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Literaturwettbewerb in Saaz

2001, 2002, 2003 und 2004 veranstaltete der tschechische Verein der „Landsleute und Freunde der Stadt Saaz Žatec“ und ab 2004 auch der deutsche „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ in Zusammenarbeit mit der Saazer Stadtverwaltung und dem Kulturkreis Saaz e. V. in Roth einen literarischen Wettbewerb, der sich anfangs nur an Jugendliche richtete. 2004 und 2005 wurde der Wettbewerb auch für Erwachsene ausgeschrieben.

Die Teilnehmer waren aufgefordert, Geschichten über die Stadt zu schreiben, über ihre Geschichte und ihr Stadtbild. Die Arbeiten wurden von den Vereinen und der Stadt mit Preisen prämiert. Die besten Arbeiten wurden in einen Jubiläumsalmanach zur Saazer Tausendjahrfeier 2004 veröffentlicht. 2003 beteiligte sich auch der Förderverein Saaz an diesen Wettbewerb.

Leider konnten die Arbeiten nicht ins Deutsche übersetzt werden, weil Sponsoren dazu fehlten. Über den Wettbewerb berichtete im Frühjahr 2004 auch das Bayerische Fernsehen.

Begegnung mit dem „Ackermann aus Böhmen“

Saaz feiert 1000 Jahre seines Bestehens

Jitka Mládková im Gespräch mit Dr. Andreas Kalckhoff | Radio Prag, 14. Oktober 2004

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Saazer Marktplatz

Spricht man den Namen der nordböhmischen Stadt Žatec aus, fällt wohl jedem Tschechen der Hopfen ein, der in der gesamten Region seit Jahrhunderten angebaut wird. Diese Stadt kann sich aber auch höchstinteressanter kulturhistorischer Traditionen rühmen. Kurzum: Der Geschichte begegnet man hier auf Schritt und Tritt. Aus Anlass eines recht runden Jubiläums der Hopfenstadt berichtet Jitka Mládková über eine literarische Begegnung mit Saaz in unserer nun folgenden Sendereihe „Begegnungen“.

Das nordböhmische Žatec|Saaz feiert in diesem Jahr sein tausendjähriges Jubiläum. Ein guter Anlass zu feiern, obwohl die Stadt offensichtlich auf eine noch ältere Geschichte zurückblicken kann. Darauf lassen die jüngsten archäologischen Funde vom Herbst 2003 schließen. Immerhin, bei der Veranstaltung der Tausendjahrfeier an einem Septemberwochenende ging man davon aus, dass Saaz erstmals in der Chronik des Thietmar von Merseburg erwähnt ist, als der deutsche König Heinrich II. der Burgsiedlung im Jahr 1004 gegen eine polnische Besatzung zur Hilfe kam.

Die einst königliche Stadt Saaz, die auf eine slawische Gründung zurückgeht, zeichnete sich Jahrhunderte lang durch eine Symbiose von Tschechen und Deutschen aus. Diese fand z. B. im gesamten Zeitraum des Mittelalters in einer Kooperation bei wiederholten Bemühungen um eine Kirchenreform ihren Ausdruck. Das erlebte Miteinander wurde aber im 19.und 20.Jahrhundert programmatisch ignoriert bzw. vergessen, als der Nationalismus hohe Wogen schlug. Vieles ist im Laufe der Zeit ins Vergessen geraten.

Zum Auftakt der erwähnten Feierlichkeiten in Saaz wurde in Prag ein Seminar unter dem Titel „Saaz mit den Augen der Zeit“ veranstaltet, das als gute Gelegenheit galt, manche Wissenslücke aus der langen Geschichte der tschechisch-deutschen Beziehungen zu schließen. In diesem Sinne sehr aufschlussreich war gleich der Vortrag, mit dem das Seminar eingeleitet wurde. Dr. Andreas Kalckhoff aus Stuttgart widmete ihn Johannes von Saaz, der als Autor des Prosatextes „Der Ackermann von Böhmen“ in die Geschichte eingegangen ist. An seiner Lebensgeschichte lässt sich die einstige tschechisch-deutsche Koexistenz bestens dokumentieren:

Zwei der für die deutsche Literatur bedeutendsten Dichter stammen aus Böhmen: Franz Kafka und der Autor des »Ackermann aus Böhmen« Johannes von Saaz. Im westböhmischen Schüttwa|Šitboř, im ehemaligen Bezirk Bischofsteinitz ist er wahrscheinlich geboren. Im nordböhmischen Tepl|Teplá, wo es eine Lateinschule gab, aufgewachsen. Doch die meiste Zeit seines Lebens hatte er in Saaz verbracht. Er hat studiert, auf jeden Fall auch Rechtswissenschaft, und den Magistertitel erworben. Man vermutet, dass er Beziehungen zur Prager Hofkanzlei hatte, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Johannes von Neumarkt, der zwanzig Jahre lang der Kanzler von Kaiser Karl IV. war.

