Sehnsuchtsort Altböhmische Küche
Die tschechische Küche hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Das gilt auch für das Essen in den Restaurants. Für Liebhaber der altböhmischen Küche, wie es sie seit den seligen k. u k.-Zeiten bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts gab, mag das eine Enttäuschung sein. Aber wo, bitteschön, gibt es bei uns noch altdeutsche Küche? Das eine oder andere Gericht vielleicht, aber selbst ländliche Gaststätten kommen nicht mehr ohne Anleihen bei der Mittelmeer- und Asia-Küche aus. Dieser Trend, unterstützt von einem internationalen Lebensmittelangebot, das bis in die Dorfläden und Discounter vorgedrungen ist, hat zu einer gewissen Einheitsküche in Europa geführt. Tschechien macht da keine Ausnahme.
Diese realistische Bestandsaufnahme sei vorausgeschickt, damit der Autor im Folgenden nicht als hoffnungsloser Nostalgiker belächelt wird. „Nostalgie“ heißt wörtlich Heimweh – gemeint ist die Sehnsucht nach den alten Zeiten. Ja, der Autor, der in seiner eigenen Küche umstandslos auch italienisch und asiatisch kocht, bekennt sich dazu, dass er nicht zuletzt nach Böhmen fährt, um dort Böhmische Knödel mit dicken Mehl- und Sahnesoßen zu essen, die kräftig nach Knoblauch, Meerrettich oder Bratensaft schmecken. Bei seinem ersten Besuch in Saaz und Prag 1968 kam er da noch voll auf seine Kosten.
Verfall der tschechischen Esskultur
Das änderte sich schon in den späten Achtzigern, als der Kommunismus in den letzten Zügen lag: die Portionen wurden kleiner, die Fleischsoßen dünner. Aber man bemühte sich, aus dem bißchen, was man hatte und bezahlen konnte, das Beste zu machen. Vor allem: die Küche blieb unverwechselbar. Noch am Anfang des neuen Jahrhunderts galt das. Doch dann begann sich allmählich im Gast aus Deutschland eine gewisse Enttäuschung breit zu machen. Weniger, weil sich die Speisekarten immer mehr mit Modegerichten von europäischer Beliebigkeit füllten. Das konnte er verstehen, schließlich wollte vor allem die Jugend auch kulinarisch den Anschluss an das lange versperrte westliche Ausland. Ärgerlicher war, dass die böhmische Kochkunst zu verfallen schien.
Der neue Wohlstand bekam der Küche nicht. Wenn die Teller früher übersichtlich aussahen – ein Stück Fleisch, Soße und Knödel, dazu ein kleiner Salat –, begann sich plötzlich alles mögliche „Gemüse“ auf den Tellern zu tummeln, vor allem in Form von Rohkost. Mehr ist aber oftmals weniger, wenn die Beilagen kulinarisch keinen Sinn machen. Andererseits ließ die Qualität der Produkte nach und dazu die Kunst, schmackhafte Soßen zu machen und Fleisch richtig zu braten. Überhaupt das Handwerkliche: Konvenienzprodukte aus Tiefkühltruhe und Plastikeimern ersetzten frisch zubereitete Speisen. Es mußte ja schnell gehen, man wollte schnell Geld verdienen. Am Ärgerlichsten aber war die mangelnde Produktkenntnis: „Sirloin Steak“, „Entrecôte“ oder „Filet Steak“ standen zwar auf der Karte, aber man bekam irgend ein undefinierbares, zähes Stück Fleisch, das totgebraten war, egal wie man es bestellt hatte.
Hoffnung auf Besserung: zwei neue Lokale
Natürlich gab es diesen Qualitätsverfall nicht überall, aber die Köche und Besitzer wechselten oft so schnell, dass man nicht mehr auf dem Laufend war. Früher konnte man sicher sein, in Saaz fast überall gut, ja sehr gut zu essen. Jetzt wurde es zum Lotteriespiel. Dass die Entwicklung auch umkehrbar ist, will ich an zwei erfreulichen Neueröffnungen beschreiben, die gewiss nicht zufällig in der Hand desselben Besitzers sind: das El Toro Steak House und ein Restaurant mit dem merkwürdigen Namen „steišn“ oder „[stei‘šn]“ – wohl die Lautschrift für das englische Wort „station“, weil es am Busbahnhof liegt. Beide Lokale propagieren ausdrücklich eine moderne, internationale Küche. Das ist, wenn es gelingt, besser als eine heruntergekommene altböhmische Küche. Und es ist gelungen.
