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Workschop „Juden in Bayern und Böhmen“

Kulturgeschichte, Musealisierung und konservatorische Herausforderungen“ | Akademie Mitteleuropa, Bad Kissingen 1.-3. November 2015

Die 2014 von der Akademie Mitteleuropa e.V. (Bad Kissingen), der Heimatpflegerin der Sudetendeutschen (Zuzana Finger, München) und dem Verein Omnium z.s. (Jakub Děd, Braunau/Broumov) initiierte Arbeitsgruppe „Denkmalpflege in Bayern und Böhmen“ ist eine nicht institutionell verankerte Interessens- und Arbeitsgruppe von Vertreterinnen und Vertretern der musealen und denkmalpflegerischen Praxis, die sich mit zentralen Themen und Aufgaben zum gemeinsamen kulturellen Erbe von Tschechen und Deutschen beschäftigen. Der internationale Workshop „Juden in Bayern und Böhmen – Kulturgeschichte, Musealisierung und konservatorische Herausforderungen“, der vom 1. bis 3. November in Bad Kissingen stattfand, wurde von der Arbeitsgruppe organisiert und durchführt.

Daniela Eisenstein (Fürth) thematisierte im Rahmen des Workshops Probleme der Musealisierung jüdischer Kulturgeschichte am Beispiel des von ihr geleiteten Jüdischen Museums in Fürth, das drei Dependancen in Fürth, Schnaittach und Schwabach hat. Jüdische Museen seien nach dem Zweiten Weltkrieg über den Anspruch der Vermittlung jüdischer Geschichte und Kultur – mit einem deutlichen Fokus auf die Schoa – mehr denn je Orte demokratischer Selbstvergewisserung geworden. Timo Saalmann (Nürnberg) stellte die von ihm kuratierte Ausstellung „Jüdisches in Bamberg“ vor, die 2013/14 in den Historischen Museen der Stadt Bamberg zu sehen war und mittlerweile in die Dauerausstellung integriert wurde. Ausgehend von der lokalen „Hausgeschichte“ bilden Fragen der Assimilation in christlichem Kontext, die Geschichte Synagogen in Bamberg sowie Kultobjekte die inhaltlichen Schwerpunkte der Präsentation. Otokar Löbl (Frankfurt am Main) erläuterte das Konzept seiner Ausstellung „Die Juden von Saaz/Žatec“ (www.saaz-juden.de/www.zatec-zide.eu), die zum ersten Mal 2010 in tschechischer Sprache zu sehen war und in überarbeiteter Fassung (tschechisch, deutsch, englisch) seit 2014 in der Saazer Synagoge gezeigt wird. Die Stadt Prag hatte mit Blick auf die jüdische Geschichte, die dort bis ins 10. Jahrhundert zurückreicht, sowie auch die konservatorische Behandlung der spezifischen Denkmäler in den verschiedenen politischen Systemen, immer eine Sonderstellung, wie Peter Brod (Praha/Prag) betonte. Ein erstes jüdisches Museum entstand bereits 1906; intensivere Versuche einer Dokumentation und Musealisierung jüdischen Kulturguts seien bereits in der Zwischenkriegszeit unternommen worden; in den 1930er Jahren wurde unter den Nationalsozialisten ein „Jüdisches Zentralmuseum“ eingerichtet. Nathanja Hüttenmeister (Essen) gab anhand der epigrafischen Datenbank des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts (http://steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat) eine Einführung und einen Überblick über die Geschichte und Kulturgeschichte der jüdischen Friedhöfe im Bereich der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Die Sepulkraldenkmäler aschkenasischer Gemeinden, bei denen die Grabstelen in der Regel aufrecht stehen, unterscheiden sich dabei von denen sephardischer Gemeinden mit zumeist liegenden Grabplatten, die auch eine reiche bildhauerische Ausstattung aufweisen können. In Böhmen seien viele jüdische Friedhöfe oberflächlich verschwunden, ihre Lage oft überhaupt nicht bekannt, wie Karel Velkoborský (Neuern/Nýrsko) betonte. Eine Ursache dafür liege in der oft abseitigen und landschaftlich problematischen Lage. Wiederentdeckte und freigelegte Anlagen bewegen sich heute im Spannungsfeld von (oft rekonstruierten und damit in ihrer Disposition geänderten) Denkmalorten und „auf ewige Zeiten“ angelegten Orten der letzten Ruhe. Den architektonischen Zeugnissen jüdischen Lebens in Böhmen galten die Vorträge von Bára Větrovská (Aussig/Ústí n. L.) und Martin Krsek (Aussig/Ústí n. L.). Větrovská gab einen Überblick über die zahlreichen von 1938 bis 1989 vernichteten Bauwerke in Nordböhmen. Als eines der wenigen Beispiele für den Erhalt und die Restaurierung der spezifischen Denkmäler in der Region gilt die Synagoge in Auscha/Úštěk, die nach jahrzehntelanger landwirtschaftlicher Fremdnutzung im Jahre 2003 wieder der Öffentlichkeit übergeben werden konnte. Im Rahmen der deutsch- und tschechischsprachigen Architekturdokumentation für die Stadt Aussig/Ústí n. L. http://www.usti-aussig.net/  seien – so Krsek – ebenfalls jüdische Denkmäler zu finden, wobei eine spezifische jüdische „Kategorie“ ein Desiderat ist. Stanislav Děd (Komotau/Chomutov) führte in die jüdische Geschichte der Stadt Komotau ein, die sehr spät – 1848 – begann und bis 1938 dauerte. Die Aufarbeitung der kurzen, jedoch sehr intensiven jüdischen Stadtgeschichte (1849 waren bereits zwei Synagogen errichtet) mit ihren „Persönlichkeiten“ steht noch am Anfang; zeitnah wird eine Ausstellung über die Brüder Erich und Paul Heller († 1990 und 2001) im Komotauer Stadtmuseum zu sehen sein. Josef Märc (Aussig/Ústí n. L.) betonte die Notwendigkeit einer altersspezifischen Vermittlung jüdischer Kulturgeschichte an der Schule. In Komotau/Chomutov gebe es in diesem Zusammen zahlreiche Initiative und Aktionen, die in Zusammenarbeit etwa mit dem Jüdischen Museum in Prag, der Gedenkstätte Theresienstadt oder dem Institut für das Studium totalitärer Regime (Ústav pro studium totalitních režimů) konzipiert und durchgeführt werden. In Zipser Neudorf/ Spišská Nová Ves, wo bis zum Zweiten Weltkrieg eine signifikante jüdische Minderheit gelebt hat, existieren in Zusammenarbeit mit den dortigen Schulen eine Reihe von Initiativen zur Aufarbeitung und Pflege jüdischer Geschichte, worunter die Erneuerung des jüdischen Friedhofs (Neueröffnung 2007) einen besonderen Stellenwert hat, so Růžena Kormošová (Zipser Neudorf/Spišská Nová Ves).

 

Der von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) geförderte Workshop beschäftigte sich mit der transnationalen, fast tausendjährigen Geschichte der Juden in Mitteleuropa in der heutigen Bundesrepublik und der Tschechischen Republik und ihren Zeugnisse vor allem der materiellen Kultur. Von einem regional komparatistischen Ansatz – vor allem mit Fokus auf die Nachbarregionen Franken und Böhmen – ausgehend wurden nicht nur spezifische kulturhistorische Phänomene beleuchtet, sondern vor allem Fragen der Dokumentation und Musealisierung von materieller (und immaterieller) Kulturgeschichte und deren Vermittlung an Multiplikatoren und Laien. Von Interesse waren spezifische Projekte und Initiativen zur Pflege jüdischen Kulturguts mit dem Ziel des fachlichen Austauschs und der nachhaltigen Vernetzung von Akteuren im denkmalpflegerischen und musealen Bereich. Darüber hinaus fungierte der Workshop als Forum, das aktuelle denkmalpflegerische Fragestellungen und Probleme diskutiert, akuten konservatorischen Handlungsbedarf aufzeigt sowie grenzübergreifende Aktivitäten und Projekte anstößt.