Der „Ackermann aus Böhmen“ ist besonders aus zwei Gründen bedeutend: Es handelt sich um die erste neuhochdeutsche Prosadichtung und um einen der frühesten humanistischen Texte nördlich der Alpen. Über Johannes von Saaz, Leiter der Saazer Lateinschule, späteren Notar und Stadtschreiber der Prager Neustadt, weiß man nicht viel. Der Originaltext seines Werkes „Der Ackermann aus Böhmen“ ist nicht erhalten. Die ältesten 16 Handschriften bzw. 16 Drucke stammen aus den Jahren 1450-1550, aus einer Zeit etwa 50 Jahre nach dem Tod des Autors. Mit dem Inhalt seines Werkes, das heute noch verblüfft, hat er den Nerv der Zeit getroffen:

Der »Ackermann aus Böhmen« ist die in 34 Kapiteln gegliederte Klage eines Ackermanns gegen den personifizierten Tod. Und zwar anlässlich des schmerzlichen Verlustes seiner jungen Frau Margaretha. Der Ackermann beschimpft dabei den Tod als schädlichen Urfeind aller Welt, als schändlichen Mörder aller Menschen, verflucht ihn ewiglich und fordert Gott auf, ihn aus der Schöpfung zu tilgen. Der Tod nennt ihn dafür töricht, denn alle irdischen Kreaturen müssen notwendigerweise zunichte werden. Er selbst, der Herr Tod, sei lediglich Gottes Hand, ein gerecht arbeitender Mäher.

Der Dialog zwischen Ackermann und dem Tod ist geführt in strenger Form der Rede und der Gegenrede, wohl dem Gerichtsprozess entlehnt:

Der Autor bezeichnet sich als Ackermann, dessen Pflug vom Vogelkleide stammt, also die Schreibfeder ist. Als Gegenspieler des tödlichen Mähers, des »Schnitter Tod«, muss man sich den Ackermann als Säer denken, der die Saat auf den Acker bringt und für das Wachsen der Frucht sorgt. Es sind also Leben und Tod, Welt und Jenseits, die gegeneinander argumentieren.

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Rathaus von Žatec (Foto: Milena Strafeldova)

Saaz war nachweislich eine deutsch geprägte Stadt. Sie hatte einen deutschen Bürgermeister und deutsche Stadtschreiber. Johannes von Saaz schrieb seinen Ackermann für gebildete Deutsche in der Stadt. Der erste neuhochdeutsche Text war aber keine Übersetzung oder Nachdichtung einer lateinischen Vorlage. Dazu Andreas Kalckhoff:

Das erschien für Böhmen so überraschend, dass die Forschung lange Zeit nach einer solchen Vorlage gesucht hat. Bisher ohne Ergebnis.

Der Referent Andreas Kalckhof führte in diesem Zusammenhang auch einige Beispiele literarischer Werke an, u. a. aus England und Frankreich, in denen der Tod auch als [Gegenspieler eines] Advocatus mundi − eines Anwalts der Welt − figuriert, und fügte hinzu:

Die Thematik und die literarische Form des »Ackermann« lagen also in der europäischen Luft. Dabei kam in Böhmen natürlich nicht nur die deutsche Sprache zu literarischen Ehren, sondern auch die tschechische. Wenige Jahre nach dem »Ackermann« erscheint eine ganz ähnliche tschechische Dichtung: der Tkadleček, das »Weberlein«, aus der Feder eines sonst unbekannten Ludwig. Darin klagt der von seiner Geliebten verlassene Weber in hohem rhetorischen Stil das grausame Schicksal an und hebt dabei das eher komödienhafte Thema auf die philosophische Ebene von menschlichem und göttlichem Willen.

Im 19.und 20. Jahrhundert haben sich die Blickwinkel wesentlich verändert:

Im 19. und 20. Jahrhundert ist dieses Erwachen der Volkssprachen im 14. Jahrhundert nationalistisch gedeutet worden, wobei man offensichtlich ganz übersehen hat, dass es bereits seit dem Frühmittelalter volkssprachliche Literatur gibt.