Das El Toro Steak House Restaurant liegt gleich neben dem Lokal des Hopfen- und Biertempels und tut schon deshalb gut daran, sich von dessen altböhmischem Stil abzusetzen. Es gibt dort, wie der Name nahe legt, hauptsächlich Grillgerichte, nicht nur Rindfleisch, sondern auch vom Schwein und aus dem Meer. Kulinarischer Höhepunkt sind die Steaks vom kanadischen Black Angus-Rind, die jedoch nicht immer verfügbar sind, wie die Speisekarte ehrlicherweise zugibt. Auf jeden Fall versteht man etwas von Rindfleisch und seiner Zubereitung auf dem Grill. Das Entrecôte, das ich hier im Frühjahr gegessen habe, war geschmacklich von höchster Qualität und perfekt gebraten. Lieber amerikanische Grillkultur als ein Svíčková, dessen trockene Scheiben im Leben nicht vom Rindsfilet („Lungenbraten“) stammen und von Fertigknödeln begleitet sind! Auch das bekam ich schon in Saaz vorgesetzt.
Das Steišn-Restaurant am Busbahnhof nahe der „Drehscheibe“ (Kruhové náměstí) ist seit kurzem in der gleichen Hand wie das El Toro. Obwohl man im Vorgängerlokal auch nicht schlecht gegessen hat, ist der Besitzerwechsel doch ein Gewinn. Auf einem Flachbildmonitor, auf dem früher nervige Werbung lief – stummgeschaltete Fernsehschirme sind in Saazer Lokalen generell eine Plage –, kann man jetzt den Koch bei der Zubereitung einiger Küchen-Highlights beobachten. Dabei läuft einem durchaus schon mal das Wasser im Mund zusammen und man denkt: Wenn die Zutaten tatsächlich alle so frisch sind, wie auf dem Video, kann hier nichts schiefgehen! Tatsächlich wird das Versprechen eingelöst. Die Speise sahen nicht nur so aus wie im Film, sondern waren auch perfekt zubereitet. Stellvertretend für alle sei hier der Hamburger erwähnt, ein scheinbar anspruchsloses Gericht, aber selten von akzeptabler Qualität, was Fleisch und Brötchen betrifft. Und was sonst ist ein Hamburger?
Aufbegehren gegen schlechtes Essen!
Die Restaurantkultur im Wandel: das ist ein Thema, das sich offensichtlich in Saaz wieder zum Besseren wendet. Egal ob altböhmische oder internationale Gerichte – man wünscht sich die Liebe der böhmischen Hausfrau für gute Zutaten und sorgfältige Zubereitung in die Küchen der Gasthäuser zurück. Kochen ist Kultur. Die Mangelwirtschaft des Kommunismus hat am Ende vieles von der böhmischen Esskultur zerstört, und was nicht er, schaffte danach der wilde Kapitalismus der neutschechischen Gründerjahre („Marktwirtschaft ohne Attribut“). Kultur ist keine Einbahnstraße. Sie entsteht nur mit Hilfe eines kritischen und sachkundigen Publikums. Ich wünsche mir Gäste, die gegen liebloses Essen aufbegehren, und Gastronomie-Kolumnen in den Saazer Zeitungen, die böhmische Ess- und Trinkkultur kritisch begleiten.
Hier geht es zu den Adressen und Homepages Saazer Restaurants …
Der Jüdische Friedhof in Saaz – Spendenaufruf
Den Jüdischen Friedhof in Prag, wo Rabbi Löw den berühmten Golem gemacht haben soll, kennt jeder. Er wurde, als Teil des Prager Ghettos, liebevoll restauriert und zieht heute als beeindruckendes Denkmal jüdischer Kultur in Böhmen jährlich Tausende von Besuchern an. Doch was ist mit den vielen anderen jüdischen Friedhöfen in der Tschechischen Republik? Insbesondere in den ehemals deutschen Städten, die vor dem Krieg bedeutende jüdische Gemeinden hatten?
