Das Hopfenerntefest (tschechisch: dočesná) in Saaz, kurz auch Hopfenfest genannt, erinnert uns an ein antikes Bacchanal. Was dem Münchner sein Oktoberfest, ist für den Saazer und die ganze Tschechische Republik das Hopfenfest.
Schon in früheren Zeiten folgte auf die Hopfenernte das Hopfenkranzfest. Unter Jubelgeschrei und Gesang begleiteten die Hopfenpflücker den mit Hopfenlaub und Fahnen geschmückten letzten Erntewagen in den Wirtschaftshof. Bei ihrer Ankunft krönten sie den Besitzer und seine Gemahlin mit einem aus den schönsten Hopfenzweigen geflochtenen Kranz (“Hopfenkranz”).
Bei Speise und Trank verbrachte man fröhliche Stunden. In der Regel fand sich ein Drehorgelspieler ein − in dessen Ermangelung tat es auch eine Ziehharmonika −, und beim Tanz vergnügten sich daraufhin Jung und Alt. Da Saaz eine größere Stadt war, nahm auch das Hopfenkranzfest bald größere Formen an.
Während der Besatzung durch die Nationalsozialisten ab 1938 war das Saazer Hopfenfest verboten, denn es hatte angeblich keine germanische Tradition, aber zur Freude und Heiterkeit gab es während des Krieges ohnehin keinen Anlass.
Nach dem Krieg wurde die Tradition der Hopfenfeste wiederbelebt. Die Kommunisten benutzte das Fest leider auch zu Propagandazwecken. Aber es fand wieder jährlich statt, nur 1968 nach dem Einmarsch der sowjetischen Armee fiel es aus.
Foto: Hopfenkönig und Tanz vor den Rathaus in Saaz 1910
Saazer gedenken jüdischer Nazi-Opfer
Tschechen und Deutsche erinnern auf dem Jüdischen Friedhof von Saaz/ Žatec gemeinsam an die Ermordung der jüdischen Mitbürger
Am Montag, den 27. Mai 2013 trafen sich Bürger aus Saaz | Žatec, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Teplitz | Teplice und deutsche Saazer aus der Bundesrepublik zur Gedenkveranstaltung „Der Genozid an den Saazer Juden“. Sie gedachten damit des schrecklichen Schicksals der Saazer Juden während der Okkupation Böhmens 1938-1945 durch das nationalsozialistische Deutschland. Bevor die Nazis kamen, stellten die Juden, die sich überwiegend zur deutschen Volksgruppe bekannten, ein Zehntel der Saazer Bevölkerung. Heute lebt nur mehr eine Familie hier, deren Mitglieder in der Jüdischen Gemeinde Teplitz aktiv sind. Saaz hat keine eigene Jüdische Gemeinde mehr.
Einleitende Worte sprach Petr Šimáček, Vorsitzender der „Freunde und Landsleute der Stadt Žatec“, der im Besonderen die Saazer Landsleute aus der Bundesrepublik begrüßte. Die Mitglieder des Heimatkreises Saaz unter ihrem Vorsitzenden Adolf Funk hatten am Tag zuvor in Postelberg der deutschen Opfer von Gewalt und Vertreibung nach dem Krieg gedacht. Jetzt legten sie auch für die jüdischen Opfer Blumen nieder. Bei den tschechischen Gastgebern machte dies großen Eindruck. Bürgermeisterin Hamousová ging darauf beim Empfang im Rathaus am nächsten Tag ausdrücklich ein.
Gabriela Becková, Stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Teplitz und Enkelin des letzten Kantors der Saazer Jüdischen Gemeinde, erzählte in ihrer Rede die Geschichte der Juden und des Jüdischen Friedhofs von Saaz. Jan Novotny, der Stellvertretende Bürgermeister von Saaz, sprach von Gelassenheit, Demut und Versöhnung als drei Tugenden, die er sich bei der Bewältigung der gemeinsamen Vergangenheit von Tschechen, Deutschen und Juden wünscht. Otokar Löbl, Vorsitzender des deutschen Fördervereins der Stadt Saaz/ Žatec, erinnerte an den Verlust, den Saaz durch das Ende der jüdischen Kultur in seinen Mauern erlitten hat, und machte einen Exkurs in die Geschichte von Rassismus und Antisemitismus zur Zeit des späten Kaiserreichs und der ersten Tschechoslowakischen Republik. Er warnte vor wiedererwachender Judenfeindlichkeit in rechtskonservativen und rechtskatholischen Kreisen der heutigen tschechischen Republik.
