Interview mit dem gebürtigen Saazer Petr Šimáček
Von Petr Kinst | Tageszeitung „Lucan“ vom 28. November 2018
Petr Šimáček arbeitete über dreißig Jahre als Redakteur beim Tschechischen Rundfunk, wo er die bekannten Sendungen „Achtung Kurve!“ sowie die „Plaudereien für Erwachsene“ oder die „Blasmusik-Hitparade“ gestaltete. Er ist auch Vorsitzender des „Vereins der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“ — und das seit dem Jahre 2000, als er den Verein gründete. Vor Jahren beteiligte er sich in Saaz an der Organisation verschiedener Schönheitswettbewerbe. Der bekannteste war die Wahl der „Miss Goldenes Getränk“ und danach der „Miss Hopfen und Bier“. In Prag besitzt er eine PR-Agentur, und in einer Kunstgalerie bereitet er Ausstellungen bekannter Künstler und Newcomer vor. Dort ist z. B. gerade eine Schmuckausstellung mit Werken von Zusana Bubilková zu sehen.
Erinnern Sie sich noch, wie der Verein der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz gegründet wurde und warum?
Ich habe zu Saaz eine enge Beziehung – dank der patriotischen Erziehung durch meine Eltern und durch Otto Rohusch, mit dem ich schon als Gymnasialschüler im örtlichen Rundfunk zusammenarbeitete. Im Studio in der Poděbrad-Straße saß ich auf dem Stuhl des berühmten Zdenek Sverák[1], der in Saaz angefangen hat. Zu den Gründern des Vereins gehören außer mir auch Josef Zábransky[2] und Vladimír Halamásek[3].
Und die Gründe für die Gründung des Vereins?
Von Anfang an wollten wir das Interesse der Landsleute und Freunde der „Königlichen Stadt Saaz“ und des Saazerlandes an der Geschichte und Zukunft der Stadt wecken, sie organisieren und ihre Tätigkeiten zum Wohl der Stadt koordinieren. Wir wollten den Tourismus fördern und einen Raum schaffen, der zur Verbesserung des kulturellen Niveaus beiträgt und zur Prosperität der Stadt, mit dem Ziel des Wiederauflebens der einst so berühmten historischen Stadt. Wir wollten in den Bürgern einen gesunden Patriotismus wecken – und dies vor allem bei den Kindern und Jugendlichen.
Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, an denen sich der Verein beteiligt. Welche davon würden Sie als die wichtigsten ansehen?
Ich würde das Welttreffen der Saazer zur Tausendjahrfeier der Stadt hervorheben. Am 11. September 2004 konnte Saaz zweieinhalbtausend gebürtige Saazer und Förderer mit ihren Familien aus der ganzen Welt willkommen heißen. Ein Gesellschaftsabend mit einem großen kulturellen Programm sowie Musik und Tanz beendete die zweitägigen Veranstaltungen. Teil der Feier auf dem Saazer Marktplatz war das Backen der größten Torte der Welt mit Tausenden brennender Kerzen, das im tschechischen „Guinness-Buch der Rekorde“ erwähnt wird.
Soviel ich weiß, war das nicht Ihr einziger Rekord.
Richtig. Ich organisiere auch große Musikfestivals, und dort fielen die Rekorde. Bei einem Blasmusikkonzert in der Prager Tesla-Arena tanzten 4340 Tänzer unter einem Dach zu dem Lied „Unter einem Dach“. Und in der Sazka-Arena traten in der größten Blasmusik-Show Europas sechzehn Kapellen auf.
Kehren wir zu Saaz zurück. Berühmt war ja auch Ihre Wette um ein Fass Bier hinsichtlich der Woche der Blasmusik im Saazer Sommerkino. Es ging darum, ob Sie das große Amphitheater mit Zuschauern füllen können.
Die Wette habe ich gewonnen. Eine ganze Woche lang füllten zweieinhalbtausend Zuschauer das Amphitheater, die mit Bussen aus allen Regionen der Umgebung kamen. Der damalige Bürgermeister der Stadt, Jiří Farkota, erklärte, dass wir der einzige Verein sind, der es fertig bringt, alle Plätze des Sommerkinos zu füllen. Das gewonnene Fass Bier – natürliche hatten wir noch weitere dazugekauft – hat der Organisationsstab ausgetrunken.
Können Sie noch einige Aktivitäten des Vereins nennen?
