Der dornige Weg zu einer Gedenktafel für die Opfer des Postelberger Massakers

Von Adalbert Wollrab | Rede in der sudetendeutschen Begegnungs- und Bildungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen am 6. Oktober 2010

Professor Dr. rer. nat. Adalbert Wollrab ist am 9. Juni 1928 in Saaz als Sohn eines Kaufmanns geboren, der in russischer Gefangenschaft starb. Als Antifaschist durfte er mit seiner Mutter in der Tschechoslowakei bleiben. Er arbeitete dort am Institut für organische Chemie und Biochemie in Prag und emigrierte 1968 nach Deutschland, wo er drei Jahre später einen Ruf als Professor in Gießen erhielt.

Prof. Dr. rer. nat. Adalbert Wollrab

Prof. Dr. rer. nat. Adalbert Wollrab

Nach Stalingrad, als der Ausgang des Krieges schon abzuschätzen war, haben sich viele vielleicht  gefragt, wie die Sieger sich uns gegenüber wohl verhalten werden. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch, das ich mit meiner Großmutter in dieser Zeit geführt habe. Großmutter meinte, dass dem, der sich hat nichts zu Schulden kommen lassen, nichts geschehen könne. Sie hätte in der BBC ja gehört, dass der Krieg gegen Hitler und die Nazis, nicht aber gegen das deutsche Volk geführt würde. Ich entgegnete ihr, dass ich das nicht glaube, dass man nicht fragen wird, wie sich wer verhalten hat; vielmehr wird man nur fragen, ob du ein Deutscher bist. Die Nachkriegsgeschehnisse in meiner Heimatstadt haben mir leider Recht gegeben.

Im Mai 1945 besetzten zunächst die Russen die Stadt Saaz und die umliegenden Dörfer. Furcht ging in der Bevölkerung um, denn Plünderungen und Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Noch während der russischen Besatzung kamen aber auch schon Tschechen, die alle Ämter besetzten, es kamen tschechische Polizisten und auch Einheiten der regulären tschechoslowakischen Armee, der sog. Svoboda-Armee.

Der Terror von Seiten der Sowjetsoldaten ging nahtlos über in einen Terror der Tschechen. Die Deutschen mussten weiße Binden tragen und waren der Willkür und Rache der Tschechen ausgesetzt. Die Tschechen bereicherten sich an dem Eigentum der Deutschen, sie setzten sich in deren voll ausgestattete Häuser und waren, ohne jemals einen Finger gerührt zu haben, auf einmal Hauseigentümer. Deutsche Betriebe wurden von „Nationalverwaltern“ besetzt, die deutschen Bewohner wurden in Auffanglager getrieben, die die Tschechen selbst als koncentračni tábor, „Konzentrationslager“, bezeichneten. Die Saazer und die Postelberger gehörten zu den Sudetendeutschen, die den tschechischen Terror besonders zu spüren bekamen.

Die Postelberger Massaker

Die Stadt Postelberg wurde durch den Hauptstab des tschechischen Verteidigungsministeriums zum Hauptstandort des 1. Divisionsstabs bestimmt. Drei Operationseinheiten wurden nach Postelberg beordert, die dem General Španiel unterstellt waren. Die Massenmorde an wehrlosen Deutschen im Raume Postelberg wurden von tschechoslowakischen Militäreinheiten organisiert und auch durchgeführt (1) (2).

Am Sonntag, dem 3. Juni, ab 7 Uhr früh sprengten tschechische Reiter durch die Stadt Saaz und trieben die gesamte männliche Bevölkerung der Stadt, gleich ob Krüppel oder Kranke, alt oder jung auf den Marktplatz. Zu einer Kundgebung, wie es hieß. Mit Gewehrkolbenhieben und Peitschenschlägen wurden sie empfangen. Am Marktplatz war bereits ein Panzerwagen mit bemanntem MG aufgestellt. Der Postbeamte Gansl, ein Sozialdemokrat, der sich etwas verspätet hatte, wurde erschossen. Die auf dem Marktplatz versammelten Deutschen mussten zusehen. Sie wurden von den tschechischen Soldaten mit Peitschen und Knüppeln geschlagen.