Zweckbedingte Interpretationen, die historische Fakten bzw. Gestalten zu verzerrten Bildern umwandeln, hat bekanntlich das kriegerische 20. Jahrhundert mit sich gebracht. Da passte auch „Der Ackermann aus Böhmen“ ins Konzept:

Der nationale Kult, den die Sudetendeutschen seit dem 1. Weltkrieg um Johannes von Saaz und den »Ackermann aus Böhmen« aufführten, muss deshalb ein großes Missverständnis genannt werden. 1924 etwa bezeichnete Josef Nadler dieses Werk als größte und schönste Schöpfung des mitteldeutschen Siedlungslandes und des ganzen neudeutschen Ostraums. In der Folge wurde der »Ackermann« zum Identifikationstext der so genannten Grenzdeutschen. 1933 wurde in Karlsbad die Zeitschrift »Der Ackermann aus Böhmen. Monatsschrift für das geistige Leben der Sudetendeutschen« gegründet. Darin wird der »Ackermann« als deutscher Mensch gefeiert, der sich gegen das Schicksal auflehnt. Gedacht war dabei auch an das politische Schicksal der Deutschen in Böhmen. Die Tschechen reagierten 1935 auf diese Politisierung des »Ackermanns«, indem sie die erst 1921 angebrachte Gedenktafel für Johannes von Saaz von der Stirnwand des Rathauses entfernten.

Ergänzung in eckigen Klammern von Andreas Kalckhoff.

Der vollständige Vortrag hier: Johannes von Saaz und sein Libellus Ackerman

Tschechen und Deutsche feiern zusammen

Die Hopfenstadt Saaz (Žatec) an der Eger wurde 1000 Jahre alt

Tschechen und Deutsche können wieder zusammen feiern! Am letzten Wochenende (10.-11. September 2004) trafen sich die tschechischen Einwohner von Saaz und ehemalige deutsche Saazer im Theater, auf dem Marktplatz, im Kulturhaus und in der Kirche, um das tausendjährige Jubiläum ihrer geliebten Stadt zu begehen. Saaz, im 10./ 11. Jahrhundert eine slawische Burg, war über die Jahrhunderte hinweg eine von Tschechen und Deutschen bewohnte Stadt mit wechselnden Bevölkerungsmehrheiten. Seit dem späten 18. Jahrhundert war sie überwiegend deutsch. 1945 mussten fast alle Deutschen Saaz verlassen.

Am Samstag Vormittag, nach einer Veranstaltung im Theater und der Enthüllung einer Gedenktafel auf dem jüdischen Friedhof, wurden die deutschen Teilnehmer vom Bürgermeister im Rathaus festlich empfangen, am Abend kamen alle zum Tanz zusammen. Am Sonntag fand erstmals seit Kriegsende wieder eine deutsche katholische Messe in Saaz statt. Dass es zu all dem kam, ist das Verdienst des tschechischen Vereins der „Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“ in Zusammenarbeit mit dem deutschen „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ und dem „Kulturkreis Saaz (Roth)“.

Auf Anregung dieser Vereine und finanziell unterstützt vom Deutsch-tschechischen Zukunftsfonds hatte bereits am Freitag (9. September) im Prager Waldstein-Palais (Gebäude des Senats der Tschechischen Republik) ein Symposion zur tausendjährigen Geschichte von Saaz stattgefunden. Es referierten drei deutsche und drei tschechische Historiker, darunter auf deutscher Seite Alfred Klepsch und Andreas Kalckhoff. Die Schirmherrschaft hatte der tschechische Senatspräsident Petr Pithard, der auch eine Grußansprache hielt.

Žatec|Saaz feiert sein tausendjähriges Bestehen

Von Jitka Mládková | Tschechischer Rundfunk 7, Radio Prag, 10. September 2004

Dvorak,Pitthard und Simacek

Der stellvertretender Bürgermeister von Saaz, Aleš Dvořák,, der Senatspräsident von Tschechien, Petr Pithart, und der Vorsitzender des Vereins der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec, Petr Šimáček, bei der Tagungseröffnung im Prager Senatsgebäude.

