Wird in Postelberg ein Gedenkstein für die Opfer des Postelberger Massakers stehen?

Von Prof. Dr. Adalbert Wollrab

Die tschechische Öffentlichkeit erfährt von „Postelberg“

Prof. Dr. rer. nat. Adalbert Wollrab

Prof. Dr. rer. nat. Adalbert Wollrab

Zu den schrecklichsten Ereignissen der Nachkriegsgeschichte zählt mit Sicherheit der Todesmarsch [1] der deutschen männlichen Bevölkerung der Stadt Saaz am 3. Juni 1945 von Saaz nach Postelberg und die Massenmorde in der Postelberger Kaserne, in Postelberg und in der Umgebung von Postelberg. Die Verbrechen in Postelberg wurden an der deutschen Zivilbevölkerung, an unschuldigen Männern, Frauen und sogar Kindern verübt.

Die Zusammenarbeit des damaligen Vorstandes des Kulturkreises Saaz e. V. unter Vorsitz von Prof. Dr. Herbert Voitl mit dem tschechischen Saazer Verein „Vereinigung der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“ (im weiteren benutze ich für diesen Verein die Abkürzung rodáci) ermöglichte es, dass in Saaz am 19. September 2002 eine Gedenkfeier für die Opfer der Postelberger Massaker, auch mit Einverständnis des Saazer Bürgermeisters, abgehalten werden konnte. Um die Dreifaltigkeitssäule [sogenannte „Pestsäule“] am Marktplatz in Saaz versammelten sich die angereisten [Deutsch-] Saazer Teilnehmer der Feier [2], und vor Vertretern der geladenen tschechischen Presse erstattete unser Saazer Landsmann Peter Klepsch einen Erlebnisbericht, den ich simultan in die tschechische Sprache übersetzte. Es folgte eine Fahrt zur Kranzniederlegung im Fasanengarten bei Postelberg und am Nachmittag eine umfangreiche Pressekonferenz im Hotel Motes in Saaz.

Eine breite tschechische Öffentlichkeit erhielt durch die Zeitungsartikel über diese Feier Kenntnis von den Verbrechen in Postelberg, und dies war der Auslöser dafür, dass sich Medien in der Tschechischen Republik eingehend mit dem Postelberger Massaker befassten. [Beträge dazu leisteten auch] die Wanderausstellung „Die Opfer der kommunistischen Macht in dem nordböhmischen Gebiet in den Jahren 1945-1946″, das in [erstmals n Laun und später auch in] Prag aufgeführte Theaterstück „Porta Apostolorum“[4] und die Sendung des tschechischen Fernsehens über die Morde in Postelberg „Auch Morde bewillkommneten den Frieden“). Diese medialen Ereignisse in der Tschechischen Republik rückten die Postelberger Verbrechen in das Bewusstsein der tschechischen Bevölkerung, und dies ebnete die Wege, die – so hoffe ich – in Postelberg zu einem Denkmal für die Opfer der Postelberger Massaker führen könnte.

Otokar Löbl beantragt eine Gedenktafel in Postelberg 

Einen wichtigen Schritt in diese Richtung machte Herr Otokar Löbl, der Vorsitzende des „Fördervereins der Stadt Saaz“. Dies ist ein in der Bundesrepublik gegründeter Schwesterverein der rodáci unter dem Vorsitzenden Otokar Löbl, der sowohl deutsche als auch tschechische Mitglieder hat. In seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins forderte Löbl im Dezember 2007 den Bürgermeister von Postelberg und den Postelberger Magistrat auf, im Sinne der Aufarbeitung der tschechischen Nachkriegsgeschichte für die Opfer des Postelberger Massakers ein Mahnmal mit einer Gedenktafel zu erstellen.

Der Magistrat der Stadt Postelberg war zunächst dagegen bzw. wollte nur einem Mahnmal mit Gedenktafel zustimmen, die der Opfer allgemein gedenkt – der Kriegsopfer, der tschechischen Opfer des Faschismus und auch der Opfer des Postelberger Massakers. Dem hat Herr Löbl nicht zugestimmt. Gegenüber der Saazer Zeitung „Denik Lucan“ sagte er am 26. August 2008, „dies erscheint mir wie ein Alibismus. In Saaz haben z. B. auch die Opfer im wolhynientschechischen Malin ein Denkmal [5]. Ich bin der Auffassung, dass auch die deutschen Opfer verdienen, geehrt zu werden“.