Alte Reiterkaserne in Postelberg

Alte Reiterkaserne in Postelberg

Nach Aufstellung in Sechserreihen wurden etwa 5.000 Männer im Alter von 13 bis 65 Jahren unter Bewachung von Soldaten in drei Kolonnen nach dem 15 km entfernten Postelberg getrieben. Postelberg schien ausgestorben, da man die Bevölkerung schon vorher interniert oder umgebracht hatte. In Postelberg steht eine 100 Jahre alte, in Form eines Rechtecks erbaute Kaserne. Dort wurden die deutschen Männer von den Soldaten der Svoboda-Armee und ihren Helfershelfern gequält, gedemütigt, gefoltert und viele auch umgebracht. Es waren viele Hunderte von Saazern, die dort ermordet wurden. Auch vor 14- und 15-jährigen Kindern machte man nicht halt. Vor den Augen der auf dem Kasernenplatz zusammengetriebenen deutschen Männer wurden fünf Knaben zunächst ausgepeitscht und dann erschossen.

Verwischung der Spuren der Postelberger Massenmorde

Um die Spuren des Gemetzels zu verwischen, wurden Soldaten der Einheit Nr. 2142 aus Theresienstadt herangeholt, die die Leichen in einer streng geheimen Aktion exhumieren mussten (3). Diese Aktion begann am 17. August und endete am 27. August 1947. Die Leichen wurden zur Verbrennung in die Krematorien nach Brüx und Theresienstadt gebracht. Der Bericht spricht von 763 Leichen, die exhumiert worden sind, darunter fünf Frauen.

Trotz der Versuche, die Postelberger Massenmorde geheim zu halten, gingen anonyme Schreiben mit Hinweisen beim tschechoslowakischen Parlament in Prag ein. und dieses setzte eine Untersuchungskommission ein. In einem Geheimdokument dieser Kommission wurde die Lage von vier Massengräbern angegeben und die Zahl der Toten auf 2.200 Opfer geschätzt.

Als nach dem Attentat auf Heydrich im Mai 1942 in Lidice 181 tschechische Männer erschossen wurden, weil dort angeblich die Attentäter versteckt worden waren, schrie die ganze Welt auf. Lidice ist auch heute noch ein Begriff für die Unmenschlichkeit des Naziregimes (3). Als die Weltöffentlichkeit von den ungeheuren Massenmorden an unschuldigen Deutschen Zivilisten, auch an Frauen und Kindern erfuhr, gab es merkwürdigerweise kaum eine Reaktion. Die Menschenrechte scheinen eben nicht für alle zu gelten, es gibt eine heuchlerische Doppelmoral.  Auch heute noch, auch in der Europäischen Union.

Verbrechen eines solch ungeheuren Ausmaßes konnten nicht geheim gehalten werden

Trotz aller Bestrebungen diese ungeheuerlichen Verbrechen von Postelberg geheim zu halten, erfuhr die Weltöffentlichkeit doch von diesen Taten. Einer, der als erster im Ausland über das Postelberger Massaker geschrieben hat, war der spätere Bundeskanzler Willy Brandt: als Korrespondent der norwegischen „Arbeiterpresse“ in einer Reportage vom 10. Januar 1946 in der deutschsprachigen US-Wochenzeitung „Der Wanderer“. Er berichtete, daß in Postelberg Leute auf der Erde im Freien schlafen mussten, dass Gewehrsalven auf die Leute abgefeuert wurden, Prügelkommandos in das Lager geschickt und Leute totgeschlagen wurden. Er berichtete auch von den fünf Jungen, die in Postelberg erschossen wurden (4).

1951 erschien im sogenannten „Sudetendeutschen Weißbuch“, also auch an die breitere deutsche Öffentlichkeit gerichtet, ein die ganzen Vorgänge von Postelberg umfassender Augenzeugenbericht vom früheren Saazer Oberamtsrichter Dr. Franz Freyer. In den Folgejahren erschienen weitere solche Gesamtberichte, so vom Hauptlehrer Rudolf Fischer, vom Gymnasialprofessor Franz Worzfeld und von Hubert Prim; und speziell über den Leidensweg der Postelberger Deutschen schrieb Egon Putz sowie Hilde Dalbert-Gundermann.