Marco Bogade, Akademie Mitteleuropa e.V., Bad Kissingen

E-Mail: projektkoordinator@heiligenhof.de

Konferenzübersicht:

Zusana Finger (München), Jakub Děd (Braunau/Broumov), Marco Bogade (Bad Kissingen): Begrüßung, Vorstellung, Einführung in das Thema des Workshops

Timo Saalmann (Nürnberg): Musealisierung fränkisch-jüdischer Geschichte und Kultur in der Ausstellung „Jüdisches in Bamberg“ (Museen der Stadt Bamberg)

Nathanja Hüttenmeister (Essen): epidat – die epigrafische Datenbank historischer jüdischer Friedhöfe in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel des jüdischen Friedhofs in Bayreuth

Karel Velkoborský (Neuern/Nýrsko): Geschichte der jüdischen Friedhöfe in Böhmen

Otokar Löbl (Frankfurt am Main): Ausstellung zur Kulturgeschichte der Juden in Saaz/Žatec

Josef Märc (Aussig/Ústí n. L.): Jüdisches Leben im Erzgebirge. Die Gemeinde Kallich/Kalek

Bára Větrovská (Aussig/Ústí n. L.): Gedächtnisverlust – jüdische Denkmäler in Nordwestböhmen

Stanislav Děd (Komotau/Chomutov): Pflege der Denkmäler jüdischer Persönlichkeiten in Nordböhmen

Peter Brod (Prag/Praha): Denkmalpflege der jüdischen Gemeinde in Prag

Martin Krsek (Aussig/Ústí n. L.): Jüdische Spuren in der Architektur der Stadt Ústí/Aussig

Růžena Kormošová (Neudorf/Spišská Nová Ves): Das Projekt „Lost neighbours“ in Neudorf/Spišská Nová Ves

Daniela Eisenstein (Fürth): Musealisierung jüdischer Kulturgeschichte – das Jüdische Museum in Fürth

Frische Luft auf dem Sudetendeutschen Tag in Augsburg

Beim traditionellen Pfingstreffen der Deutschböhmen erfährt der neue Kurs der Landsmannschaft große Zustimmung – Förderverein der Stadt Saaz|Žatec unterstützt Bernd Posselt – Ausstellung „Wilde Vertreibung“ zieht viele Besucher an

Bernd Posselt im Mai 2015 (Foto: CTK)

Bernd Posselt im Mai 2015 (Foto: CTK)

Reißt die Fenster auf! Lasst frische Luft herein! Habt keine Angst! Das, liebe Landsleute, ist ein ganz entscheidendes Wort. Habt keine Angst. Wir wollen die Fenster aufreißen, wir wollen die frische Luft herein lassen, wir wollen einen festen und realistischen Blick in eine bessere Zukunft tun.

Mit diesen Worten schloss Bernd Posselt, Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), seine Festrede zum Pfingsttreffen 2010. Er nahm darin einen Anlauf, seinen Verband aus dem Abseits verhärteter und überholter Positionen herauszuführen.

Nun, fünf Jahre später, hat er einen Teil seines Ziels erreicht. Die Bundesversammlung der Sudetendeutschen strich vor kurzem mit der überwältigenden Mehrheit von knapp 72 Prozent die Forderung nach „Wiedergewinnung“ der Heimat und „Rückgabe des konfiszierten Eigentums“ aus der Satzung, die als Gebietsanspruch missverstanden werden kann und der Aussöhnung mit den Tschechen im Wege steht. In der Tschechischen Republik nimmt seit 2010 die Wahrnehmung des Leidens der Sudetendeutschen während und durch die Vertreibung zu. Jüngstes Beispiel dafür ist das Bedauern des Brünner Stadtrats über die Vertreibung der deutschen Mitbürger am 30. Mai 1945. Beim sogenannten „Brünner Todesmarsch“ wurden 20.000 Deutsche aus der Stadt vertrieben, mehrere Tausend starben dabei an Hunger und Erschöpfung. Bernd Posselt sagte dazu, er rechne mit ähnlichen Erklärungen in anderen Kommunen.

Sudetendeutsche in Tracht vor der Augsburger Schwabenhalle (Foto: Bayerischer Rundfunk)

Sudetendeutsche in Tracht vor der Augsburger Schwabenhalle (Foto: Bayerischer Rundfunk)

In seiner Rede am Pfingstsonntag, den 24. Mai 2015, in der Augsburger Schwabenhalle warb Posselt für eine „Wiederbelebung der Partnerschaft“ von Deutschen und Tschechen. Es gehe für die Sudetendeutschen „nicht darum, dass wir Wunden lecken, es geht auch nicht darum, dass wir irgendwelche Schmerzen über die Generationen hinweg am Leben erhalten wollen“. Vielmehr sei es „für uns ganz entscheidend, dass offen, ehrlich, ungeschminkt, ohne etwas zu verschweigen und ohne etwas zu beschönigen über das Verbrechen der Vertreibung gesprochen wird, im Sinne eines „nie wieder“. Dies sei „ein Dienst an der Zukunft“.

Die Rede wurde überwiegend positiv aufgenommen, vereinzelte Pfiffe änderten daran nichts. Ministerpräsident Seehofer nannte Posselt einen „Brückenbauer“. Im Vorfeld des Pfingsttreffens hatte er bereits den „Verzicht der Sudetendeutschen auf Restitution und Entschädigung“ gelobt. Das gefiel allerdings nicht allen. Wie schwer sich Teile der Landsmannschaft mit dem neuen Kurs tun, zeigen die Reaktionen in einigen Ortsverbänden, wo von „Verrat“ die Rede ist. Der sudetendeutsche Witikobund verbreitet gar, wer das Recht der Vertriebenen auf Heimat und Restitution leugne, sei ein Verbrecher; die Satzungsänderung bedeutete „den Schlussstrich unter das Sudetenland“.

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Auch der Förderverein der Stadt Saaz|Žatec unterstützt den Reformkurs der Landsmannschaft. Otokar Löbl, der Bernd Posselt schon 2010 öffentlich ermuntert hat, den Worten Taten folgen zu lassen, erklärte jetzt, die neue Politik entspreche dem Geist des „Saazer Weges“, er werde sie deshalb mit vollen Kräften unterstützen. Auf Einladung der Landsmannschaft zeigte der Förderverein in Augsburg noch einmal die Ausstellung „Wilde Vertreibung“. Dort war neben den Schrecken der Vertreibung auch zu sehen, was Posselt in seiner Rede nur indirekt andeutete: dass die Deutschen in Böhmen – nicht nur Hitlers Besatzungsarmee, sondern auch die ansässigen Sudetendeutschen – zwischen 1938 und 1945 Schuld auf sich geladen haben. Die Vertreibung kam nicht aus heiterem Himmel, auch wenn es vielen so scheinen wollte.

Beseitigung tschechischer Geschäftsnamen in Teplitz-Schönau 1938 (Foto: Regionalmuseum Teplice)

Beseitigung tschechischer Geschäftsnamen in Teplitz-Schönau 1938 (Foto: Regionalmuseum Teplice)

Die Ausstellung war schon bei früheren Pfingsttreffen zu sehen und traf auch damals auf Interesse. Doch diesmal waren Interesse und Zuspruch ungleich größer. Offensichtlich hat Posselts Reformkurs bei vielen Sudetendeutschen ein Umdenken ausgelöst und Menschen zum Pfingsttreffen gebracht, die in der traditionellen Konfrontationspolitik und den rituellen, realitäts- und geschichtsfernen Forderungen an die Tschechen keine Zukunft sehen. Das Diskussionsbedürfnis der Besucher war groß, die Zustimmung zur Ausstellung – von Ausnahmen abgesehen – erfreulich. Zu den Besuchern gehörte auch der Generalkonsul der Tschechischen Republik, Milan Čoupek, der die Ausstellung gerne nach München holen möchte.

Die Ausstellung war bereits in Frankfurt am Main (März 2012), Nürnberg (Sudetendeutscher Tag Juni 2012), Straubing (August 2012), Georgensgmünd (Saazer Treffen September 2012), Wiesbaden (November 2012), Weißenburg/ Mittelfranken (August 2013) und Nürnberg (September 2013) zu sehen.