Nach der Niederlegung von Blumen an der Gedenkplatte schloss die Feierlichkeit mit einem jüdischen Gebet. Veranstalter der Gedenkfeier waren die jüdische Gemeinde Teplitz, der Förderverein der Stadt Saaz / Žatec, die Vereinigung der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec, der Heimatkreis Saaz und die Stadt Žatec. Sie ist Teil des Projekt „Die Juden von Saaz“, mit dem der Förderverein der Stadt Saaz/ Žatec den bedeutenden Beitrag in Erinnerung bringen möchte, den die Juden zu Wirtschaft und Kultur der tschechischen und deutschen Geschichte im Saazer Land geleistet haben.
Die tschechische Presse berichtete lokal und landesweit von der Veranstaltung, ebenso das Saazer Regionalfernsehen.
Heute lebt nur noch eine jüdische Familie in Saaz
VON OTOKAR LÖBL | Rede auf dem Jüdischen Friedhof in Saaz am 27. Mai 2013
Sehr geehrte Damen und Herren,
Genozid (neulateinisch: genocidium, „Völkermord“) ist seit der Konvention von 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes ein Straftatbestand des Völkerrechts, der nicht verjährt. Von Genozid spricht man dann, wenn viele Menschen einer bestimmten nationalen, ethnischen oder religiösen Gruppe systematisch ermordet werden.
Als Holocaust (hebräisch: schoah, „Unheil, Katastrophe“) wird der Völkermord an 5,6 bis 6,3 Millionen Menschen bezeichnet, die das Deutsche Reich in der Zeit des Nationalsozialismus als Juden definierte. Er gründete auf dem vom NS-Regime propagierten Antisemitismus und zielte auf die vollständige Vernichtung der europäischen Juden. Er wurde ab 1941 systematisch, ab 1942 auch mit industriellen Methoden durchgeführt.
Auch unserer Stadt hat dieser Genozid große Opfer gekostet. Saazer Juden, denen es nicht rechtzeitig gelang, Europa zu verlassen, landeten fast alle in den Gaskammern der Vernichtungslager. Die Saazer Juden haben in dieser Stadt, wie überall in Europa, einen bedeutenden Beitrag zu Wirtschaft und Kultur geleistet, der heute schmerzlich fehlt. Unser Projekt „Die Juden von Saaz“ möchte nicht nur da Schicksal der Ermordeten betrauern, sondern auch deren Beitrag zur tschechischen und deutschen Geschichte der Stadt in Erinnerung bringen.
Der Antisemitismus war kein Monopol von Nazi-Deutschland. Er war auch schon in Österreich-Ungarn verbreitet. In der ersten Tschechoslowakischen Republik tarnte er sich mit dem Vorwurf, dass die Juden überwiegend deutsch sprachen und sich zur deutschen Kultur bekannten. Dieses Dilemma der böhmischen Juden formulierte Theodor Herzl schon 1897: „Was haben sie denn getan, die kleinen Juden von Prag, die braven Kaufleute von Prag, die friedlichsten aller friedlichen Bürger? In Prag warf man ihnen vor, dass sie keine Tschechen, in Saaz und Eger, dass sie keine Deutschen seien.“
Bei der Volkzählung im Jahre 1930 wurden 944 Juden in Saaz registriert. Das waren jene Einwohner, die sich selbst als eine eigene Volksgruppe neben Deutschen und Tschechen betrachteten. Die tatsächliche Anzahl der Bürger jüdischer Abstammung war jedoch höher, sie lag bei über zehn Prozent der Saazer Bevölkerung. Die meisten davon hatten für die deutsche Volksgruppe optiert, einige auch für die tschechische. Dieses Bekenntnis zum Deutschtum nutzte ihnen freilich im November 1938 nichts. Die Nazis sortierten nach Rasse – was immer das sein mag – und nicht nach Kultur. In der Nacht vom 9. auf den 10. November, der sogenannte „Reichskristallnacht“, brannte auch in Saaz die Synagoge. Dabei wurde die ganze Inneneinrichtung zerstört.