Zum Beispiel Saaz. Die jüdische Gemeinde von Saaz hatte 1930 laut Volkszählung 760 Mitglieder. Der jüdische Friedhof, heute in der Ulica Trnovanska, wurde 1859 angelegt. Einige der Grabsteine, die deutsche, tschechische und hebräische Inschriften tragen, stammen noch aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Saazer Juden teilten unter der Naziherrschaft das Schicksal ihrer europäischen Brüder und Schwestern. Eine jüdische Gemeinde gibt es seit 1945 nicht mehr in Saaz. Seitdem verfällt der Friedhof. 1976 fand die letzte jüdische Bestattung auf dem Friedhof statt. Die Jüdische Gemeinde von Teplice bezahlt heute den Friedhofsverwalter durch Wohnrecht im alten Küsterhaus.
Zwischen 1975 und 1991 unternahmen Bürger aus Saaz und jüdische Gruppen aus dem übrigen Böhmen erste Anstrengungen, die durch die Nazis und späteren Vandalismus verursachten Schäden auf dem Friedhof zu beseitigen.
Seit 2003 hat sich der „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ zum Ziel gesetzt, aus dem Friedhof eine Gedenkstätte für die ermordeten jüdischen Bürger zu machen und die Synagoge zu restaurieren. Am 20. März 2004 traf er mit der Jüdischen Gemeinde Teplitz eine beglaubigte Vereinbarung hinsichtlich der gemeinsamen Planung und Finanzierung des Vorhabens.
Als erster Schritt wurde anlässlich der Tausendjahrfeier der Stadt Saaz am 11. September 2004 vom Vorsitzenden des Fördervereins eine Gedenktafel für die Juden von Saaz mit der Aufschrift „Schalom“ enthüllt. Zugegen waren Vertreter der Jüdischen Gemeinde Teplitz sowie tschechische Einwohner und ehemalige deutsche Bürger von Saaz.
Viel ist indes noch zu tun: Wir wünschen uns, dass der jüdische Friedhof und die Synagoge – eine der wenigen, die 1938 von den Nazi nicht völlig zerstört wurden, weil eine beherzte Saazer Feuerwehr eingriff – zu attraktiven Gedenkstätten der jüdischen Kultur im Saazer Land und in Böhmen werden. Dabei sind wir jedoch auf finanzielle Mithilfe angewiesen.
Wir bitten Sie deshalb herzlich um eine Spende für die im Vertrag mit der Jüdischen Gemeinde Teplitz genannten Zwecke. Sie erhalten für Ihre Spende eine steuerabzugfähige Quittung, in welcher der besondere Zweck ausdrücklich genannt ist. Die Vereinbarung mit der Jüdischen Gemeinde lautet:
Abkommen über Zusammenarbeit zwischen der jüdischen Gemeinde Teplitz-Schönau in Tschechien und dem Förderverein der Stadt Saaz|Žatec mit Sitz in Georgesgmünd in Deutschland, über die Zusammenarbeit hinsichtlich der Herrichtung und Wiederherstellung des jüdischen Friedhofs in Saaz, der Vorbereitung eines Gedenkakts im November 2004 und der Wiederherstellung der Saazer Synagoge. Auf der Grundlage dieses vorliegenden Plans wird sich der Förderverein an der Akquisition finanzieller Mittel zur Durchführung des Projekts und an seiner gemeinsamen Vorbereitung und Durchfügrung beteiligen.
Förderverein Saaz|Žatec e. V.
Spendenkonto Nr. 146048110
Nassauischen Sparkasse Frankfurt (NASPA) BLZ 510 500 15
IBAN: DE17 5105 0015 0146 0481 10
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Vielen Dank
Große Koalition will deutsch-tschechische Zusammenarbeit fördern
Deutsch-Tschechischem Zukunftsfonds wird Perspektive über 2017 hinaus geöffnet
Von Martina Schneibergová | Radio Prag 27. November 2013, Nachrichten
Die Spitzen von Union und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt und darin dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds (DTZF) eine Perspektive über 2017 hinaus zugesichert. „Wir begrüßen außerordentlich die Priorität, die der Koalitionsvertrag den deutsch-tschechischen Beziehungen beimisst“, erklärte der tschechische Geschäftsführer des Zukunftsfonds Tomáš Jelínek am Mittwoch. „Für uns ist das ein starkes Signal, dass unsere Arbeit für Versöhnung, Verständigung und Kooperation von Tschechen und Deutschen auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens in Deutschland trifft“, ergänzte der deutsche Geschäftsführer Joachim Bruss.