Dauerausstellung „Die Juden von Saaz“ eröffnet

Die Saazer Synagoge hat jetzt wieder eine Bestimmung | Die jüdische Geschichte von Saaz ist nicht vergessen | Festliche Eröffnung mit der Prager Klesmer-Band „Trombenik“ | Warnung vor neuem Antisemitismus | Ausstellung auch mit deutschem Text | Eröffnung am 3. September 2014

Die Ausstellung des Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec e. V. dokumentiert auf 14 Tafeln Geschichte, Kultur und Schicksal der Saazer Juden vom Mittelalter bis in die Nachkriegszeit und informiert auf weiteren drei Tafeln über die Luftbrücke von Saaz nach Ekron in Israel, die im Sommer 1948 maßgeblich zur Gründung des jüdischen Staates beigetragen hat. Es ist begrüßenswert, dass sie dank des Eigentümers Daniel Černý eine Heimstatt in der Saazer Synagoge gefunden hat, die damit eine neuer Bestimmung hat. Seit der Zerstörung ihrer Inneneinrichtung in der „Reichskristallnacht“ 1938 haben dort keine Gottesdienste mehr stattgefunden.

Jüdische Kaufleute gab es in Böhmen bereits im 10. Jahrhundert. Eine erste jüdische Niederlassung in Saaz soll sich nahe der Eger befunden haben. Die erste urkundliche Erwähnung von Juden in Saaz stammt aus dem Jahr 1350. Spannungen zwischen Christen und Juden aus religiösen und wirtschaftlichen Gründen gab es immer wieder mal, doch das Saazer Judenpogrom von 1541 war der Auftakt zur Vertreibung der Juden aus der Stadt. Die Vertriebenen zogen in die benachbarten kleineren Orte, wo sie unbehelligt leben konnten. Es dauerte 200 Jahre, bis die Wohnsitzbeschränkung der Juden in Böhmen aufgehoben wurde.

Ab 1850 ließen sich wieder jüdische Familien in Saaz nieder und eine neue Blütezeit jüdischen Lebens begann. Mit ihrem Bildungsdurst, ihrem Kunstsinn, ihrer Wirtschaftskraft und ihrem sozialen Engagement trugen sie nicht unerheblich dazu bei, dass Saaz zu einer wohlhabenden Stadt mit reichem Kulturleben wurde. Der Bau der Synagoge – die zweitgrößte Böhmens und berühmt für ihre Akustik –, die Errichtung eines prächtigen Portals für den neu angelegten Friedhof und der Bau respektabler Wohnhäuser waren der sichtbare Ausdruck ihres verdienten Wohlstands.

Durch biologistisch-rassistischen Antisemitismus, der Ende des 19. Jahrhunderts aufkam und vor allem von deutsch-nationalen Kräften getragen wurde, aber auch bei tschechischen Nationalisten Anklang fand, entstand eine neue Bedrohung für die Juden. Wie sich zeigen sollte, schützte ihr patriotisches, soziales und kulturelles Engagement sie nicht vor antisemitischem Hass. Das wurde in der 1. Tschechoslowakischen Republik schlimmer und fand seinen schrecklichen Höhepunkt im Holocaust während der deutschen Besatzung 1939-1945. Die Juden wurden zuerst aus Saaz vertrieben, dann im Ghetto Theresienstadt interniert und schließlich in Auschwitz ermordet. Nur wenige von den fast Tausend Saazern israelitischen Glaubens oder jüdischer Abstammung überlebten.

Eine kleinen Nachtrag erfuhr die große Geschichte der Saazer Juden durch ein heute fast unbekanntes Ereignis aus dem Sommer 1948: Die Tschechoslowakei lieferte am Nahost-Waffenembargo vorbei über eine Luftbrücke Militärgüter nach Israel, darunter Nachbauten der Messerschmidt Bf 109G aus den Škoda-Werken sowie deutsche Waffen, die 1945 zurückgeblieben waren. Dazu wurde ein deutscher Fliegerhorst bei Saaz benutzt, auf dem in diesen Sommermonaten auch einige der wenigen überlebenden Saazer Juden als Bodenpersonal und Zulieferer aushalfen. Zdeněk Klima hat aufgrund eigener Forschungen die entsprechenden Ausstellungstafeln mit Text und Bildern versehen.

Die Texte sind dreisprachig tschechisch, deutsch und englisch.

Zur Eröffnung spielt die Klesmer Band „TROMBELIK“ aus Prag

Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft des Ministers für Kultur der Tschechischen Republik, Mgr. Daniel Herrman, und der Bürgermeisterin der Stadt Žatec/Saaz, Mgr. Zdeňka Hamousová.

Sie wird außerdem unterstützt vom Verein der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec, von der Jüdischen Gemeinde Teplitz , der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen Republik und der Botschaft des Staates Israel in der Tschechischen Republik.

Ausstellung auch im Internet

Tschechen und Sudetendeutsche in den tschechischen Medien der letzten 20 Jahre

Von Luboš Palata

Luboš PalataDer Autor war Redakteur der traditionsreichen Tageszeitung „Lidové noviny“, die nach ihrer Einstellung durch die Kommunisten von Dissidenten 1988 im Untergrund neu gegründet wurde. Diese „Volkszeitung“, 1893 in Brünn aus der Taufe gehoben, hat seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts einen Ruf als Intelligenzblatt. Jetzt L. Palata bei der MF DNES, der meistverkauften Tageszeitung in der Tschechischen Republik. Der folgende Artikel wurde erstmals als Referat beim 11. Böhmerwaldseminar des Adalbert-Stifter-Vereins am 12. Mai 2012 in Písek vorgetragen und für den Abdruck redaktionell leicht gekürzt.

Lassen Sie mich Ihnen zu Beginn Auszüge aus einem Artikel vorlesen:

Es geht um die Sudetendeutschen und ihre Aussiedlung … In den Jahren 1938-1945 ist hier so manches passiert. Wir alle haben eine Ahnung davon, bis heute leben Menschen, die sich genau erinnern können. Doch auch in den Jahren 1945-1946 ereignete sich so manches. Daran erinnert sich  kaum jemand … An vielen Orten der ehemaligen Sudetengebiete spielten sich schreckliche Dinge ab. Mein Volk war berauscht vom Sieg, um den es sich nur wenig verdient gemacht hatte … Diese Nachkriegsgeschichte unseres Grenzlandes sagt uns so manch wichtiges über uns Tschechen an der Schwelle. Einer Entscheidung, ob es eine Entschuldigung geben soll oder nicht, muss etwas vorausgehen: die Erneuerung unseres geschichtlichen Bewusstseins – und auch unseres Gewissens.

Was würden Sie tippen: Aus welchem Jahr stammt dieser Artikel? Ich werde Sie nicht lange auf die Folter spannen. Er ist aus dem allerersten Jahrgang der Lidové Noviny, den ich in unserem Archiv gefunden habe, also vom Januar 1990. Die Tatsache, dass sich die Gedanken und Appelle, die darin enthalten sind, ohne die geringste Abänderung heute wiederholen ließen, sagt etwas aus. Zum einen über die Größe des Autors dieser Zeilen, Petr Příhoda, der für mich unter den tschechischen Publizisten einer der klügsten Köpfe ist, zum anderen aber auch darüber, welch kurzes Wegstück wir in den vergangenen 20 Jahren zurück gelegt haben. Aber dazu komme ich später noch.

Eine unbekannte Welt 

Es war Ende 1990, als ich als Student der Politologie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Karlsuniversität Prag in eine mir bislang ganz unbekannte Welt eintauchte: in die Welt der Geschichte Böhmens als gemeinsamer Heimat von Tschechen und Deutschen. Ehrlich gesagt, eine unbekannte Welt war für mich damals auch die Politikwissenschaft selbst, für die ich mich an meiner zweiten Hochschule angemeldet hatte, ohne zu wissen, was dieses Wort eigentlich bedeutet.

Was an dieser Welt, für deren Entdeckung ich vor allem Professor Rudolf Kučera und seinen Mitarbeitern und Kollegen danken möchte, am meisten faszinierte, war die Tatsache, dass ich – als Absolvent eines kommunistischen Gymnasiums Mitte der achtziger Jahre –  nicht die geringste Ahnung davon hatte. In den damaligen kommunistischen Lehrbüchern tauchten die Sudetendeutschen (ich bevorzuge allerdings den Ausdruck Naši Němci ,“Unsere Deutschen“, bzw. „Böhmische, mährische und schlesische Deutsche“) gleichsam wie Marsmännchen kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf und wurden nach Kriegsende – in einigen wenigen Sätzen – als Teil einer amorphen Masse von Nazis verdientermaßen aus Böhmen vertrieben.