Danach begann der Abtransport der jüdischen Mitbürger in Lager. Im Mai 1939 lebten in Saaz nur noch 91 nach den Nürnberger Gesetzen so genannte „Rassejuden“. Heute gibt es in Saaz nur noch eine jüdische Familie, deren Mitglieder in der jüdischen Gemeinde Teplitz aktiv sind. Dies ist die Familie Beck. Dazu gehören die Tochter meines Freundes Karel, der hier auf dem Friedhof beerdigt ist, und die Enkelin des letzten Kantor der Saazer jüdischen Gemeinde Otto Beck, Gabriela. Letztere ist hier anwesend als Stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Teplitz, die Saaz mitbetreut. Saaz hat keine eigene jüdische Gemeinde mehr.
Die ungeheure Schuld der deutschen Nazis an der Vernichtung der Juden auch in Böhmen, an der auch Sudetendeutsche teilnahmen, soll nicht relativiert werden. Aber es sei doch ein Blick auf die Geschichte Böhmens seit dem späten 19. Jahrhundert erlaubt, auf die Situation der Juden in Österreich-Ungarn und in der ersten Tschechoslowakischen Republik, die durchaus als Menetekel der späteren Judenvernichtung gesehen werden kann, und nicht zuletzt auf die aktuelle Lage in der Tschechischen Republik.
Gegen Ende des 19. Jahrhundert begann die Lage für die Juden in Böhmen und Mähren kritisch zu werden. Als Warnung vor dem Kommenden kann die Wahl von Karl Lueger zum Bürgermeister von Wien gelten, der ein offen antisemitisches Programm vertrat. In den achtziger Jahren breitete sich von Österreich die pangermanische Bewegung des Georg von Schöner aus, die besonderen Widerhall bei der Landbevölkerung und den Arbeitern in Nordböhmen fand. So wurde Nordböhmen zur Wiege des deutschen Nationalsozialismus. Dies gipfelte im Jahre 1919 in der Gründung der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiter Partei (DSNAP) mit Sitz in Aussig. Die reichsdeutsche NSDAP wurde erst ein Jahr später gegründet.
Aber auch im tschechischsprachigen Böhmen erschienen jetzt antisemitische Bücher und Pamphlete, im Namen der Narodni Ochrana („Nationalen Verteidigung“) z. B. der Titel „Gedanken über den materiellen und sittlichen Niedergang der tschechischen Nation“, an dem auch die Juden schuld seien: Die Juden verkaufen angeblich billige, aber schlechte Ware, mit denen sie die tschechischen Frauen verführen. Tschechen sollten deshalb nur bei Christen zu kaufen. 1910 vermischt ein Gedicht, das in einem volkssozialistischen Blatt erscheint, nationalrevolutionäres Pathos auf fatale Weise mit antisemitischer Hetze: „Gleiches zu Gleichem! Erkenne das Richtige! Erhebe stolz Deinen Kopf, Du zu Tode gehetztes, unterdrücktes Volk! Schau doch an, wie da aus deinen Hautschwielen die Juden wachsen ….“ So geht das in einem fort weiter.
Was waren das für großen Pfadfinder in Prag, die schon am 14. Oktober 1938, also zwei Wochen nach dem Münchner Abkommen, ein Memoranden der obersten Stände der Ärzte, Rechtsanwälte, Notare und Techniker herausgaben, in dem sie verlangten, „dass es in Zukunft im Interesse des Volkes nicht zulässig sei, dass ärztliche, anwaltliche und technische Berufe von Juden ausgeübt werden“! So eine Haltung konnte nicht im Laufe von zwei Wochen unter deutschem Druck entstehen, sie musste schon länger im Denken verwurzelt sein. Worin unterschieden sich Deutsche und Tschechen dann in ihrer Einstellung zu den Juden? Durch die Nürnberger Gesetze? Auch diese versuchte die Resttschechei mit Meilenschritten nachzuholen.