Unser Landsmann Erich Hentschel (5) hat in unermüdlicher Arbeit auf Grund von Zuschriften und Aussagen von Zeitzeugen die Namen der Opfer des tschechischen Terrors im Kreis Saaz und die Umstände, wie sie zu Tode gekommen sind, ermittelt. In der Sonderausgabe „Genozid“ des „Heimatbriefes Saazerland“ sind es 1633 Namen, die er anführt.

1995, 2002 Stanek, Verfolgung (Buchtitel)In der Tschechischen Republik erschien ein Buch von Tomáš Staněk, Perzekuce („Verfolgung“) (6), das sich mit den an Deutschen verübten Gräueltaten, vor allem auch mit den Massenmorden von Postelberg befasst. Auch in der Presse der Tschechischen Republik hat es einige Aufsätze von Tschechen über die Postelberger Verbrechen gegeben. Die Journalisten Květa Tognerovä und David David Hertl schrieben 1995 in zwei aufeinander folgenden Aufsätzen in der Launer Zeitung Svobodný Hlas unter dem Titel „Wehe den Besiegten“ über das Postelberger Massaker sehr offen und wahrheitsgemäß (mit Untertiteln wie z. B. „Das Massakrieren von Unschuldigen“, „Massenmorde an der Tagesordnung“, „Zeugnis derer, die ihrem eigenen Tod entronnen sind“ und „Wo sind die tausende Deutschen aus Postelberg und Saaz?“ (7)

Ebenfalls in dieser Zeitung erschien 1996 der ebenfalls auf die Postelberger Verbrechen bezogene Artikel Byla to války po válce („Es war ein Krieg nach dem Kriege“) mit dem Untertitel „Das nächste Mal scharrt die Leichen ordentlich ein“ (8). Im Interview mit dieser Zeitung erzählt nämlich [der Staatsanwalt] Dr. Kotas, der die Postelberger Ereignisse untersuchen hat, daß der Bürgermeister zum Standortkommandanten gekommen ist mit der Aufforderung: „Man sieht noch die Hände der Leichen aus dem Boden ragen, das nächste Mal müsst ihr sie wenigstens richtig einscharren!“ (5, Zitat Reißmüller)

Die Gedenkfeier 2002 in Saaz für die Postelberger Mordopfer und ihre Wirkung auf die Öffentlichkeit

In Saaz gründeten die dort geborenen Tschechen eine „Vereinigung der gebürtigen Saazer und Freunde der Stadt Saaz“. Sie suchten einen neuen Weg der Verständigung mit den vertriebenen deutschen Bürgern aus Saaz und bezeichneten ihn als „Saazer Weg“, mit dem Motto „Durch geschichtliche Wahrheit zur Verständigung“. Mit dem Angebot einer Zusammenarbeit traten sie an den „Kulturkreis Saaz“ in Georgensgmünd heran. Der Kulturkreis Saaz e. V. befasste sich mit der Saazer Geschichte und betreute die „Saazer Heimatstube“ in Georgensgmünd.

Kranzniederlegung Im "Lewanitzer Fasanengarten" in Postelberg

Kranzniederlegung Im „Lewanitzer Fasanengarten“ in Postelberg

In Georgensgmünd wurde am 10. Dezember 2000 eine Vereinbarung beider Vereine zur Zusammenarbeit getroffen. Unter anderem ermöglichte sie, daß eine Delegation von Mitgliedern des Kulturkreises Saaz und des Heimatkreises Saaz – Eberhard Heiser, Peter Wagner, Otokar Löbl,  Herbert Voitl, Fritz Heinzel, Adalbert Wollrab, Peter Klepsch und Alfred Klepsch sowie von der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) Österreich Herr Mück) – am 19. November 2002 in Saaz auf dem Marktplatz unter Beisein der Presse eine Gedenkfeier für die in Saaz und Postelberg ermordeten Deutschen abhalten konnte, mit der Rede eines Zeitzeugen, unseres Saazer Landsmannes Peter Klepsch, die ich simultan tschechisch übersetzte. Anschließend fuhren wir zur Kranzniederlegung in den Lewanitzer Fasanengarten, wo damals unsere Landsleute umgebracht wurden. Auch die SL Österreich legte, vertreten durch Herrn Mück einen Kranz nieder.