Später begegnete ein junger, im Spätsozialismus aufwachsender Tschechoslowake wie ich diesen Deutschen nur noch von Zeit zu Zeit auf den Seiten von Rudé Právo, Mladá fronta oder auf den Fernsehschirmen als Verkörperung des Bösen an sich, als der weitaus größten Bedrohung, welche die der amerikanischen Imperialisten noch übertrafen. Demnach waren die Sudetendeutschen angeblich nicht nur dafür, mit Neutronenbomben das ganze tschechische Volk und alle anderen Völker des nach damaliger Terminologie so genannten „Lager des Friedens und des Sozialismus“ auszulöschen. Sie wollten etwas noch viel Schlimmeres: wieder nach Böhmen, in die Tschechoslowakei zurückkehren, wieder in den Wochenendhäusern, Dörfern und Städten wohnen, die in den Sudetengebieten lagen, mit deren Umrissen wir durch Karten, welche die Verkrüppelung der Tschechoslowakei durch das Münchner Abkommen dokumentierten, gut vertraut waren, die aber aus dem realen Leben ganz verschwunden waren. Während die Neutronenbombe eine kaum vorstellbare Bedrohung war, schien die Vorstellung eines Sudetendeutschen, der an die Tür eines Holzhäuschens schlägt, erheblich realistischer, und darum erfüllte sie auch besser ihren Zweck. Sie wurde deshalb von den Kommunisten mit besonderer Liebe am Leben gehalten.

Mit diesen Vorstellungen, von denen ich zwar ahnte, dass sie vielleicht nicht ganz der Wahrheit entsprachen, und ohne Ahnung, wie die Realität tatsächlich aussah, lauschte ich hingerissen den Vorlesungen von Rudolf Kučera und einigen seiner ähnlich denkenden Kollegen über das ertragreiche, tausend Jahre lange  Zusammenleben von Deutschen und Tschechen ohne nationale Grenzen, von den Peripetien der österreichischen und österreichisch-ungarischen Monarchie, von den deutsch-tschechischen Sprachkonflikten, von deutschen Ministern in tschechoslowakischen Regierungen, von sudetendeutschem antifaschistischen Widerstand und über die Schrecken der Nachkriegsvertreibung und Aussiedlung. Im Herbst 1990 traf ich dann auf einer Burg in Bayern die ersten sudetendeutschen Politiker und sprach mit ihnen, ebenso wie mit bayerischen Studenten der dritten Generation der Vertriebenen, die erstaunlicherweise entgegen den Verlautbarungen der kommunistischen Propaganda keine drei Köpfe, Teufelshörner oder einen Huf hatten.

Havel war seiner Zeit voraus – in Tschechien und in Bayern

Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen will ich nun darlegen, was für eine große Offenbarung die Erklärung von Václav Havel für die damalige tschechische Öffentlichkeit war, als er noch vor seiner Wahl sagte:

Ich persönlich verurteile – wie auch viele meiner Freunde – die Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg. Ich habe sie immer für eine zutiefst unmoralische Tat gehalten, die nicht nur den Deutschen, sondern in vielleicht noch größerem Maße den Tschechen selbst sowohl moralischen als auch materiellen Schaden zugefügt hat.

Auf eine solche Erklärung war die damalige tschechische – und ich wage zu sagen, auch die sudetendeutsche – Öffentlichkeit nicht vorbereitet. Die einzige größere Debatte über die Nachkriegsvertreibung der Deutschen fand [bis dahin] unter den tschechischen Dissidenten im Rahmen der Charta 77 statt, der Inhalt dieser Diskussion blieb jedoch einer großen Mehrheit der Tschechen unbekannt.

Auch in dem neuen, demokratischen tschechischen Staat, der im Bewusstsein vieler Tschechen der älteren Generation keinesfalls an Masaryks „Erste Republik“, sondern an die „Dritte Republik“ der Nachkriegszeit unter Edvard Beneš anknüpfte, billigte man im Allgemeinen die Vertreibung der Sudetendeutschen, auf die sich [seinerzeit] – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – alle, von den tschechischen Demokraten bis hin zu den Kommunisten, geeinigt hatten. An einige wenige Kritiker der Vertreibung und ihres unmenschlichen Verlaufs, unter ihnen z. B. Pavel Tigrid, erinnerte sich fast niemand mehr.

Ein ähnliches Problem, nämlich die über vierzig Jahre fehlende Diskussion mit dem tschechischen Nachbar, gab es aber auch auf sudetendeutscher bzw. bayerischer Seite, welche auf die neue Situation nach der „Samtenen Revolution“ keineswegs besser vorbereitet war als die neuen demokratischen Politiker Tschechiens. Statt eine ähnlich entgegenkommende Geste wie Václav Havel zu wagen, wurden Forderungen nach einer umfassenden tschechischen Entschuldigung sowie der Abschaffung der Beneš-Dekrete
vorgebracht und das sudetendeutsche Recht auf Heimat oder Rückgabe des
Eigentums betont oder zumindest auf Entschädigungszahlungen.

Die Reaktion der [tschechischen] Presse, mit Ausnahme der Havel nahe stehenden Lidové Noviny, war dementsprechend. Wir müssen uns jedoch dessen bewusst sein, dass – außer bei Lidové Noviny – der Journalismus damals von Leuten beherrscht wurde, die in den Jahren zuvor im besten Falle stille Unterstützer des kommunistischen Regimes waren oder – im schlechteren – zu dessen größten Propagandisten und Demagogen gehörten. Natürlich gab es auch hier, wie so oft, eine kleine Zahl von Ausnahmen unter den damaligen Journalisten. Vielen von ihnen gehört heute mein Respekt.

Der festgefahrene sudetendeutsch-tschechische Konflikt bedrohte in dieser Phase sogar die deutsch-tschechischen Beziehungen, die sich durch das Entgegenkommen Havels und des Außenministers Jiří Dienstbier in der Frage der deutschen Einheit – Tschechien verzichtete auf eine Teilnahme an den 2+4-Gesprächen – auszeichneten. Besonders Dienstbier musste dafür in der tschechischen Presse viel Kritik einstecken.

Eigenartige Symbiose zwischen Altkommunisten und Sudetendeutschen

Als die tschechoslowakische Föderation begann, auseinander zu fallen, rückte das deutsch-tschechische bzw. sudetendeutsch-tschechische Thema für eine gewisse Zeit in den Hintergrund. Dies auch dank der Tatsache, dass die beiden Außenminister, Hans-Dietrich Genscher und Jiří Dienstbier, die eher emotional als faktisch begründete Aufregung durch den Abschluss eines neuen Vertrags besänftigen konnten. Die kleine Privatisierung und Restitutionsmaßnahmen sowie die erste und zweite Kupon-Privatisierung beendeten definitiv Überlegungen über eine Rückgabe des Eigentums an die Sudetendeutschen, zumindest in physischer Form.

In dieser Zeit begannen sich in der Journalistengemeinde, die vielleicht neben der Politik den größten Generationswechsel zu verzeichnen hatte – anders ging es auch nicht –, drei Strömungen heraus zu kristallisieren. Die erste, traditionelle Richtung bestand in der fortgesetzten Propagierung kommunistischer und nationaler Positionen gegenüber den Sudetendeutschen, deren Verkörperung Jan Kovařík, ehemaliger kommunistischer Diplomat, war. Kovařík war auch an der Aushandlung des Vertrags zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik Deutschland in den siebziger Jahren beteiligt. Die Zeitung Právo dokumentierte im Hinblick auf ihre überwiegend kommunistische und ältere Lesergemeinde alle Verwicklungen der sudetendeutsch-tschechischen Beziehungen sehr detailliert und verwendete sie oft sogar als Aufmacher. Kovářík war – auch dank seiner noch vorhandenen Kontakte aus der kommunistischen Zeit – jedoch auch erster Ansprechpartner für die Führung der Sudetendeutschen, für deren Erklärungen und Gespräche Právo eine exklusive Veröffentlichungsmöglichkeit bot.

Zwischen Právo, das seinen „roten Anstrich“ nicht ganz los geworden war, und den Sudetendeutschen und ihrem Sprecher Franz Neubauer existierte in dieser Zeit eine bestimmte, eigenartige Symbiose, die wir, als Vertreter anderer Medien, etwas eifersüchtig verfolgten. Jan Kovařík hatte gegenüber uns den Vorteil, dass er offensichtlich der einzige Journalist war, der auf höchstem Niveau vom sudetendeutsch-tschechischen Thema leben konnte, wovon wir, die ebenfalls zu diesem Thema etwas publizierten oder dem wir uns in anderen Medien widmeten, nur träumen konnten. Noch größere Hardliner gab es in der rein kommunistischen Zeitung Halo noviny, die von uns jedoch nicht ernst genommen wurden und auch – wenn ich stellvertretend für meine Journalistengeneration sprechen darf – bis heute nicht ernst genommen werden.