Im Kapitel „Starkes Europa: Europäische Außen- und Sicherheitspolitik“ bekennt sich die große Koalition dazu, „bilaterale Initiativen mit unseren mitteleuropäischen Partnern“ ausbauen zu wollen. „Dem Deutsch- Tschechischen Gesprächsforum und dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds sichern wir eine Perspektive über 2017 hinaus“, heißt es im Wortlaut.
Die Regierungen beider Länder hatten die Entstehung des Zukunftsfonds in der Deutsch-Tschechischen Erklärung vom Januar 1997 festgeschrieben und 2006 eine Verlängerung der Tätigkeit um weitere zehn Jahre beschlossen. Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds fördert gezielt Projekte, welche die Menschen beider Länder zusammenführen, Einblicke in die Lebenswelten, die gemeinsame Kultur und Geschichte ermöglichen und die Zusammenarbeit stärken.
„Denn sie blicken voll Hass auf uns …“
Gedenkakt zum 75jährigen Jahrestag der “Reichskristallnacht”
Im Buch Ester des Alten Testaments, des gemeinsamen Buchs von Juden und Christen, betet Esters Onkel Mordechai zu Gott, das von Ausrottung bedrohte Volk Israel zu retten: „Gott Abrahams, verschone dein Volk! Denn sie blicken voll Hass auf uns und wollen uns ins Verderben stürzen. Sie sind darauf aus, uns zu vernichten … Hör auf mein Flehen, hab Erbarmen mit uns und verwandle unsere Trauer in Freude, damit wir am Leben bleiben und deinen Namen preisen, Herr. Lass den Mund derer, die dich loben, nicht verstummen!“
Mordechais Gebet ist eines der Stücke aus den „Ester-Liedern“, die der in Saaz gebürtige Komponist Karl Reiner im Ghetto Theresienstadt in höchster Not komponierte und zur Aufführung brachte. 75 Jahre nach der „Reichskristallnacht“, mit der in Saaz und anderen Orten die Vernichtung der böhmische Juden begann, führte die Prager „Jazz Khonspiracy“ diese Musik in den immer noch wüsten Räumlichkeiten der Saazer Synagoge auf. Zuvor war mit Kranzniederlegungen und Ansprachen der Ereignisse von 1938 gedacht worden. Wandtafeln aus der Ausstellung „Die Juden von Saaz“ dienten zu ihrer Illustration.
Der deutsche „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ und der örtliche „Verein der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec“ hatte mit Unterstützung des Eigentümers der Synagoge, Daniel
Černý, und der Stadt Saaz zu dieser Gedenkveranstaltung eingeladen. Bürgermeisterin Zdeňka Hamousová drückte ihre Freude darüber aus, dass das jährliche Gedenken an die Auslöschung der jüdischen Gemeinde von Saaz mittlerweile zu einer Institution geworden ist. Aufgrund der 75jährigen Wiederkehr und des attraktiven Konzerts nahmen noch mehr Menschen teil als sonst. Anwesend war auch ein Vertreter der deutschen Botschaft, Sozialreferent Norbert Axmann, der ein Blumengebinde niederlegte. Entsprechend war auch die Aufmerksamkeit der regionalen und nationalen Medien (siehe Link zum Bericht des lokalen Fernsehens).
Žatecká OK plus (Saazer Fernsehen)
Jazz Khonspiracy spielt „Mordechais Gebet“ in Laun (Louny), September 2013
Ausstellung „Die Juden von Saaz“
Wie Otokar Löbl, der Vorsitzende des „Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec“ in seiner Rede ausführte, stellt Herr Černý die Synagoge demnächst für eine Dauerausstellung zur Verfügung. Ab Sommer nächsten Jahres wird „Die Juden von Saaz“ dort auch in deutscher und englischer Sprache zu sehen sein.
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Einladung zum Gedenkakt: 75 Jahre „Reichskristallnacht“
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten wie in Deutschland so auch im Saazerland die Synagogen. In einer geplanten Aktion gingen die Nationalsozialisten gewaltsam gegen jüdische Einrichtungen, Geschäfte und einzelne Bürger vor.
In Saaz brannte die Inneneinrichtung der Synagoge aus, weiterer Schaden wurde durch die beherzte deutsche Feuerwehr verhindert. Wegen der vielen eingeschlagenen Schaufenster und der landesweiten Planung ging dieses Staatspogrom in den Volksmund als „Reichskristallnacht“.