Es gibt Dutzende. Ich möchte die Projekte erwähnen, bei denen wir mit dem „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ und seinem Vorsitzenden Otokar Löbl aus Frankfurt am Main zusammenarbeiten. Bestandteil des Projekts „Die Juden von Saaz“ ist eine ständige Ausstellung in der Saazer Synagoge. Wir wollen auch eine Gedenkstätte mit der Dokumentation der Geschichte des Saazer Militärflugplatzes einrichten, beginnend mit dem deutschen Anteil an der Geschichte des Flugplatzes, mit den Zwangsarbeitern bei seiner Erbauung, über die Situation nach 1945, die Luftbrücke zwischen Saaz und Israel im Jahre 1948, bis hin zur Gegenwart.
Mit dem ehemaligen Flugplatz hängt direkt der Nikolaus-Fliegerball zusammen, den Sie für Samstag, den 1. Dezember, im Restaurant „Hopfen- und Biertempel “ planen. Dazu soll sich eine Gesellschaft von Piloten und Kosmonauten einfinden. Wer soll kommen?
Unser Kosmonaut Vladimír Remek hat versprochen zu kommen, außerdem der Saazer Oldřich Pelčák, Reservemitglied der Besatzung, sowie die Legende unter unseren Jagdfliegern, Václav Válek, und weitere Kommandeure, Piloten und Mechaniker vom Saazer Militärflugplatz. Die ganze Aktion organisieren wir im Rahmen des hundertsten Jahrestages der Gründung der ČSR und zur Erinnerung an den Saazer Flugplatz.
Einige der avisierten Projekte wurden bisher nicht realisiert; z. B. das Johannes von-Saaz-Museum.
Dieses Projekt wird wiederum mit dem „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ vorbereitet, aber es wird wahrscheinlich erst nach dem Erwerb eines geeigneten Gebäudes realisiert werden. Ein Erwerb, der bis jetzt noch nicht gelungen ist. An der finanziellen Absicherung arbeiten wir aber schon.
Letztes Jahr hatte der Film „Das Saazer Land “ Premiere, der die Stadt im Kontext der Geschichte zeigt – von der Urzeit bis zum Ende der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bereiten Sie nicht etwas Weiteres vor?
Die Fortsetzung, beginnend mit der Saazer Geschichte in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist eine heikle Angelegenheit, und das betrifft ja nicht nur Saaz. Auch das Geschichtsbuch „Žatec“[4], das im Jahre 2004 herausgegeben wurde, beschreibt diese Zeit nur sehr knapp, allgemein und vorsichtig. Zudem sind manche Dokumente aus Dauer nicht zugänglich oder nicht in Karteien erfasst. Aber wir werden sehen, was die Zeit noch bringt.
Also sagen Sie nicht definitiv nein?
Im nächsten Jahr werden wir eher versuchen, an noch lebende Saazer Zeitzeugen in Israel wegen eines Dokuments heranzutreten, das uns das Leben in der Zeit der 1. Republik näherbringen könnte. Dies würde an das schon fertige [tschechische] Filmdokument „Die Juden von Saaz“ anknüpfen, das auch auf Youtube zu sehen ist, wo Zeitzeugen über Geschichte und Gegenwart sprechen.
Der Film „Das Saazer Land“ beschäftigt sich besonders mit dem Zusammenleben von Tschechen und Deutschen. Sie engagieren sich sehr für diese Thematik. Warum?
Ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft, und da Saaz ja seit dem 18. Jahrhundert überwiegend deutsch war, ist es notwendig, diese Vergangenheit kennen zu lernen — und das mit allen positiven und negativen Aspekten. „Nicht das Vergangene ist Geschichte, sondern das Wissen und die Erkenntnisse des menschlichen Geistes über die Vergangenheit. Diese Erkenntnisse sind unvergänglich, und in ihren Zusammenhängen wird Geschichte offenbar.“ Das sagte der deutsche Historiker Johann Gustav Bernhard Droysen. Ich hoffe, dass es im Film gelungen ist, das zu deutlich zu machen. Es geht aber nicht nur um mein Engagement hinsichtlich des Zusammenlebens mit den Deutschen: Wenn es nicht die ursprünglichen Einwohner, die Juden, die Deutschen, die fleißigen Wolhynien-Tschechen und dann auch noch die in letzter Zeit hinzugekommenen tüchtigen Einwohner von Saaz gegeben hätte, wäre Saaz nicht die berühmte und schöne Stadt, die es heute ist.