Die „Neue Welle“ des tschechischen Journalismus

Dann gab es da meine Generation von Journalisten, die mit ihrer Arbeit erst kurz vor dem November 1989 begannen oder – wie in meinem Fall – erst danach. Uns kam entgegen, dass wir nicht belastet von einer entsprechenden Tätigkeit in der kommunistischen Vergangenheit waren oder – wie bei meinen etwas älteren Kollegen – doch nur in geringem Umfang. Andererseits lernten wir den richtigen Journalismus vielfach nach der Methode learning by doing, ähnlich eigneten wir uns so auch das nötige Wissen an. Mitte der neunziger Jahre stellte sich diese, nennen wir sie im weiteren „Neue Welle“ des tschechischen Journalismus eindeutig gegen die Vertreibung und bezeichnete sie ganz offen als unmenschlichen Vorgang, den ein demokratischer Staat nicht gutheißen könne. Einige von uns, wie etwa Martin Komárek von der Mladá Fronta Dnes, vertraten sogar die Auffassung: „Was gestohlen wurde, muss man zurückgeben.“

Außerdem existierte eine Gruppe älterer Journalisten und Publizisten, die man zusammenfassend als die „Achtundsechziger“ bezeichnen kann. Unter ihnen kristallisierte sich eine „sudetendeutsch-freundliche“ Strömung heraus, repräsentiert vor allem durch Emanuel Mandler und Bohumil Doležal, die noch weiter als Komárek ging und in einer Art Selbstgeißelung davon sprach, dass sich die die Tschechen Asche aufs Haupt streuen sollten und die Hauptursache der Vertreibung nicht der Zweite Weltkrieg oder der Nationalsozialismus, sondern der tschechische Chauvinismus und Nationalismus seien, der in Tschechien bis heute dominiere. Daneben gab es eine weitere, unserer „Neuen Welle“ des tschechischen Journalismus näher stehende Gruppe mit Leuten wie Václav Žák, Petr Příhoda, Jiří Hanák oder Josef Mlejnek, die mit uns gemeinsam allmählich einen gewissen journalistischen Mainstream bildeten.

Emanuel Mandler und Bohumil Doležal standen später hinter der Petition Smíření 95 („Versöhnung 95“), die sich als medialer Höhepunkt der Versöhnungsaktivitäten und der in den Medien aktiven tschechischen Intelligenz und Journalisten betrachten lässt. Sie forderte direkte Verhandlungen zwischen der tschechischen Regierung und den Sudetendeutschen, im Zuge derer offene Fragen der Vergangenheit gelöst werden sollten. Unter den Unterzeichnern finden wir heute in den Medien einflussreiche Persönlichkeiten, wie etwa den damals noch unbekannten Studenten Robert Časenský, heute Chefredakteur der Tageszeitung MF Dnes, Martin Zvěřina, heute Chefkommentator von Lidové Noviny, oder Pavel Šafr, der heute Chefredakteur der meist verkauften tschechischen Tageszeitung Blesk ist.

Ein Wundermittel namens Deklarace („Erklärung“)

Die politische Führung Tschechiens, darunter vor allem die tschechische Diplomatie unter Führung des tschechisch stämmigen Polen Josef Zieleniec, entschied sich jedoch, das Problem mit „München“ und den Sudetendeutschen über den Umweg „Berlin“ zu lösen. Das Projekt der „Deutsch-tschechischen Erklärung“ sollte den ursprünglichen Vorstellungen nach eine Art Tauschgeschäft sein: eine tschechische Entschuldigung für die Vertreibung, im Gegenzug die Aufgabe aller sudetendeutschen Eigentumsansprüche von deutscher Seite.

Die Berichterstattung über die „Deutsch-tschechische Erklärung“ begann erst kurz vor ihrer endgültigen Fertigstellung, da bei den schwierigen Verhandlungen der Grundsatz der Geheimhaltung gelten sollte. In Tschechien, wo sonst leider fast alles ausgeplaudert wird, gelang dies überraschenderweise auch. Ich erinnere mich sehr gerne an diese Zeit, denn niemals zuvor und niemals danach habe ich eine solche journalistische, in vielen Bereichen positive Anspannung rund um die deutsch-tschechischen Beziehungen erlebt wie bei der Deutsch-tschechischen Erklärung.

Als es einer Kollegin gelang, einen Teil des Textes in die Hände zu bekommen, wurde ihr anschließend – wahrscheinlich durch den tschechischen Geheimdienst – das Auto ausgeraubt. Entwendet wurden dabei ausgerechnet diese Dokumente zur Deutsch-tschechischen Erklärung, was gewöhnliche Diebe im Allgemeinen nicht interessieren dürfte. Dank meiner Kontakte zu deutschen Journalisten hatte ich damals als Redakteur von MF Dnes den Text der Erklärung als erster unter den tschechischen Journalisten überhaupt. Diese meine Exklusiv-Story war jedoch nach nur zwei Stunden dahin, da sich das tschechische Außenministerium entschied, nachdem es um vier Uhr nachmittags erfahren hatte, dass wir den Text  haben und veröffentlichen wollen, den Text selbst über die ČTK (tschechische Presseagentur) zu verbreiten.

Leider erfüllte die „Deutsch-tschechische Erklärung“ unsere Erwartungen auch in anderer Hinsicht nicht, zumindest nicht derjenigen, die der „Neuen Welle“ angehörten. Aus allen Schlussstrichen und Schlusspunkten waren lediglich Doppelpunkte geworden, halbherzige Versprechungen und Entschuldigungen, diplomatische Tänze und der Satz, dass „die Tschechische Republik und Deutschland ihre Beziehungen nicht mit Problemen der Vergangenheit belasten werden“. Als dann Helmut Kohl darüber hinaus im Liechtenstein-Palais verkündete, dass die Erklärung keine Eigentumsansprüche der Sudetendeutschen regle, war die Enttäuschung komplett.

Aber auch wenn wir und die Mehrheit meiner Kollegen von der „Neuen Welle“ uns nur wenig begeistert von der Erklärung zeigten, so verurteilten wir doch entschieden das, was die Kommunisten, die Anhänger des rechtsradikalen Sládek, aber auch ein Teil der Sozialdemokraten um sie im tschechischen Parlament inszenierten bzw. entfesselten. Nach der Erklärung begannen schließlich einige eingeweihte tschechische Diplomaten mit einer Art Aufklärungskampagne, die vor allem auf die „Neue Welle“ zielte. Mithilfe von Dokumente wiesen sie uns detailliert nach, dass eine Schwarz-Weiß-Sicht mit dem Ziel, uns bei den Sudetendeutschen zu entschuldigen und ihnen ihr Eigentum zurückzugeben, folgendes Problem nach sich ziehen würde: nach den Pariser Verträgen von 1947 war die Beschlagnahmung des Eigentums von Sudeten- bzw. Reichsdeutschen eine „teilweise“ Kriegsreparation des besiegten Deutschlands gegenüber der Tschechoslowakei als einem der Siegerstaaten. Außerdem hatte unsere „Neue Welle“ damals nicht berücksichtigt, dass den Sudetendeutschen von der Bundesrepublik eine teilweise Entschädigung gezahlt worden war.

Eine grundsätzliche Wende

Von der Gruppe um Bohumil Doležal und Emanuel Mandler wurde diese Ansicht scharf kritisiert. Dagegen gingen Právo und Jan Kovařík nach der deutsch-tschechischen Erklärung von einer rein anti-sudetendeutschen zu einer gemäßigten Rhetorik über und begannen, den durch die Erklärung begonnenen Aussöhnungsprozess zu unterstützen, was aus meiner Sicht eine grundsätzliche Wende bedeutete.