Die tschechische Bürgermeisterin von Postelberg und zahlreiche Pressevertreter waren ebenfalls anwesend. In Saaz gab es danach eine gut besuchte Pressekonferenz, an der unter anderem auch die CTK (die tschechische Presseagentur) und ein Journalist der Mladá Fronta DNES, des in Tschechien meistgelesenen Blattes, anwesend waren. In vielen Zeitungen wurde über die Gedenkfeier geschrieben und damit die schrecklichen Massenmorde auch den Tschechen vor Augen geführt.

Szeneische Lesung "Porta Apostolorum" im Deutsches Kulturforum östliches Europa, Berlin

Szenische Lesung „Porta Apostolorum“ im Deutschen Kulturforum östliches Europa, Berlin

Diese Gedenkfeiern in Saaz und Postelberg war der Auslöser dafür, daß sich die tschechischen Medien auch danach mit den schrecklichen Morden in Postelberg befassten. Der Dramatiker Bambušek führte 2005 in Prag im Theater „La Fabrik“ das Theaterstück „Porta Apostolorum“ auf, das die Massenmorde in Postelberg zum Gegenstand hat. Auf die Frage, warum er sich mit diesem Thema befasste, sagte er: „Weil die Erinnerung abgerissen ist, fünfzig Jahre kommunistischer Diktatur haben sie ausgelöscht. Wo die Öffentlichkeit versagt, müssen diese Themen dem Publikum eben über Bühnendokumentationen nahegebracht werden.“

Am 17.  Dezember 2007 wurde um 22.15 Uhr vom Zweiten Tschechischen Fernsehen im Rahmen des Serials „Historie.cs“ eine Sendung unter dem Titel „Auch Morde begrüßten den Frieden“ (Tak vrady pfivitaly mir) ausgestrahlt, die mit schonungsloser Offenheit über die Postelberger Massenmorde berichtete. Schließlich befasste sich mit dem Postelberger Massaker auch noch eine Wanderausstellung des tschechischen Unabhängigen Schriftstellerverbandes, die in der tschechischen Republik an vielen Orten (Kaaden, Laun, Saaz, Prag) über das Postelberger Massaker informierte.

Der schon erwähnte tschechische „Verein der gebürtigen Saazer und Freunde der Stadt Saaz“ gab Anlass zu der Gründung des „Fördervereins der Stadt Saaz| Žatec“ mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland, der 2004 in Nürnberg registriert wurde. Ihm gehören Deutsche und Tschechen als Mitglieder an. Der Verein griff die Ziele des „Saazer Weges“ auf und sollte ihn auch finanziell unterstützen. Er hat sich auch für eine Gedenktafel für die Opfer der Postelberger Massaker stark eingesetzt, besonders der Vorsitzende dieses Verein, Otokar Löbl, und Uta Reiff, die Kassenwartin des Vereins und nunmehrige Vorsitzende des „Saazer Heimatkreises“, deren Vater in Postelberg ermordet worden war.

Eine Gedenktafel in Postelberg für die Opfer des Postelberger Massakers wird endlich Wirklichkeit

Schon vor vielen Jahren hatten Saazer Landsleute ein Denkmal für die Opfer des Postelberger Massakers errichten wollen. Diesbezügliche Anträge wurden in den Jahren 2002 und 2005 eingereicht und von den Stadtverordneten der Stadt Postelberg abgelehnt. Der zunehmende Druck der tschechischen Medien zeigte aber Wirkung, er brach den jahrelangen Widerstand der Postelberger Kommunalpolitiker, und die [Postelberger] Stadtverordneten stimmten der Einsetzung einer, auch mit einem Historiker besetzten Kommission zu, die einen Vorschlag für eine Gedenktafel ausarbeiten sollte.