In Deutschland nehmen Sie an verschiedenen Treffen teil. Sind Sie im Kontakt mit ehemaligen deutschen Einwohnern von Saaz? Leben noch viele von ihnen?
Es leben nicht mehr viele, aber immer haben sie Interesse an ihrer Geburtsstadt, verfolgen ihre Entwicklung und kommen regelmäßig hierher — privat oder auch manchmal jährlich mit Autobussen. Das gilt auch für die Folgegeneration, die schon in Deutschland geboren ist. Manche haben eine ganz intensive Beziehung zu der Stadt, aus der ihre Eltern oder auch ihre Großeltern stammen. Alles an Saaz gefällt ihnen, und sie schauen es sich staunend an.
Der Verein organisiert in Zusammenarbeit mit dem „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ und der jüdischen Gemeinde Teplitz auch Gedenkakte für die Saazer Juden. Vor ein paar Tagen fand in der Saazer Synagoge die feierliche Verleihung des Titels „Gerechter unter den Völkern“ statt. Wie haben Sie diesen Akt, den Sie moderiert haben, persönlich wahrgenommen?
Die Saazer Synagoge betrete ich immer mit einem Gefühl der Demut. So war das auch bei der Anwesenheit der hohen Gäste, an ihrer Spitze der israelische Botschafter Daniel Meron. Ich bin froh, dass dieser an das bedeutende historische Ereignis erinnerte, als aus unserer Stadt militärische Hilfe an den kleinen Staat Israel ging. Aber nicht nur das: In Saaz ist sich kaum jemand darüber im Klaren, dass Häuser, bedeutende Villen und Hopfenmagazine, die sich um die Eintragung in die Liste des UNESCO-Welterbes bewerben, von Juden errichtet worden sind. Die meisten leben nicht mehr. Ehrendes Erinnern an sie ist ganz gewiss geboten, wie Otokar Löbl in der Synagoge sagte.
Wie schätzen Sie das Saaz von heute im Vergleich mit dem Zustand der Stadt vor achtzehn Jahren ein?
Die Trennung von der Verwaltung des ehemaligen Saazer Kreises hat sehr geholfen, so dass Saaz jetzt als eigenständige Stadt selbständig wirtschaftet und Entscheidungen trifft. Saaz verändert sich — auch dank des Gewerbegebiets Triangel — zu einer modernen, pulsierenden schönen Stadt mit großartiger Architektur. Ich bin froh, dass die neuen Stadtverordneten Zdenka Hamousová wieder an die Spitze der Stadt gewählt haben, die der Stadt auch als Senatorin sehr nützlich ist, und als stellvertretende Bürgermeister Radim Laibl und Jaroslav Spicka, die sich gut verstehen. Es sieht so aus, dass ein neuer Stadtrat endlich anfängt, für die Menschen, die Stadt und ihre Entwicklung ohne die früheren kleinkarierten Streitereien erfolgreich zu arbeiten. Und was tun? Unter anderem würden wir in Saaz eine Mehrzweckhalle brauchen und dazu einen Umbau des Eisstadions.
Was machen Sie im Berufsleben?
Ich beschäftige mich nur mit Dingen, die mir Spaß machen. Dazu gehört z. B. meine Kunstgalerie, in der ich Ausstellungen von renommierten und auch von weniger bekannten Künstlern veranstalte.
Zum Schluss: Ihre Wünsche?
Dass Saaz niemals schläft. Und dass alle, die Saaz „im Blut“ haben, der Stadt helfen und immer gern in ihre Stadt zurückkommen, so wie ich.
Der Beitrag unter dem Originaltitel „Gespräch der Woche: Es ist notwendig, dass Leute helfen, die Saaz im Blut haben“ wurde leicht gekürzt. Übersetzung Helmut Schneider, Redaktion Andreas Kalckhoff.
[1] Zdeněk Svěrák, tschechischer Schauspieler, Dramatiker und Drehbuchautor.
[2] Josef Zábransky, Saazer Geschäftsmann.
[3] Vladimír Halamásek (1929-2008), Philosoph, Historiker, Pädagoge, Journalist, Künstler.
[4] Petr Holodnák (Hg.), Žatec (dt. 1992)