Der schwierigste Punkt der Verhandlungen mit dem Postelberger Magistrat bezog sich auf den Text des Mahnmals. Schließlich stimmte der Rat der Stadt einer sechsköpfigen Kommission zu, die auf der Sitzung der Postelberger Stadtverordnetenversammlung im 18. Februar dieses Jahres bestätigt wurde und die einen Vorschlag für einen Gedenkstein unterbreiten soll. Ihr gehören an: Jaroslav Vodicka für den Regionalverein der Wolhynien­tschechen, Michael Lichtenstein, der zweite Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Teplitz [6], Walter Urban, ein alteingesessener Postelberger [7], Petr Schöll, Mitglied des Finanzausschusses der Stadt Postelberg, Michal Pehr, ein Historiker und Vorsitzender der Christlich-Sozialen Partei in Laun, und Otokar Löbl. Die Kommission soll die Modalitäten ausarbeiten – wo das Denkmal stehen soll, wie es aussehen soll, die Inschrift der Gedenktafel und wie die Finanzierung erfolgen soll. Der Vorschlag der Kommission muss dann noch die Zustimmung im Stadtrat und der Stadtverordnetenversammlung finden. Die Kommission wird im Frühjahr dieses Jahres tagen.

Podiumsdiskussion in Prag

Im Rahmen der Wanderausstellung „Opfer der kommunistischen Macht in Nordböhmen in den Jahren 1945-1946 – War es gerechte Vergeltung, Rache oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit?“, die sich gerade in Prag befindet, gab es am 26. Februar 2009 eine Podiumsdiskussion in Novodvorská, einem Stadtteil in Prag. Zu dieser Veranstaltung, die als Informationsveranstaltung zu den Postelberger Geschehnissen gedacht war, lud Herr Löbl Bürger von Postelberg, das Stadtparlament und Mitglieder der Kommission ein, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, sich in der Ausstellung und in der Podiumsdiskussion eingehend über die Postelberger Massaker zu informieren. In dieser Podiumsdiskussion schlugen die Emotionen hohe Wellen. Dies ergab sich auch daraus, dass zu der Podiumsdiskussion viele Kommunisten, angeführt von der Sprecherin des Zentralkomitees der tschechischen kommunistischen Partei, und Leute des extremen nationalistischen „Klubs des tschechischen Grenzgebietes“ gekommen waren.

Über die Podiumsdiskussion und die Ausstellung erschien in der „Mladá Fronta DNES“, der in der Tschechischen Republik meistgelesenen Zeitung, ein kurzer Artikel, den ich in deutscher Übersetzung anführe, um dem Leser einen Eindruck über den Verlauf der Podiumsdiskussion zu vermitteln:

Vertreibung oder Abschiebung (odsun)? Oder sollen wir heute Transfer sagen? Es schmerzt und brennt bis heute. Unerwartet hohe Emotionen rief eine Debatte über die Vertreibung, oder wenn sie so wollen, den „odsun“ der Sudetendeutschen hervor. Im Kulturzentrum Novodvorská wurde die Podiumsdiskussion von Otokar Löbl organisiert, der sich schon lange um eine Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen bemüht. Bei der Organisation der Podiumsdiskussion hat die „Mladá Fronta DNES“ geholfen. Ab und zu gab es Schreie aus dem Publikum, voller Emotionen, scharfe Wortgefechte – so als ob nicht schon sechzig Jahre seither vergangen wären. Die geladenen Gäste, die Historiker und Publizisten sprachen in versöhnlichem Geiste. Einer, der Schweizer Historiker Adrian von Arburg, appellierte an die Anwesenden: ‚Wir wollen uns vom Schachterldenken und von der Ideologie loslösen.‘ Seine tschechischen Kollegen, Michal Pehr und Vit Smetana wiesen darauf hin, dass die Vertreibung oder die Abschiebung (odsun) nur eine Reaktion darauf waren, wie sich die Sudetendeutschen vor dem Krieg benommen haben. Das entschuldigt aber nicht die Verbrechen, die nicht in Zweifel gezogen werden dürfen. Die Atmosphäre im Saal war dick. Ein Teil des Publikums wollte eine derartige Diskussion gar nicht zulassen: ‚Die Deutschen haben am Kriegsende in Prag hundert Menschen, Frauen und Kinder verbrannt‘, so argumentierte einer von ihnen. Ein weiterer erklärte, eine solche Debatte zu führen wäre schamlos in einem Prager Stadtteil, wo während des Krieges ein Fallbeil stand und viele unschuldige Leute starben. Die Atmosphäre war auch deshalb so schlecht, weil die Diskussion von einer provokativen Ausstellung begleitet wird, die von der Föderation unabhängiger Schriftsteller im Kulturzentrum veranstaltet wird. Sie versucht zu beweisen, dass die sogenannte Wilde Vertreibung, bei der Deutsche umgebracht und gefoltert worden waren, das planmäßige Werk der Kommunisten war. Damit waren die Historiker und die Publizisten und eine Reihe von Diskutierenden nicht ganz einverstanden: An den Verbrechen beim ‚Transfer‘ (ein neutrales Wort, das Vit Smetana vorschlug) hatten alle Bevölkerungsschichten einen Löwenanteil. Als eine Dame auf den antikommunistischen Charakter der Ausstellung hinwies, reagierte der Publizist Bohumil Doležal: ‚Aber ich bin ein Antikommunist – das darf man doch heute wohl sein! Und auch die übermäßig scharfe, persönliche Debatte, in der es aber keine Ohrfeigen gab, sondern nur Argumente, trägt dazu bei, dass man über alles reden darf.