Zu einem Denkmal haben sie sich dennoch nicht durchringen können. Die Kommission schlug [für eine Gedenktafel] die Aufschrift „Den Opfern des Postelberger Massakers des Jahres 1945″ vor. Der Heimatkreis Saaz wollte in der Aufschrift aber den Ausdruck „deutsche Opfer“ haben. Dies wurde verweigert, den Stadtverordneten gefielen die Ausdrücke „deutsche Opfer“ und „Massaker“ nicht. Der Antrag für die Gedenktafel wäre fast gescheitert, doch ein Stadtverordneter, der Arzt Miloslav Fišer, meldete sich in der Stadtverordnetensitzung zu Wort und sagte [sinngemäß]: Ich bin eindeutig für eine Pietätsstätte. Das Recht, der Toten zu gedenken, hat jeder Hinterbliebene, wer es auch sei. Es möge zu sehen sein, dass die Stadt sich diesem Problem stellt, selbst das Handeln übernimmt und sich diese Sache nicht von deutschen Vereinen zahlen lässt. Er schlug außerdem vor, das Wort Massaker durch das Wort Ereignis zu ersetzen, anstelle des Wortes „deutsche Opfer“ den Ausdruck unschuldige Opfer zu setzen. Schließlich einigten sich die Postelberger Stadtverordneten auf den Text „Allen unschuldigen Opfern der Postelberger Ereignisse im Mai und Juni 1945″. Dem stimmten 14 Stadtverordnete zu, vier enthielten sich der Stimme. Man einigte sich darauf, die Gedenkplatte sollte an der Friedhofsmauer, gleich beim Eingang des Postelberger Friedhofes angebracht werden.

Der Politologe und Publizist Bohumil Doležal

Der Politologe und Publizist Bohumil Doležal

Die tschechische Zeitung Lidov noviny brachte dazu mit der Überschrift „Pietät auf Postelberger Art“ einen Kommentar des tschechischen Wissenschaftlers Prof. Doležal: „Es wäre ungerecht, die Bemühungen der Kommissionsmitglieder zu bagatellisieren, die sich zweifellos aufrichtig und mutig bemüht haben, die Ermordeten zu ehren. Ein großes Fragezeichen schwebt nur über der Überzeugung der Stadtvertreter, daß sich die Stadt auf diese Weise definitiv mit seiner Geschichte ausgeglichen hat. Sie haben nur etwas getan, was um ein Quäntchen besser ist, als wenn sie einen Gedenkstein für alle unschuldigen Opfer aller Ereignisse und aller Zeiten gesetzt hätten. Schildbürgerstreich ist dafür ein verharmlosendes Wort. Am Ende sind aus dem ‚Massaker‘ Ereignisse geworden. Wozu man anderswo Massenmord sagt, das ist bei uns nur ein Ereignis.“

Die pietätvolle Einweihung der Gedenkplatte

Schon am 2. Juni, dem Vortage der Einweihung der Postelberger Gedenkplatte kamen unsere Saazer Landsleute mit einem Autobus nach Saaz und wurden im Hotel Schwarzer Adler untergebracht. So konnten wir noch am Vortage zusammensitzen und uns unterhalten. Am nächsten Tag fuhren die deutschen Teilnehmer des Festaktes mit dem Autobus nach Postelberg zum Friedhof von Postelberg. Viele Landsleute fuhren auch mit dem eigenen Auto nach Postelberg. Nun, am 3. Juni 2010, war es endlich so weit: die Gedenkplatte zum Gedenken an die Tausende von Sudetendeutschen, die im Mai und Juni in Postelberg und Umgebung ermordet worden waren, wurde endlich eingeweiht. Nach 65 Jahren!