Der „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ in Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde Teplitz, der Stadt Saaz, dem „Verein der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“, dem Heimatkreis Saaz und dem neuen Besitzer der Synagoge, Daniel Černy, lädt in Erinnerung an das Schicksal der jüdischen Saazer Mitbürger zu einem Gedenkakt vor dem
Haupteingang der Synagoge
am Freitag, den 8. November 2013, 17.00 Uhr
ein. Anschließend spielt in der Synagoge die Prager Gruppe „Jazz Khonspiracy“ die Werke des jüdischen Saazer Komponisten Karl Reiner, „Mordechai-Gebet“ und „Esther Lieder“.
Karel (Karl) Reiner (1919-1979) kam in Saaz als Sohn eines jüdischen Kantors zur Welt, studierte im Wiener Konservatorium Musik und war dann in Prag Schüler von Zdeněk Nejedlý, Alois Hába und Josef Suk. Als Konzertpianist engagierte er sich 1931-1938 für die „Neue Musik“ und führte u. a. die Vierteltonwerke seines Lehrers Hába auf. 1943 wurde er in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er der Komponistengruppe angehörte. Er war der einzige Überlebende aus dieser Gruppe. 1944 wurde Reiner in das KZ Auschwitz und später in das KZ Dachau gebracht, wo er die Befreiung durch die Amerikaner erlebte.
In Theresienstadt entstand die Komposition zum Esther-Spiel, das dort auch aufgeführt wurde. Mitwirkenden der Aufführung gelang später zusammen mit dem Libretto-Autor Milan Kuna die Rekonstruktion des Werkes, dessen Aufzeichnungen verloren gegangen war. Nach 1945 arbeitete Reiner weiter als Komponist und diente dem kommunistischen Staat als Vorsitzender des Tschechischen Musikfonds und Mitglied des tschechischen Komponistenverbandes. Aus Enttäuschung über die Kommunisten trat er nach der Niederschlagung des Prager Frühlings aus der KPČ aus. 1975 vertonte er fünf Gedichte des DDR-Dissidenten Reiner Kunze.
Reiner hinterließ ein umfangreiches Werk, u. a. Opern, Ballettmusik, Konzerte für Violine, Klavier und Bassklarinette, Kammermusik, Orgel- und Klavierstücke, Chöre und Lieder, Schauspiel- und Filmmusik. Der von Miro Bernat realisierte Kurzfilm Motýli tady nezijí (Schmetterlinge leben hier nicht, 1958) mit der Musik von Reiner wurde 1959 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Karl Reiner starb 1979 in Prag.
Bierkultur im tschechischen Žatec
Im Biertempel von Žatec, dem ehemaligen Saaz, ist immer noch viel von der leidvollen Geschichte der Vertreibungen zu spüren.
Von Norbert Bartnik | Main-Echo Online, 1. November 2013
Einst galt das nordböhmische Žatec, früher Saaz, als Welthopfenhauptstadt, dort wird die böhmische Brautradition lebendig. Viele alte Gebäude erinnern an die kulturelle Vielfalt, die nach dem Zweiten Weltkrieg verloren ging.
Normalerweise stehen Leuchttürme an der Küste, um Seefahrern bei der Orientierung zu helfen. Der Leuchtturm von Žatec steht mitten in der Stadt und hilft Bierfreunden bei der Orientierung. Das kuriose Bauwerk ist Teil eines neuen Erlebnismuseums, das über die Bierkultur der böhmischen Stadt informiert. Von der Aussichtsplattform genießt man einen weiten Blick über die Stadt, die einst von Brauereien, Hopfenlagern und Handelshäusern geprägt wurde. Im 19. Jahrhundert galt Žatec, damals Saaz, als „Welthopfenhauptstadt“, aus der Hopfen von besonders hoher Qualität in alle Kontinente exportiert wurde. Die Aufschrift „Gebraut mit Saazer Aromahopfen“ galt bei vielen Biermarken als Inbegriff von Qualität.
Noch heute kann man am Stadtrand einige Anbauflächen erkennen. Von den vielen Brauereien im Nordwesten Böhmens sind allerdings nur noch wenige übrig geblieben. Aber es gibt den „Biertempel“, ein originelles Museum, in dem die eng mit der Hopfenverarbeitung verknüpfte Geschichte der Region erzählt wird.