Diese, vom Chefkommentator der „Mladá Fronta DNES“ Martin Komárek moderierte Podiumsdiskussion hat klar aufgezeigt, mit welchen Voreingenommenheiten, Aversionen und Hassäußerungen man sich auch heute immer noch bei dem Thema Aufarbeitung der Vergangenheit in der Tschechischen Republik auseinandersetzen muss. Die Kommission, die einen Vorschlag für ein Mahnmal in Postelberg erarbeiten soll, wird es nicht leicht haben. Es ist zu hoffen, dass es trotzdem ein Mahnmal für die Opfer des Postelberger Massakers geben wird und vor allem, dass es eine dem Gedenken würdige und der Wahrheit entsprechende Inschrift tragen wird, die den Opfern gerecht wird, und keine nichtssagende Formulierung.

Zur Ausstellung „Opfer der kommunistischen Macht“

Um nochmals auf die Ausstellung zurückzukommen. Sie hat sicherlich dazu beigetragen, dass viele, vor allem auch junge Tschechen, von den an Sudetendeutschen in Postelberg verübten Massenmorden Kenntnis erlangt haben, und dass der tschechischen Bevölkerung nach vielen Jahren kommunistischer Indoktrination neue Erkenntnisse über die Vertreibung gegen bisher festgefressene Klischees vermittelt wurden. Es ist leicht einzusehen, dass es sich für manche Tschechen dabei um einen schmerzlichen Erkenntnisprozess handelt. Die Ausstellung ist objektiv und entspricht den Tatsachen. Sie zeigt auf, dass die Kommunisten einen Löwenanteil der Schuld an den in Postelberg verübten Massakern tragen. Die Massenmorde waren, wie die Ausstellung dokumentierte, nicht eine Explosion des Volkszorns, sondern ein Akt der Staatsmacht. Sie wurden vom tschechoslowakischen Militär geplant, organisiert und von Einheiten der Svoboda-Armee durchgeführt. Die Svoboda-Armee, die der Kommunist General Svoboda befehligte [9], wurde nach Einnahme von Wolhynien [in der Ukraine] durch die Sowjetarmee zusammengestellt. Einer der Haupträdelsführer bei den Massenmorden in Postelberg, Oberleutnant Zícha (Deckname Petrov) wurde später Vorsitzender des Kreisnationalausschusses (Okresni národni vybor [wörtlich „Bezirksnationalausschusses“]) in Saaz und war Kreisvorsitzender der kommunistischen Partei in Saaz.