In Anwesenheit des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Prag, Johannes Haindl, des Historikers Michal Pehr, des Bürgermeisters von Postelberg, Miroslav Hylak, des Bürgermeisters von Saaz, Erich Knoblauch und dem Vertreter der Jüdischen Gemeinde in Teplitz, Herrn Lebowitz, fand eine würdige Feier statt. Wohl an die hundert unserer sudetendeutschen Landsleute waren zu dieser Feier angereist. Die Feier wurde von einem tschechischen Chor mit dem Ave Verum von Mozart eingeleitet. Der Akt der Enthüllung der Gedenkplatte wurde durch Peter Klepsch, unserem Landsmann, der damals auch nach Postelberg getrieben worden war, und dem Postelberger Bürgermeister gemeinsam vorgenommen.

Einweihung  PfarerDann erfolgte die Kranzniederlegung, zunächst von den offiziellen Vertretern der Gedenkfeier. Der deutsche Botschafter in der Tschechischen Republik, Herr Haindl, legte einen Kranz nieder, ebenso der Bürgermeister von Postelberg. Peter Klepsch legte für den „Heimatkreis Saaz“ einen Kranz unter die Gedenktafel. Es ist besonders zu erwähnen, dass auch der tschechische Politiker Graf Karl zu Schwarzenberg, der nunmehr Außenminister der Tschechischen Republik ist, für die Feier einen Kranz geschickt hat. Auch unsere angereisten Landsleute legten Kränze und Blumensträuße unter die Gedenkplatte nieder.

Nach der Kranzniederlegung erfolgten die Gedenkreden. Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Johannes Haindl, hielt eine kurze Ansprache zur Ehrung der Opfer. Dr. Pehr wies in seiner Rede darauf hin, dass der Krieg immer die schlechten Seiten des Menschen zum Vorschein bringt, er sprach von wahnsinnigen Morden an Deutschen. Er sagte, dass wahllose Morde an der deutschen Zivilbevölkerung und an deutschen Soldaten geschahen und es neben anderen furchtbaren Aktionen auch das Postelberger Massaker gab. All diese schrecklichen Taten wurden danach zu einem absoluten Tabu. Er schloss seine Rede mit den Worten: „Ich bin froh Menschen gefunden zu haben, die über das Schweigen hinweg den Mut hatten, dieses Thema an die Öffentlichkeit zu bringen.“

Die Vorsitzende des Heimatkreises Saaz, Uta Reiff, erinnerte in ihrer Rede an die furchtbaren Leiden der unschuldigen deutschen Opfer, die in Postelberg gefoltert und hingerichtet wurden. Sie bedauerte, dass aus der Aufschrift nicht zu erkennen ist, dass es deutsche Opfer waren.

Der Postelberger Stadtpfarrer segnete die Gedenkplatte, und die pietätvolle Feier wurde vom tschechischen Chor mit dem Lied des sudetendeutschen Heimatdichters Anton
Günther „‘s is Feieromd“ beendet, in das auch die anwesenden Landsleute einstimmten.

2010-06#03-03_Postelberg_GedenkkreuzIm Anschluss an die Gedenkfeier fuhren noch Autokolonnen in den Lewanitzer Fasanengarten, zu dem Ort, an dem viele unserer deutschen Landsleute umgebracht worden sind. Dort befindet sich ein Kreuz mit einer Tafel, deren Inschrift an die Morde an Deutschen erinnert. Sie lautet: „Nutzlosen Opfern 1943-5. Hier stand ein Arbeitslager für Häftlinge aus gemischten jüdischen Familien. Im Jahre 1945 wurde es zu Foltern und Liquidierung deutscher Bevölkerung missbraucht.“ Der etwas befremdende Ausdruck „nutzlos“ dürfte ein Übersetzungsfehler sein, das [tschechische] Wort zbyten ist mit „überflüssig“ oder „entbehrlich“ zu übersetzen. Nach einer Zeitzeugenaussage unseres Postelberger Landsmannes Josef Pipping ist der Text der Tafel allerdings dahingehend zu berichtigen, dass sich das Arbeitslager der Organisation Todt nicht dort befand, wo das Kreuz steht, also im Lewanitzer Fasanengarten, sondern im Postelberger Fasanengarten. Richtig ist, dass am Ort des aufgestellten Kreuzes hauptsächlich das Massaker an den Saazer Männern geschah, nur befand sich dort kein Lager, sondern nur dichter Wald.