Nach der deutsch-tschechischen Erklärung kann ein gewisser Spannungsrückgang konstatiert werden, ebenso jedoch ein Rückgang des journalistischen Interesses an der sudetendeutsch-tschechischen Problematik generell auf tschechischer Seite. Ja, es gab die individuelle Entschädigung der NS-Opfer von deutscher Seite, es gab die ersten, von Abtasten und Wortgefechten gekennzeichneten deutsch-tschechischen Gesprächsforen, [es gab auch weiter] die alljährlichen Sudetendeutschen Tage und die Ansprachen des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, aber es schien, dass die ganz große Aufregung schon vorbei war. Um das Jahr 2000 rückte dann noch mal das Thema der Zwangsarbeiter in den Vordergrund, die wahrscheinlich letzte große Entschädigungsmaßnahme der Bundesrepublik, aber auch dies war nichts gegen die Spannung und die Anziehungskraft des Themas sudetendeutsch-tschechische Beziehungen in der ersten Hälfte der 90er Jahre.

Die Zeit; das Verschwinden der Generation derer, die Krieg und Vertreibung erlebt haben; entgegenkommende Gesten auf beiden Seiten der Grenze; die normale grenzüberschreitende Zusammenarbeit; der Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union; und zum Schluss sogar der Empfang des bayerischen Ministerpräsidenten und des Sprechers der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, beim tschechischen Premier Petr Nečas: alles das gab den sudetendeutsch-tschechischen bzw. deutsch-tschechischen Beziehungen eine andere Note.

Die Niederlage unserer Generation

Das meiner Ansicht nach größte Problem – und auf eine gewisse Art und Weise auch meine persönliche Niederlage – ist darin zu sehen, wie wenig es uns mit unseren eindeutigen Positionen hinsichtlich der Verurteilung der Vertreibung, der Entmythologisierung der Bedrohung durch Deutschland, Bayern und unsere ehemaligen deutschsprachigen Mitbürger und mit Vorschlägen wie z. B. der Errichtung eines Museums der böhmischen Deutschen (worüber ich schon Mitte der neunziger Jahre geschrieben habe) gelungen ist, die einbetonierte tschechische Politik in Bewegung zu bringen.

Ein bisschen besser gelang dies hinsichtlich der öffentlichen Meinung, aber auch dort mache ich mir keine großen Illusionen, dass vor allem bei der älteren Generation ein Umdenken stattgefunden hätte. Wenn ich über den Grund dafür nachdenke, dann könnte es sein, dass die Nachkriegsverbrechen [an unseren Deutschen] in Form von Morden, Vergewaltigungen, Folterungen in Konzentrationslagern und zum Schluss mit dem Abtransport in Viehwägen so schrecklich waren, dass schon ihr Eingeständnis für die Generation meiner Eltern, der die meisten tschechischen Politiker damals angehörten, eine so schmerzhafte Angelegenheit darstellt und demütigend ist, dass es fast unmöglich ist. Eine sudetendeutsch-tschechische Aussöhnung ist uns [Tschechen] also trotz aller Bemühungen einfach nicht gelungen.

Als Journalist verspürte ich jedoch nicht nur auf tschechischer, sondern auch auf sudetendeutscher Seite nicht genügend Demut und Anstrengungen und Willen zur Veränderung. Natürlich gab es Ausnahmen, aber ähnlich wie „München“, die Okkupation [der Tschechoslowakei] und die Verbrechen des Nationalsozialismus – der auch ein sudetendeutscher Nationalsozialismus war –, waren auch die tschechischen Verbrechen im Zuge der Vertreibung eine solche Schuldbelastung, dass weder Tschechen noch Sudetendeutschen sie überwinden konnten.

Mein Vater, der auch ein Kind der Kriegsgeneration ist, sagte mir, dass der November 1989 für ihn und seine Altersgenossen zu spät kam. Bis zur Rente verblieben ihm nur ein paar Jahre. Es gab nur wenige [ältere] Menschen, die [nach dem Ende des Kommunismus] den Mut und die Kraft hatten, im bürgerlichen Leben neu anzufangen. So gab es auch keinen deutsch-tschechischen Neubeginn für die Menschen, die bis zum Krieg in einem gemeinsamen Staat, einer gemeinsamen Heimat gelebt hatten. Wir Journalisten, die sich zwanzig Jahre ohne Erfolg darum bemüht haben, dass dies anders kommt – wie anders, das ist die andere Frage –, verspüren jetzt (und wahrscheinlich für immer) das Gefühl eines vergeblichen Kampfes. Ein vergeblicher Kampf der Kinder als Teil einer Familie, deren Eltern und Großeltern sich einst bis aufs Blut stritten, sich schrecklich wehgetan haben und bis zum Tod keinen gemeinsamen Weg mehr gefunden haben.

Lasst uns deshalb offen sagen: Die sudetendeutsch-tschechische Frage liegt heute schon auf dem Sterbebett. Die Generation von Zeitzeugen und direkt Beteiligten an diesem Konflikt verlässt uns, und es gibt niemanden, der sie ersetzt. Den in ganz Bayern und Deutschland zerstreut lebenden Sudetendeutschen widerfährt das Schicksal jeder Emigration, bei der die zweite und dritte Generation der Emigranten der Assimilierung unterliegt, im Falle unserer Deutschen zumal begünstigt durch die sprachliche Einheit mit der Umgebung. Ein Brandherd der gemeinsamen Geschichte ist heute vielleicht beseitigt, er schwelt nicht mehr, aber es wurde auf ihm auch nichts mehr neu gebaut oder wird neu gebaut werden. Vielleicht nur noch ein Kreuz und eine Gedenkstätte.

Die Sudetendeutschen machen keinen Spaß mehr

Heute habe ich es als Journalist mit einem Problem ganz anderer Art zu tun als etwa in den neunziger Jahren, als wir das Gefühl hatten, die tschechische Sicht auf die Vertreibung der Sudetendeutschen zumindest in Richtung einer tschechischen Entschuldigung oder des Bedauerns lenken zu müssen. Heute stoße ich bei den Kollegen der jüngeren Generation, die aktuell in den Medien zwar nicht die Mehrheit, aber doch einen bedeutenden Teil ausmachen – ich als 45jähriger bin da eher schon ein Veteran –, immer wieder auf absolutes Desinteresse. Kein Interesse an den Sudetendeutschen, keines an  der Erinnerung an die gemeinsame Geschichte, keines daran, überhaupt einen Standpunkt zur Vertreibung der Sudetendeutschen einzunehmen. Die grundsätzliche Haltung ist dabei, dass ihnen das eigentlich keinen Spass macht oder kein Interesse weckt, ebenso wie es auch die Chefs der tschechischen Medien nicht mehr interessiert, da sich mit den Sudetendeutschen keine Schlagzeile mehr produzieren läßt. Ich vereinfache sicher etwas, wenn ich  meine, dass die Sudetendeutschen nach der Auffassung der jüngsten tschechischen  Journalistengeneration in etwa auf dem Niveau der in Wien lebenden Tschechen anzusiedeln sind.

Man kann zwar vor allem bei jungen Menschen in den früher deutschen Städten des Grenzgebiets einen gegensätzlicher Trend  beobachten, was das Interesses an der Geschichte ihrer Wohnorte angeht. Dennoch muss ich feststellen, dass wir heute bei der Beschäftigung mit dem sudetendeutsch-tschechischen Thema mit Vergessen und Desinteresse kämpfen. Falls wir, denen daran liegt, dass dies nicht in Vergessenheit gerät, es nicht schaffen, uns dem entgegenzustellen, so kann es sein, dass während der nächsten 10-15 Jahre die Vertreibung ihre mentale Vollendung findet. Wenn wir zulassen, dass die Erinnerungen an das Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in Tschechien verschwinden; falls wir Tschechen es zulassen, dass die Sudetendeutschen als Bestandteil der tschechischen Kultur im [bundes-] deutschen [Bevölkerungs-] Meer verschwinden, falls die Sudetendeutschen keinen Weg zur positiven Rückkehr in das tschechische Bewusstsein finden, dann hat die Vertreibung sieben Jahrzehnte nach dem Krieg ihren Zweck erfüllt. Das wäre das Traurigste, was passieren könnte.