Am Anfang des 21. Jahrhunderts müssen wir überall auf der Welt das Wiederaufleben des Antisemitismus feststellen, z. B. in der Form eines europaweiten Neonazismus, mit dessen Verbreitung sich die Angriffe auf jüdische Einrichtungen vermehren; im islamischen Fundamentalismus, der unter der Fahne des Antizionismus den jüdischen Staat existentiell bedroht; aber auch in Gestalt einer überzogenen und einseitigen Kritik an der Politik des Staates Israel, hinter der sich oft alte antijüdische Sentiments und Ressentiments verbergen.
Zum Schluss möchte ich noch aus dem Bericht über den Stand des Antisemitismus zitieren, den die „Föderation der Jüdischen Gemeinden in der Tschechischen Republik“ 2010 veröffentlicht hat: „Trotz der überwiegend positiven Haltung der tschechischen Öffentlichkeit den Juden gegenüber ist es nötig zu bemerken, dass tschechische Rechtsextremisten wie gehabt in ihren Schriften Konspirationstheorien über die Vorherrschaft der Juden verbreiten. Dies geht mit einem Antijudaismus einher, der üblicherweise aus christlichen Kreisen stammt. Die Juden werden als Urheber des Bösen in der Welt und in der Tschechischen Republik bezichtigt. Diese Extremisten werden durch den arabischen Antisemitismus inspiriert, der in der arabischen Welt im Trend ist. Erhöhte Aktivität hinsichtlich einer antiisraelischen Haltung beobachten wir im Nahen Osten, z. B. im Zusammengang mit der europäischen Aktion ‚Flotte der Freiheit‘. Die Extremisten benutzen außer schriftlichen Medien überwiegend Internetvideos, die sie aus fremdsprachigen Quellen übernehmen.“
In diesem Zusammenhang sei die faschistoide Aktion D.O.S.T. (Akronym aus Důvěra, Objektivita, Svoboda, Tradice = Glaube, Objektivität, Freiheit und Tradition; tschechisch „dost“ heißt aber auch „Es reicht!“) erwähnt, deren Propagandist Ladislav Bátora bis zum Herbst 2011 einen hohen Posten im Bildungsministerium besetzte. Bátora war 2006 für die rechtsextreme Nationalpartei ins Parlament gewählt worden und durch antisemitische Äußerungen, Ausfälle gegen Sinti und Roma sowie Homosexuelle hervorgetreten. D.O.S.T. muss nicht nur für die tschechischen Juden, sondern für die ganze Republik als ein gefährliches Phänomen betrachtet werden.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.
Die Juden von Saaz – Ein Projekt des Fördervereins
Ein Projekt des Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec in Zusammenarbeit mit dem Verein der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec und der jüdischen Gemeinde Teplice, unter der Schirmherrschaft der Stadt|Žatec / Vorgestellt von Otokar Löbl
Warum befassen wir uns mit Geschichte? Weil wir uns ohne Kenntnis der Vergangenheit in der Gegenwart nicht gut zurecht finden. Die geschichtliche Überlieferung ergänzt das genetische Gedächtnis und ermöglicht uns damit eine Gestaltung der Zukunft, zu der Tiere nicht fähig sind. Außerdem finden wir in der Geschichte Erklärungen, warum die Gegenwart so ist, wie sie ist. Wie der bedeutende deutscher Historiker Johannes Droysen sagte:
„Nicht die Vergangenheiten sind die Geschichte, sondern das Wissen des menschlichen Geistes von ihnen. Und dies Wissen ist die einzige Form, in der die Vergangenheiten unvergangen sind, in der die Vergangenheiten als in sich zusammenhängend und bedeutsam, als Geschichte erscheinen.“
Die Geschichte muss daher ständig ergänzt werden und manchmal sogar neu geschrieben. Am besten drückte dies Prof. PhDr. František Šmahel aus:
„Geschichte wird immer neu geschrieben, denn sonst würde sie für uns als Bürger ihren Sinn verlieren. Es kann nämlich sein, ich will es nicht heraufbeschwören, dass man in der Geschichte und ihren Gestalten wieder nationale Stärke suchen wird und dies ohne Rücksicht auf das Fortschreiten der europäischen Integration. Die Geschichte als Wissenschaft sollte sich aber nicht durch nationale und religiöse Rücksichtsnahmen binden. Auch wenn sie mit ihren Erkenntnissen manchmal verletzt.“
Die erste Erwähnung einer jüdischen Gemeinde in Saaz stammt aus dem Jahre 1350. Die jüdische Siedlung befand sich in der Nähe des heutigen Stadttheaters. Die Judenfeindschaft, die es seit dem Hochmittelalter in ganz Europa gab, kulminierte im Pogrom von 1541. Am Anfang des Dreißigjährigen Krieges wohnten in Saaz mehrere jüdische Familien. In den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts waren vier Häuser in jüdischem Besitz. 1650-1848 besaß Saaz das kaiserliche Privileg einer „judenfreien Stadt“. Um 1860 lebten dann wieder ungefähr 800 Juden in der Stadt. Im Jahre 1864 wurde das Haus Nr. 200 in der Langen Gasse für den Bau einer Synagoge gekauft, die am 18. März 1872 von Rabiner Dr. Abraham Frank eingeweiht wurde.