Über die Gedenkfeier wurde auch im tschechischen Fernsehen, in ARD und ZDF und in der Presse berichtet. Nachdem im tschechischen Fernsehen der Dokumentarfilm „Töten auf tschechisch“ ausgestrahlt worden war, in dem auch über das Massaker von Postelberg berichtet wurde, wurden auch in der Reihe „Historie“ im ZDF und ebenso in 3Sat und Phönix Ausschnitte dieses tschechischen Dokumentarfilms gezeigt. Allerdings durfte da, um die an Deutschen begangenen Verbrechen im Sinne der Political Correctness zu relativieren, der Einmarsch deutscher Truppen in die Resttschechei und die Vergeltungsmaßnahmen der Nazis nach dem Attentat auf Heydrich nicht fehlen.

Es ist notwendig, immer wieder über die Vertreibung, die Massenmorde und die an Deutschen begangenen Verbrechen zu berichten, auch nach 65 Jahren, denn auch heute noch und als Mitglied der Europäischen Union besteht die Tschechische Republik auf der Gültigkeit der Beneš-Dekrete. Es ist notwendig, die tschechische Öffentlichkeit mit der Wahrheit über ihre Nachkriegsgeschichte zu konfrontieren, denn der weitaus größte Teil der tschechischen Bevölkerung sieht die Vertreibung der Sudetendeutschen als richtig und gut an. Die Tschechen haben ihre verbrecherische Vergangenheit noch immer nicht auch nur ansatzweise bewältigt. Darüber können auch einzelne Aktionen, wie die Postelberger Gedenkfeier nicht hinwegtäuschen. Man kann diese Einstellung der Tschechen nur ändern, wenn man ihnen die Wahrheit sagt und damit eine Bewusstseinsänderung herbeiführt. Wir sind ein Engagement in dieser Sache unserer Volksgruppe schuldig, damit man nicht noch sudetendeutsche Opfer zu Tätern stempelt.

Anmerkungen:
  1. „Vorbericht zum Fall Postelberg und Saaz vom 28. Juli 1947“, in: Andreas Kalckhoff (Hg.), Versöhnung durch Wahrheit. Der Fall Postelberg und seine Bewältigung 1945-2010.
  2. „Die Verhöre der parlamentarischen Untersuchungskommission Saaz 30./ 31. Juli 1947“, in: Andreas Kalckhoff (Hg.), Versöhnung durch Wahrheit. Der Fall Postelberg und seine Bewältigung 1945-2010.
  3. „Lidice“ (Wikipedia).
  4. Vgl. Andreas Kalckhoff (Hg.), Versöhnung durch Wahrheit. Der Fall Postelberg und seine Bewältigung 1945-2010), S. 253-254.
  5. Heimatbrief Saazerland, Sonderausgabe Genozid. Forchheim, o. J. [2005]; Johann Georg Reißmüller, in FAZ 02.12.2000.
  6. Tomáš Staněk: Perzekuce 1945: Perzekuce tzv. státně nespolehlivého obyvatelstva v českých zemích (mimo tábory a věznice) v květnu-srpnu 1945. Praha (ISE) 1996.
    Deutsche Ausgabe: Tomáš Staněk: Verfolgung 1945. Die Stellung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien (außerhalb der Lager und Gefängnisse). Wien, Köln, Weimar (Böhlau) 2002
  7. „Běda poraženým!“, in: Svobodny Hlas 05.10.1995, S. 4. – Dt. und cs. „Wehe den Besiegten!“ Von Kveta Tošnerova und David Hertl, in: Andreas Kalckhoff (Hg.), Versöhnung durch Wahrheit. Der Fall Postelberg und seine Bewältigung 1945-2010.
  8. Svobodny Has 17.10.1996, S 5.

In eckigen Klammern stehen Ergänzungen der Redaktion zum besseren Verständnis.