Übersetzung: Wolfgang Schwarz | redaktionelle Ergänzungen in eckigen Klammern

Johannes von Saaz-Museum: die Planung geht voran

Otokar Löbl und Andreas Kalckhoff sprachen in Brünn, Prag, Kaden und Saaz mit Historikern, Museumsplanern und Journalisten

Jan Šicha erläutert in Brünn das Außiger Ausstellungsmodell; rechts Museumsdirektorin Blanka Mouralová

Jan Šicha erläutert in Brünn das Außiger Ausstellungsmodell; rechts Museumsdirektorin Blanka Mouralová

Beim 23. Brünner Symposium (11.-13. April 2014) stellte das Collegium Bohemicum Ustí nad Labem|Aussig sein Projekt eines Museums der Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern vor. Der Förderverein der Stadt Saaz|Žatec erhielt von dieser hervorragenden Präsentation wertvolle Anregungen für sein eigenes Vorhaben und nutzte die Gelegenheit zum Gespräch mit den Ausstellungsmachern. Auch mit anderen Teilnehmern des Symposiums kam es zum gedanklichen Austausch über das Saazer Projekt, das von allen Seiten Zuspruch bekam. In Kaden und Saaz konnte der Förderverein konkrete Absprachen mit den Historikern Petr Hlavaček und Petr Čech über die erste internationale Tagung zur Saazer Geschichte treffen. Das Saazer Museumsprojekt wird aller Voraussicht nach von der Europäischen Union, dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und dem Tschechischen Staat gefördert.

Das Brünner Symposium und sein Vorläufer, die Iglauer Gespräche, werden seit 1992 jährlich von der deutschen Ackermann-Gemeinde und der tschechischen Bolzano-Gesellschaft | Společnost Bernarda Bolzana veranstaltet. Sie dienen der Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen über historische und politische Fragen von beiderseitigem Interesse. Über 250 Teilnehmer treffen sich hier regelmäßig zu Information und Diskussion. Diesmal ging es um die Problematik kultureller und sozialer Minderheiten wie etwa der Roma („Menschen am Rande“). Auch das Thema Deutsche in Böhmen wurde wieder angesprochen.

Im Unterschied zum Außiger Projekt, das die Geschichte aller Deutschen in Böhmen (Stichwort „Unsere Deutschen“) behandelt, wird sich das Saazer Johannes-von-Saaz-Museum|Jan ze Žatce-Muzeum auf das Saazer Land beschränken. Thema sind auch nicht ausschließlich die Deutschsprachigen, sondern es soll um das achthundertjährige Zusammenleben von Tschechen und Deutschen und die gegenseitige Befruchtung ihrer Kulturen gehen. Dabei spielen auch die Juden eine wichtige Rolle, von denen die meisten deutschsprachig waren, die aber vor allem in der jüngeren Geschichte eine politische und kulturelle Klammer zwischen Deutschen und Tschechen bildeten.

Das Saazer Museumsprojekt des Fördervereins wird im Rahmen der EU-geförderten kulturellen Zusammenarbeit zwischen dem Bundesland Sachsen und Tschechien stufenweise realisiert werden. Während in Aussig die erste Stufe in der Renovierung des ehemaligen Stadtmuseums als zukünftiger Ausstellungsort bestand, ist in Saaz als Einstieg eine Reihe von Tagungen zur Saazer Geschichte vorgesehen. Wegen des Eisernen Vorhangs, der den Zugang zu den tschechischen Archiven und Bodenfunden versperrte, gibt es von deutschen Historikern und Archäologen nach 1945 kaum regionalgeschichtliche Studien zu Böhmen. Žatec, ein abgelegener Ort im „Grenzland“, war aber wegen seiner deutschen Vergangenheit bis in die neunziger Jahre ein blinder Fleck auch in der tschechischen Geschichtsschreibung. Es ist deshalb zu erwarten, dass die geplanten Seminare beiderseits der Grenzen Aufmerksamkeit erregen werden. Durch Synchronübersetzung werden sie für Tschechen und Deutsche gleichermaßen zugänglich sein. Tagungsbände zur Verbreitung der wissenschaftlichen Früchte sind geplant.

Petr Čech und Petr Hlavaček haben bereits als Referenten zugesagt. Der Saazer Mgr. Petr Čech, ein Spezialist für frühmittelalterliche Archäologie, betreut seit 2005 für die Tschechische Akademie der Wissenschaften eine archäologische Forschungsstelle in Saaz, sein Arbeitsgebiet ist die Erforschung der frühen Besiedlungsgeschichte der Stadt. Er kann über einige erfolgreiche Grabungen berichten, die u. a. zu neuen Erkenntnissen hinsichtlich der ehemaligen Saazer Burg und der Lage früher Kirchen in Saaz führten.

PhDr. Petr Hlavaček aus Kaden ist Mitgründer des Collegium Europaeum an der Prager Karlsuniversität, das sich die Erforschung kultureller und politischer Identitäten in Europa seit dem Mittelalter zur Aufgabe gemacht hat. 2001-2007 war er am „Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas“ an der Universität Leipzig tätig. Er ist Spezialist für die Erforschung religiöser Ideen und Identitäten und speziell des Hussitentums. Er wird einiges beitragen zur Geschichte des hussitischen Saaz im 15. Jahrhundert.

In Prag ergab sich dann die Gelegenheit zu einem Hintergrundgespräch mit dem bekannten Journalisten (ML DNES) und seit neuestem Parlamentsabgeordneten Martin Komárek. Otokar Löbl und Andreas Kalckhoff berichteten ihm dabei auch über den aktuellen Stand des Saazer Museumsprojekts. Komárek, der sich seit langem für die deutsch-tschechische Versöhnung einsetzt und in seiner Zeitung die Bemühungen des Fördervereins um eine Gedenktafel in Postelberg positiv begleitet hat, zeigte sich auch von dem Museumsprojekt angetan und wünschte ihm Erfolg.

Über tausend neue Arbeitsplätze für das Saazer Land

Der südkoreanische Reifenhersteller Nexen plant im Gewerbegebiet Triangel bei Saaz|Žatec ein Fertigungswerk

Nexen ReifenGerüchte über das Interesse der Koreaner gab es schon länger, doch am Mittwoch, den 14. Mai wurden nun tatsächlich Verträge über den Kauf von 70 Hektar Bauland unterzeichnet. Nach eigener Aussage hatte sich besonders Staatspräsident Miloš Zeman für den Deal im strukurschwachen Nordwesten stark gemacht.

Nexen stellt hauptsächlich Reifen für die Automarken Hyundai, Kia und Škoda her. Bisher müssen die Autowerke Škoda in Jungbunzlau|Mlada Boleslav und Hyundai im nordmährischen Nosovice (bei Ostrava) die Reifen importieren.

Berichten zufolge wollen die Südkoreaner zunächst 22,8 Mrd. Kronen (832 Mio. Euro) in den Standort investieren, insgesamt soll der Investitionswert bis zu 40 Mrd. Kronen (1,5 Mrd. Euro) betragen. In dem neuen Reifenwerk sollen zunächst 1.000, später bis zu 2.300 Arbeitsplätze entstehen. Das Arbeitsamt rechnet mit weiteren Stellen bei lokalen mittelständischen Zulieferern. Die Produktion könnte dem Vernehmen nach in zwei Jahren beginnen, wenn alles wie geplant läuft.

Quellen:
Radio Prag 15. Mai 2014 | Marco Zimmermann
Tiroler Tageszeitung Online 15. Mai 2014

Dieser Beitrag wurde am von in Wirtschaft veröffentlicht. Schlagworte: Redaktion.

Kommt „sudetendeutsch“ aus der Mode?

In der Sudetendeutschen Jugend hat sich ein neuer Verein gegründet

Von Ralf Pasch | LandesZeitung Prag, 3-4 / 2014

Ralf PaschIn der Sudetendeutschen Jugend (SdJ), Nachwuchsorganisation der Sudetendeutschen Landsmannschaft, kann  sich offenbar  nicht mehr  jeder  mit  den  traditionellen Begriffen   und   Symbolen   identifizieren.   Das zeigt die Gründung des Vereins „Mit Ohne Grenzen“ (MOG), der aus dem SdJ-Bezirk Niederbayern-Oberpfalz hervorging und inzwischen 40 Mitglieder hat, darunter fünf Tschechen. Die Vereinsgründung ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Identität des Nachwuchses in den sudetendeutschen Organisationen der Bundesrepublik wandelt. Neben dem allmählichen Aussterben der „Erlebnisgeneration“ mag ein weiterer Grund dafür sein, dass es außer in der SdJ zum Beispiel auch in der „Jungen Aktion“, dem Jugendverband der katholisch geprägten Ackermann-Gemeinde, immer mehr Mitglieder ohne so genannten Vertriebenenhintergrund gibt.