Die nordböhmische Stadt Žatec|Saaz, in der die tschechische, die deutsche und auch die jüdische Kultur Jahrhunderte lang einander beeinflussten, feiert dieser Tage 1000 Jahre ihrer Existenz. Aus diesem Anlass fand am Freitagvormittag in den historischen Räumlichkeiten des tschechischen Senats im Waldsteinpalais ein Seminar statt, bei dem sich tschechische und deutsche Historiker über verschiedene Themen der tschechisch und deutsch geprägten Geschichte von Zatec austauschten. Über die Bedeutung des Seminars wie auch über die Stadt selbst unterhielt sich vor Ort Jitka Mladkova mit seinem Schirmherrn, dem Senatsvorsitzenden Petr Pithart.

Wie archäologische und insgesamt historische Forschungen der jüngsten Zeit andeuten, scheint Žatec|Saaz eigentlich älter als tausend Jahre zu sein. Die Grundrisse einer fürstlichen Residenz und einer Kirche, die bei Ausgrabungen erst im Vorjahr entdeckt wurden, deuten auf die Existenz dieser Stadt bereits um die Mitte des 10.Jahrunderts hin. Das genaue Gründungsjahr, geschweige denn der genaue Gründungstag, sind unbekannt, doch irgendwann muss man beginnen, die Geschichte der Stadt zu datieren, sagte Petr Šimáček vom Organisationsausschuss für die Jubiläumsfeierlichkeiten bei der Seminareröffnung. Daran, dass es Žatec|Saaz seit mindestens 1000 Jahren gibt, muss jedenfalls niemand zweifeln.

Žatec sei eine starke Stadt mit einer starken Geschichte, sagte Petr Pithart in seinem Grußwort. Um eine Erläuterung, wie er das gemeint habe, bat ich ihn während einer Pause:

Starke Stadt in dem Sinne, dass die Konflikte keinen Halt vor Žatec machten und die Stadt nicht am Rande der Geschichte stehen ließen. In Žatec lebten neben- und miteinander Tschechen, Deutsche und Juden, oder Deutsche, Tschechen und Juden − die Reihenfolge ihrer Aufzählung ist nicht wichtig. Dadurch gehört Žatec zu solch »starken« Orten, wo Konflikte schneller entstehen als dort, wo die Bevölkerung homogen ist.

Für den Senatsvorsitzenden ist die tausendjährige Stadt auch fest verbunden mit der Person Johannes von Saaz, dem die Dichtung „Ackermann aus Böhmen“ zugeschrieben wird. Bei der Lektüre des berühmten Streitgesprächs über den Sinn von Tod und Leben sei er durch die Gedankentiefe und Aussagekraft dieses literarischen Werkes getroffen worden. Der Tod, so Pithart wörtlich, sei auch eine Art Vergessen, dem auch das Historikerseminar entgegenwirken soll. Was ist also erforderlich, um die eigene Geschichte bzw. die gemeinsame tschechisch-deutsche Geschichte nicht zu vergessen? Auf diese Frage antwortete Petr Pitthart wie folgt:

Genau, der Tod bedeutet auch das Vergessen. In den letzten Jahren macht mir aber die Tatsache Mut, dass es so viele Menschen und so viele organisierte Bemühungen gibt, die gegen dieses Vergessen wirken. Die gesamte Massenkultur ist ein einziges großes raffiniertes Vergessen. Der so genannte Mainstream gibt sich große Mühe, den Menschen Zerstreuung statt Konzentration auf etwas zu ermöglichen. Zum Glück gibt es viele wertvolle Menschen, die dagegen arbeiten. Gestern bin ich mit einigen deutschen Europaparlamentariern zusammengekommen, und gemeinsam haben wir über ein Projekt unter dem Titel „Erinnern als Aufgabe“ gesprochen. Das Vergessen ist nämlich ein Prozess, der keine besondere Mühe erfordert und dem die Massenkultur entgegenkommt. Das Erinnern hingegen bedeutet, gegen den Mainstream zu gehen, und das ist nicht leicht. Dieses Seminar zeigt, dass es auch in Žatec Leute gibt, die dies als eine Aufgabe betrachten.

Die Jubiläumsfeierlichkeiten von Žatec, zu deren Auftakt das Prager Historikerseminar stattfand, werden am Samstag und Sonntag mit einem reichhaltigen Kulturprogramm direkt in dieser Stadt fortgesetzt. Als Gäste werden zahlreiche ehemalige Saazer erwartet, die das Schicksal in mehrere Länder der Welt verschlagen hat.