„In den letzten Jahren sind in Tschechien 130 neue Hausbrauereien gegründet worden“, erzählt Museumsmanager Jiří Vent, während er die Besucher durch den Turm führt. „Das ist eine Reaktion auf die internationalen Bierfirmen, die den Markt beherrschen.“
Vent, der früher selbst in der Hopfenbranche gearbeitet hat, macht keinen Hehl aus seiner Verachtung für die großen Marken:
„Achtzig Prozent der europäischen Biere sind schlecht. Das kann man eigentlich gar nicht trinken.“
Viel wichtiger als aufwendige Brautechnik ist nach seiner Einschätzung die Tradition:
„Man muss sein Handwerk beherrschen, und das wird vom Großvater auf den Vater und von diesem wieder auf den Sohn weitergegeben.“
Es ist eine romantische, auf sympathische Weise weltfremde Sicht der Dinge, die in Žatec noch gepflegt wird. Jiří Vent erzählt bei dem Rundgang durch das Museum aber auch vom Niedergang der Hopfenkultur als Folge von Kriegen und NS-Terror:
„Aber den Hopfen hat man im Blut. Die Emigranten haben ihre Kultur auch in den USA oder Südafrika bewahrt“.
Im Biertempel wird die Kultur der Region spannend in Szene gesetzt. In einer nur spärlich beleuchteten Lagerhalle laufen die Besucher durch ein aus Hopfensäcken gebildetes Labyrinth und landen immer mal wieder in einer Sackgasse, bis sie in einem Alchemistenlabor ankommen, das mit seinen Geisterbahneffekten besonders junge Gäste anspricht. Im Untergeschoss geht es um die Geschichte des Hopfenanbaus.
Die Tschechen liegen im durchschnittlichen jährlichen Bierkonsum von knapp 160 Litern pro Person weltweit klar in Führung, erst auf dem zweiten Platz folgen die Deutschen mit knapp 110 Litern. Für die Qualität gebe es ein ganz einfaches Testverfahren, meint Vent:
„Wer am Abend viel Bier getrunken hat und am nächsten Morgen mit einem klaren Kopf aufwacht, kann sicher sein, dass es ein gutes Bier war.“
Im Gasthaus „U Orloje“ neben dem Museum kann man testen, ob das auch für die hellen und dunklen Spezialitäten aus der Hausbrauerei gilt.
Am Grab des ältesten Biertrinkers der Welt
Auf dem Ringplatz (námestí Svobody) im Stadtzentrum ist eine merkwürdige Grabplatte in den Boden eingelassen. An dieser Stelle wurde das Skelett eines Mannes entdeckt, neben dem ein tönernes Gefäß, ein paar Hopfenreste und eine Tontafel mit sieben Kerben in der Erde lagen. Der Tote wurde zum „ältesten Biertrinker der Welt“ ernannt, die Tafel als älteste erhaltene Bierrechnung bewertet. Das ist zwar nicht ernst gemeint, aber immerhin wurden die sieben Kerben zum Logo des Vereins, der den „Tempel des Hopfens und des Bieres“ begründete. Beim Hopfenfest Docesná, das jeweils im September gefeiert wird, herrscht auf den Straßen und Plätzen der Stadt immer noch viel Trubel.
Nachgewiesen ist, dass schon 1261 in Saaz Bier gebraut wurde. Heute wird diese Tradition nur noch von der Hausbrauerei neben dem Museum und der Žatec-Brauerei, die sich auf dem Gelände der alten Burg befindet, fortgesetzt. Andere ehemalige Brauereien, Hopfenlager und Fabriken stehen dagegen leer und verfallen allmählich. Gleiches gilt für so manche Villen, in denen einst die Handelsherren residierten. Der Putz blättert von den Fassaden, die dekorativen Statuen am Dachfirst sind nur notdürftig gesichert.
Vor vielen Ladengeschäften in der von Laubengängen gesäumten Hoštálkovo námestí sind die Jalousien heruntergelassen, und es sieht nicht so aus, als würden sie jemals wieder hochgezogen werden. Jahrhundertelang hatten Tschechen, Deutsche und Juden in Saaz vergleichsweise friedlich zusammengelebt. Nur noch die brüchigen alten Häuser erinnern an die kulturelle Vielfalt, die nach dem Krieg unwiederbringlich verloren ging.