Die traditionelle politische Erklärung der SdJ beim Sudetendeutschen Tag im vergangenen Jahr war von diesem Nachdenken über die eigene Rolle geprägt:

Die SdJ von heute ist weder Erlebnis- noch Bekenntnisgeneration. Wir sind die Erbengeneration, der es obliegt, das mitteleuropäische Erbe nicht zu bewahren und zu verwalten, sondern zu gestalten.

Schon in ihrer Erklärung zum 60. Gründungsjubiläum im Jahre 2010 hatte die SdJ klare Worte gewählt:

„Eigentumsfragen dürfen heute keinen Einfluss mehr auf die Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen haben“, stand dort. Zudem stellen sich die SdJler die Aufgabe, „an der Aufarbeitung deutscher Schuld mitzuwirken“.

Buchstäblich sichtbar wurde die Suche nach neuen Wegen in einer Kunstaktion am SdJ-Stand beim sudetendeutschen Pfingsttreffen 2013. Rund um den Stand waren mit weißer Farbe Worte und ganze Sätze auf den Boden geschrieben worden. „Hassliebe“, „Mein Thema? Euer Thema?“ oder „Nie wieder Nationalismus, nie wieder Vertreibung, nie wieder Krieg!“ war dort zu lesen. Die SdJler stellten sich damit die Frage, was ihre alljährliche Teilnahme am Sudetendeutschen Tag für sie bedeutet, was dies mit jedem Einzelnen macht, was es für die eigene Identität bedeutet.

Die Gründung des neuen Vereins MOG mag ein Versuch sein, Antworten auf solche Fragen zu finden. In dem Verein sammeln sich vor allem die Organisatoren des Zeltlagers in Gaisthal, in dem seit der Gründung Treffen der SdJ stattfinden und wohin seit dem Fall des Eisernen Vorhangs auch tschechische Jugendliche kommen. Inzwischen gibt es mit Sojka einen tschechischen Partnerverband. MOG-Vorsitzender Tobias Endrich sagt, dass einige SdJ- Mitglieder in seinem Umfeld sich nicht mehr damit hätten abfinden wollen, sich als „sudetendeutsch“ bezeichnen zu müssen, um deutsch-tschechische Jugendarbeit zu betreiben. Die Vereinsgründung soll „inhaltlich ein Zeichen setzen“, dass die grenzüber- schreitende Jugendarbeit auf eigenen Beinen stehen kann. Gleichwohl will der neue Verein weiterhin die Zusammenarbeit mit der SdJ pflegen. Laut Endres gibt es parallel Mitgliedschaften in der SdJ und dem neuen Verein.

Auch SdJ-Bundesvorsitzender Peter Paul Polierer ist Mitglied bei MOG geworden, er sieht in dem Verein wie seine Vorstandskollegin und bayerische SdJ-Landesvorsitzende Kataharina Ortlepp (siehe Interview unten) keine Gefahr, sondern eine Chance. Die Gründung sei ein Beweis dafür, dass „die Arbeit in der deutsch-tschechischen Jugendarbeit, die die SdJ seit dem Fall des Eisernen Vorhangs betreibt, ihre Früchte trägt“. Ziel des Lagers in Gaisthal sei „die Versöhnung und die Partnerschaft mit dem tschechischen Volk“. Es wäre „einfältig“, so Polierer, diese Arbeit ausschließlich im sudetendeutschen Kontext zu sehen. Der SdJ-Vorsitzende lehnt es dann auch ab, sich als „sudetendeutsch“ zu bezeichnen. Stattdessen sieht er sich als „Europäer niederbayerischer Heimat und böhmisch-mährischer Abkunft“.

Der Bundesvorsitzende der SL, Franz Pany, versucht, der Neugründung ebenfalls etwas Positives abzugewinnen, er sieht in dem neuen Verein eine „Erweiterung der vorbildlichen grenzübergreifenden Jugendarbeit auch über die sudetendeutsche Volksgruppe hinaus“. Grundsätzlich sei jede Aktivität zu begrüßen, die sich auf ein verbindendes Miteinander der jungen Generation sowie deren Austausch auf allen Gebieten erstreckt.

Freilich scheinen die aktuellen Entwicklungen in der SdJ mehr zu sein als nur eine Intensivierung der deutsch-tschechischen Kontakte. Vorsitzender Polierer spricht von einer „Strukturreform“, die in dem nach eigenen Angaben 5.000 Mitglieder zählenden Verband aktuell im Gange sei und die er notwendig findet, weil sich in den über 60 Jahren seit der Gründung vieles verändert habe. Das wird außer an der Rhetorik auch an der Symbolik deutlich: Den Adler der Landsmannschaft ersetzte die SdJ schon vor einiger Zeit in ihrem Logo durch einen Vogel, der von der deutschen und der tschechischen Fahne beflügelt wird.

Katharina OrtleppKeine Spaltung, sondern eine Chance

Interview von Ralf Pasch mit der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Sudetendeutschen Jugend (SdJ) und bayerischen Landesvorsitzenden der SdJ, Katharina Ortlepp

LZ: Frau Ortlepp, wie bewerten Sie die Gründung der neuen Gruppe „Mit Ohne Grenzen“ (MOG), ist das eine Spaltung der SdJ?

Wir sehen die Gründung des Vereins „Mit Ohne Grenzen“ nicht als Spaltung, sondern als Erweiterung unserer Arbeit über den sudetendeutschen Kontext hinaus. Es gibt viele Gründe, deutsch-tschechische Jugendarbeit zu machen. Ein sudetendeutscher Hintergrund ist ein sehr guter Grund, aber natürlich nicht der einzige. Wir arbeiten sehr eng mit dem neuen Verein zusammen: im Rahmen unsers Dachverbandes, der djo – Deutsche Jugend in Europa Landesverband Bayern, durch das Kooperationsabkommen zwischen der Sudetendeutschen Jugend und Mit Ohne Grenzen und natürlich auch inhaltlich. Für mich ist das deutsch-tschechische Zeltlager in Gaisthal nach wie vor das beste Zeltlager der Welt, ich fahre so oft ich es schaffe, als Betreuerin dorthin. Deshalb war ich bei der Gründung des Vereins im August dabei und wurde dort Mitglied. Da wir die Gründung als Erweiterung sehen, ist sie für uns kein Problem, sondern die Möglichkeit, aus ganz anderen Bereichen neue Mitglieder zu gewinnen. Vielleicht kann ja auch die Landsmannschaft davon profitieren, wenn wir unsere Arbeit auf eine breitere Basis stellen.

LZ: Die Gründer der Gruppe gaben als einen Grund für den neuen Namen an, dass einige Mitglieder in der SdJ mit dem Begriff „sudetendeutsch“ nichts mehr anfangen können, erleben Sie das auch so?

Natürlich hat die Generation der heute Aktiven eine andere Selbstwahrnehmung als die vorherigen Generationen. Die Enkelgeneration sieht die sudetendeutsche Herkunft ihrer Vorfahren als Teil ihrer Identität, was aber nicht automatisch heißt, dass sich unsere Mitglieder als junge Sudetendeutsche sehen. Diese Zuschreibung erfolgt vielmehr von außen und ist oft nicht ganz richtig, vor allem da wir mittlerweile auch viele Mitglieder ohne sudetendeutschen Hintergrund haben – mich zum Beispiel. Entscheidend sind für uns die Werte, die aufgrund unserer Verbandshistorie in der SdJ gelebt werden. Auch wenn sich der Zugang dazu geändert hat, geht es weiterhin um Völkerverständigung, Kulturerhalt- und Weiterentwicklung sowie die Arbeit an einem geeinten Europa.

LZ: Erwarten Sie, dass sich weitere solcher Gruppen wie MOG gründen? Wird sich die SdJ irgendwann fragen müssen, ob sie weiterhin gebraucht wird? Ist vielleicht eine neue Organisationsform nötig?

Nein, das erwarten wir nicht. Die Mehrzahl der SdJ-Mitglieder engagiert sich innerhalb der Kulturgruppen, sie haben einen anderen Zugang zur sudetendeutschen Thematik und identifizieren sich stärker damit. Allerdings überlegen wir tatsächlich, wie wir die Sudetendeutsche Jugend organisatorisch neu aufstellen können. Die rege Beteiligung der Mitglieder und die vielen Ideen, die sie dafür haben, zeigen uns, dass die SdJ sehr wohl noch gebraucht wird.