Geburtsstadt Saaz

Von Andreas Kalckhoff, geboren am 18. August 1944 in Saaz

Preisgekrönter Beitrag zum 3. Literaturwettbewerb 2003, Kategorie Prosa/ Erwachsene, des tschechischen „Vereins der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“, des deutschen „Kulturkreises Saaz e. V. Roth“ und der Stadt Žatec.

Der kleine Andreas auf dem Arm seines Großvaters Gustav Borstendörfer in Saaz

Man sucht sich nicht aus, wo man geboren wird. Es kann bloßer Zufall sein, verursacht durch einen der glücklichen oder unglücklichen Wechselfälle des Lebens: Beruf der Eltern, Reise, Krieg. Mancher hat in seiner Geburtsstadt nie gelebt, jedenfalls nicht bewusst. Er hat sie nie besucht, weil keiner dort wohnt, den er kennt. Er hat deshalb keine Beziehung zu ihr.

Ich bin in Saaz durch einen bösen Zufall geboren: Es war Krieg. Ich hätte eigentlich Berliner werden sollen. Aber in Berlin regnete es Bomben, meine Mutter hatte bereits eine Fehlgeburt erlitten. Da entschloss sie sich, mich in ihrer Heimatstadt Saaz, bei ihren Eltern, zur Welt zu bringen. Dort war die Welt 1944 noch in Ordnung, man lebte fast wie im Frieden. Am 18. August kam ich im Saazer Kreiskrankenhaus zur Welt. Ich war noch nicht ein Jahr alt, da musste ich Saaz wieder verlassen. 24 Jahre später habe ich meine Geburtsstadt das erste Mal besucht.

Ich bin, wenn man so will, Zufallssaazer. Ganz zufällig freilich nicht. Vorfahren von Mutterseite sind seit dem 18. Jahrhundert in Böhmen nachweisbar. 1787 kam der Urgroßvater meines Großvaters, Franz Joseph Porstendörfer, in Pröhling bei Strahn zur Welt. Der Familiename stammt wahrscheinlich von Porstendorf (Borsov), ist also urböhmischer Herkunft. Franz Joseph Porstendörfer nannte einen Sohn Wenzel, nach dem böhmischen Nationalheiligen. Dieser Vorname blieb in der Familie Tradition. Mein Urgroßvater Wenzel Porstendörfer heiratete eine Tschechin aus Pilsen, Dorothea Pechmann, deren Großmütter Austed und Swoboda hießen.

Familiengrab Karl Müller auf dem alten Saazer Friedhof

Familiengrab Karl Müller auf dem alten Saazer Friedhof

In Saaz lebten Vorfahren von mir ebenfalls schon im 18. Jahrhundert. Am weitesten lässt sich die Familie Wagner zurückverfolgen: Dem Josef Wagner wurde 1785 eine Tochter Maria Anna geboren. Sie heiratete später Anton Martin Müller, der aus Liebotschan zugezogen war. Beider Sohn Karl Müller hat heute noch ein ansehnliches Marmorgrab an der Friedhofsmauer. Seit 1945 werden keine Verwandten von mir mehr in Saaz begraben. Die Familien Porstendörfer, Rust, Huß, Müller, Wagner, Herschmann gibt es dort nicht mehr.

Saaz ist meine Geburtsstadt, die Heimatstadt meiner Mutter. Meine Heimatstadt ist München. Dort bin ich aufgewachsen, dort habe ich mehr als 30 Jahre verbracht, dort habe ich meine Sprache erworben, dort leben noch viele meiner Freunde. In Stuttgart wohne ich heute gerne, doch mein Herz ist nicht hier. Mein Herz ist in München – und in Saaz. Warum in Saaz?

Im Frühling 1968, als in der Tschechoslowakei die Hoffnung auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ blühte, fuhr ich mit Freunden nach Prag. Wir machten einen Umweg über Saaz, weil ich meine Geburtsstadt wenigstens einmal gesehen haben wollte. Es war ein kurzer und teilweise enttäuschender Besuch. Enttäuschend, weil nichts in der Stadt den Touristen einlud, zu bleiben. Aber ich habe das Haus meiner Großeltern in der Saazer Unterstadt gesehen – von weitem, weil wir uns nicht näher heran trauten. Wir wollten keine Ängste vor Revanchismus wecken. In Prag waren wir fasziniert von der Aufbruchsstimmung. Daheim abonnierte ich die „Volkszeitung“ der deutschstämmigen Tschechen, die alle Hoffnung in den Prager Frühling setzten. Über Radiokurzwelle hörte ich die Ansprache Dubčeks zur sowjetischen Invasion und weinte.

