Alfred Klepsch: Der Saazer Dialekt