Die Synagoge, deren Innenräume 1938 von den Nazis verwüstet wurden, blieb zwar erhalten, aber es gibt keine jüdische Gemeinde mehr, die sie nutzen könnte. So ist die Zukunft des Gebäudes noch ungewiss. Es dient nur noch als Kulisse für historische Filme. Überhaupt wird Žatec wegen seiner alten Bausubstanz gerne von Filmteams besucht, wenn es gilt, Szenen mit dem Flair der Vorkriegszeit zu drehen.
Die leidvolle Geschichte von Flucht und Vertreibung ist in Žatec noch spürbar. Die jüdischen Bürger, denen es nicht gelang, vor dem Einmarsch der Wehrmacht zu emigrieren, wurden von den deutschen Besetzern im Zweiten Weltkrieg deportiert und ermordet. Nach Kriegsende kam es zu Racheakten an den deutschen Bewohnern, ganz egal ob sie an den Nazi-Gräueln beteiligt waren oder nicht. Im Juli 1945 wurden über 700 deutsche Männer und Jungen im Alter von 15 bis 60 Jahren von tschechischen Militärs in Saaz zusammengetrieben, in den Nachbarort Postelberg gebracht und auf dem dortigen Kasernengelände erschossen. Die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen.
Auch in Aussig (heute Ústí nad Labem) gab es 1945 ein Massaker an deutschen Einwohnern. In der 70 Kilometer von Žatec entfernten Stadt ist jetzt eine groß angelegte Ausstellung geplant, die vom Leben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Böhmen erzählt, vom Trennenden und Verbindenden, aber auch von den Verfolgungen und Vertreibungen. Das Collegium Bohemicum, das viele deutsch-tschechische Kulturveranstaltungen organisiert, hat dafür in einer ehemaligen Knabenschule geeignete Räumlichkeiten bekommen.
„Schon jetzt kommen viele Besucher aus Deutschland hierher, die eine Ausstellung sehen wollen, die es eigentlich noch gar nicht gibt“, sagt der Historiker Thomas Oellermann, der die Präsentation organisiert. „Wir wollen keine Konflikte verbergen, aber auch zeigen, dass es über die Jahrhunderte hinweg eine fruchtbare Zusammenarbeit der Kulturen gegeben hat“.
Erinnerungen an den Gablonzer Glasschmuck
An Modellen kann man sehen, was in den Räumen einmal gezeigt werden soll, auch einige Ausstellungsstücke sind schon vorhanden, darunter alte Handwerksgeräte, Wirtshausschilder, Gablonzer Glasschmuck, Werbung für Elbogener Pumpernickel und eine „deutsche Volksgasmaske“. Eine Barrikade aus Büchern steht für die gescheiterte Revolution von 1848, die zugleich einen Wendepunkt markiert: Tschechische und deutsche Nationalisten gehen von nun an getrennte Wege, daneben wird der jüdische Weg thematisiert, der in das Konzentrationslager von Theresienstadt führt.
Die Vertreibung der Sudetendeutschen nach 1945 wird durch einen großen Schlüssel symbolisiert.
„Nachdem die Bewohner ihre Habseligkeiten auf die Wagen geladen und die Türen ihre Häuser verschlossen hatten, mussten sie den Behörden den Haustürschlüssel übergeben“, erzählt Oellermann.
Am Ende der Ausstellung steht die deutschsprachige Literatur – Werke von Franz Kafka, Egon Erwin Kisch, Gustav Meyrink und vielen anderen Autoren, die in Prag und anderen Städten des Landes lebten.
Es hat mehr als 60 Jahre gedauert, bis man so weit war, fern von allen Ideologien die gemeinsame Geschichte des Landes zu erzählen. Diese neue Offenheit macht den Besuch in den nordböhmischen Städten zu einem besonderen Erlebnis.
US-Unternehmen investiert im Saazer Land
Das US-amerikanische Unternehmen Johnson Controls will seine Produktionskapazitäten im Industriegebiet Triangle bei Žatec ausweiten.
In diesem Zusammenhang plant es in den kommenden drei Jahren Investitionen von insgesamt 1,3 Milliarden Kronen. An dem Standort in Nordböhmen in der Region Ústí nad Labem (Aussig) sollen dabei über 500 neue Arbeitsplätze entstehen. Beim Ministerium für Industrie und Handel liegt ein Antrag des Unternehmens zur finanziellen Unterstützung der Investition vor, über den die tschechische Regierung heute entscheiden wolle.
Das berichtete die Internet-Site „prag aktuell“ am 24. Oktober 2013.
Quellen:
http://www.prag-aktuell.cz
Novinky.cz