Geburtsurkunde von Andreas Kalckhoff, Saaz 1944

Geburtsurkunde von Andreas Kalckhoff, Saaz 1944

Ich studierte Geschichte, unter anderem bei Ferdinand Seibt, zu dessen Begräbnis Jiři Gruŝa einen Kranz mit der Aufschrift schickte: „Böhmen ist ärmer geworden“. Von Seibt, der sich zusammen mit tschechischen Historikern für eine gerechte Beurteilung der böhmischen Geschichte und für die Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen einsetzte, habe ich viel gelernt. Im Sommer 1992 besuchte ich Saaz zum zweiten Mal, wieder auf der Durchreise nach Prag. Ich trank ein Bier in einem Hotelrestaurant unter den Lauben. Junge Soldaten saßen am Nebentisch. Das Bier schmeckte gut, ich trank ein zweites. Dann fuhr ich weiter, es wurde schon dunkel.

Im Herbst 2001 begann meine Liebe zu Saaz. „Freunde und Landsleute der Stadt Saaz“ luden mich zu einer mehrtägigen Festveranstaltung nach Saaz ein. Ich wurde freundlich aufgenommen und bewirtet. Die alte Stadt hat sich mittlerweile hübsch herausgeputzt. Viel ist freilich noch zu tun, um ihren alten Glanz wiederherzustellen. Was aber ohnehin wichtiger ist: Ich habe neue Freunde gewonnen, Saazer Freunde. Wegen dieser Freunde und wegen den Erzählungen meiner Mutter, mit denen ich aufgewachsen bin, werde ich immer wieder nach Saaz kommen. Dies ist, wie ich glaube, der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Stadtbibliothek empfing ein Geschenk des Fördervereins

Deník Lucan 10. November 2003

(Žatec) Ein Sachgeschenk nahm die Stadtbibliothek in Saaz am Samstag Nachmittag entgegen. Die Direktorin Radka Pichlová zusammen mit ihren Kolleginnen konnte ihre Büchersammlung mit den bisher erschienenen Bänden der „Großen Geschichte der Länder der Böhmischen Krone“ bereichern.

Otokar Löbl überreicht das Buch der Bibliothekarin

Otokar Löbl überreicht das Buch der Bibliothekarin

Spender war der Förderverein Saaz/ Žatec, der vor kurzem von einer Gruppe Saazer Landsleute, lebenden in Deutschland, gegründet wurde.

„Wir wollen mit dieser Aktion einen Anfang hinsichtlich der ökonomischen und materiellen Förderung der Stadt Žatec machen“, sagte der Vorsitzende des Fördervereins, Otokar Löbl, bei der feierlichen Überreichung der Bücher. „Dieses Werk ist meines Wissen sehr informativ und hochwertig, denn es zeigt uns die Geschichte in einem etwas anderen Licht, als wir es früher gelernt haben“, ergänzte er.

Anschließend wurde das Geschenk symbolisch mit Champagner getauft.

Standardwerk zur böhmischen Geschichte für die Saazer Bibliothek

Velké dějiny zemí Koruny České (Große Geschichte der Länder der Böhmischen Krone) heißt das neueste Standardwerk zur tschechischen Geschichte. Vieles darin liest sich ganz anders als zu kommunistischen Zeiten. Vor allem das Verhältnis von Tschechen und Deutschen wird neu und jenseits nationalistischer Leidenschaften bewertet. Das umfangreiche Werk ist auf 20 Bände angelegt, acht  sind davon bereits erschienen.

"Große Geschichte der Länder der böhmischen Krone", 20 Bände

„Große Geschichte der Länder der böhmischen Krone“, 20 Bände

Seit kurzem stehen diese auch in der Saazer Stadtbibliothek. Sie sind ein Geschenk des „Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec“, der damit einen ersten Beweis seines Engagements für das kulturelle und ökonomische Fortkommen der Egerstadt lieferte. Am Samstag, den 8. November 2003 übergab der Vorsitzende Otokar Löbl die in jeder Hinsicht gewichtigen Bücher der Bibliotheksdirektorin Radka Pichlová und ihren Kolleginnen.

„Dieses Werk ist meines Wissen sehr informativ und hochwertig, denn es zeigt uns die Geschichte in einem etwas anderen Licht, als wir es früher gelernt haben“,

sagte der gebürtige Saazer, der in seiner Heimatstadt nach dem Krieg zur Schule gegangen war.