Die Täter waren allerdings nicht nur die Kommunisten. Sie hatten willige Helfer, vor allem extrem nationalistisch geprägte Tschechen, z. B . im Okresni národni vybor (Nationalausschuss) in Saaz. Dessen seinerzeitiger Vorsitzende Dr. Petraček war kein Kommunist und er war am Organisieren des Todesmarsches der Saazer Männer nach Postelberg maßgebend beteiligt gewesen. Eine entscheidende Rolle spielte schließlich auch die Habgier nach deutschem Eigentum und auch bei manchen Tschechen der Umstand, dass sie durch Dienste für die Nazis Dreck am Stecken hatten und sich durch übereifrigen „Patriotismus“ reinwaschen wollten.

Letztendlich war auch das Postelberger Massaker eingebettet in den Ablauf und in den Rahmen der Vertreibung der Sudetendeutschen, und [waren] die Massenmorde nur möglich, weil die Beneš-Dekrete die entsprechenden Rahmenbedingungen herstellten: durch Enteignung der Deutschen, deren Kennzeichnung [durch Armbinden], deren Einsatz zur Zwangsarbeit und Einweisung in Lager und nachträglich auch noch durch Legalisierung der an Deutschen nach Kriegsende begangenen Verbrechen. Schließlich hatten auch die Teilnehmer der Diskussionsrunde recht, welche behaupteten, dass an den an Sudetendeutschen verübten Verbrechen alle tschechischen Bevölkerungsschichten einen Anteil hatten: alle nach Kriegsende zugelassenen tschechischen Parteien haben im Kaschauer Programm der Vertreibung zugestimmt. Und die Vertreibung von Millionen von Menschen ist eines der größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts.


Anmerkungen der Redaktion:

[1] Unter „Todesmarsch“ versteht man Märsche von Gefangenen von einem Lager zum anderen, die ohne Rücksicht auf die Gesundheit und ohne Verpflegung der Häftlinge über eine große Entfernung durchgeführt wurden, wobei der Tod der Häftlinge nicht nur in Kauf genommen, sondern durch Erschießung von schwachen und kranken Teilnehmern absichtlich herbeigeführt wird. Postelberg liegt 15 Kilometer von Saaz entfernt. Tatsächlich kamen auf dem Hin- und Rückweg einige Häftlinge zu Tode. Auch sind hunderte von ihnen tatsächlich insofern „in den Tod marschiert“, als sie in Postelberg ermordet wurden. Trotzdem ist dieser Marsch nicht mit den bekannten Todesmärschen, etwa dem von Brünn vergleichbar, erst recht nicht mit den Todesmärschen aus KZs , die den Tod der Marschierenden regelrecht zum Ziel hatten.
[2] Herbert Voitl, Fritz Heinzel mit Gattin, Peter Klepsch mit seinem Sohn Alfred Klepsch, Eberhard Heiser, Franz Stopfkuchen, Peter Wagner, Adalbert Wollrab und Otokar Löbl.
[4] Szenische Lesung, deren Namen den lateinischen Ursprungsnamen von Postelberg wiedergibt, das auf ein gleichnamiges Kloster zurückgeht.
[5] Im 2. Weltkrieg wurde das von Wolhynientschechen bewohnte Dorf Český Malín in der Ukraine (heute Malyn) von den Deutschen niedergebrannten und die Einwohner ermordet.
[6] Der Versitzende Oldřich Latal und sein Stellvertreter Michael Lichtenstein nahmen an den Sitzungen der Denkmalkommission abwechselnd teil.
[7] Walter Urbans Vater Franz gehört zu den Ermordeten von Postelberg (siehe Deutschlandfunk, „Postelberg will endlich Ruhe vor dem Zweiten Weltkrieg“, Seite ###).
[9] Ludvík Svoboda trat erst am 11. Oktober 1948 offiziell in die Kommunistische Partei ein. Dem Leiter der Militärmission in Moskau, Heliodor Píka, der den Kommunisten gegenüber kritisch war, gelang es nicht, ihn als Oberkommandieren durchzusetzen. Richtig ist, dass er dem kommunistischen Februar-Putsch nicht entgegentrat. Doch schon 1950 wurde er als Verteidigungsminister entlassen und später sogar verhaftet. Nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 verweigerte Svoboda die Zusammenarbeit mit der von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzten Regierung. Durch Verhandlungen in Moskau erreichte er die Freilassung der dort festgehaltenen Reformer. Ein moskauhöriger Kommunist war er wohl nicht. Neuere Forschungen legen aber nahe, dass er beim russischen Einmarsch im Sommer 1968 eine zumindest zwielichtige Rolle spielte.