Bei der Volkszählung im Jahre 1930 wurden 944 Juden in Saaz registriert. Das waren jene Einwohner, die sich selbst als eine eigene Volksgruppe neben Deutschen und Tschechen betrachteten. Die tatsächliche Anzahl der Bürger jüdischer Abstammung war jedoch höher, sie lag bei über zehn Prozent der Saazer Bevölkerung. Die meisten davon hatten für die deutsche Volksgruppe optiert, einige auch für die tschechische. Dieses Bekenntnis zum Deutschtum nutzte ihnen freilich im November 1938 nichts. Die Nazis sortierten nach Rasse – was immer das sein mag – und nicht nach Kultur. In der Nacht vom 9. auf den 10. November, der sogenannte „Reichskristallnacht“, brannte auch in Saaz die Synagoge. Dabei wurde die ganze Inneneinrichtung zerstört.
Im Mai 1939 lebten in Saaz nur noch 91, nach den Nürnberger Gesetzen so genannte „Rassejuden“. Danach begann der Abtransport der jüdischen Mitbürger in Lager. Saazer Juden, denen es nicht rechtzeitig gelang, Europa zu verlassen, landeten fast alle in den Gaskammern der Vernichtungslager. Heute gibt es in Saaz nur noch eine jüdische Familie, deren Mitglieder in der jüdischen Gemeinde Teplitz aktiv sind. Saaz hat keine eigene jüdische Gemeinde mehr.
Die Saazer Juden haben in dieser Stadt, wie überall in Europa, einen bedeutenden Beitrag zu Wirtschaft und Kultur geleistet, der heute schmerzlich fehlt. Unser Projekt „Die Juden von Saaz“ möchte nicht nur das Schicksal der Ermordeten betrauern, sondern auch deren Beitrag zur tschechischen und deutschen Geschichte der Stadt in Erinnerung bringen.
Das Projekt – die nächsten Schritte
- Ausstellung „Die Juden von Saaz“ in der Saazer Synagoge in überarbeiteter Form deutsch und englisch als Dauerausstellung für die Saazer Bürger und die Besucher der Stadt (www.saaz-juden.de);
- Historische Studie über den jüdischen Anteil an Leben und Kultur von Saaz anhand von Archivdokumenten und amtlichen Statistiken des 17.-20. Jahrhunderts;
- Schriftliche und visuelle Dokumentation von Schicksalen Saazer Juden vor, während und nach der deutschen Okkupation, ihre Digitalisierung und Veröffentlichung im Internet;
- Dokumentation der Verfolgung und Deportation der jüdischen Bevölkerung von Saaz während der deutschen Okkupation;
- Digitale Dokumentation der jüdischen Friedhöfe im Saazer Land;
- Schriftliche und visuelle Dokumentation der Luftbrücke von Saaz nach Ekron/ bei Haifa in Israel 1948 und der tschechischen Hilfe für den jungen israelischen Staat (nach Zeitzeugen aus Israel);
- Veranstaltungen zur Erinnerung an die Juden von Saaz.
Bayerischer Minister besucht Saaz und Postelberg
Empfang durch die Saazer Bürgermeisterin – Besuch der Gedenkstätte Postelberg
Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle besuchte am Maifeiertag 2013 die nordböhmischen Städte Saaz|Žatec und Postelberg|Postoloprty. An der männlichen Bevölkerung diese früher überwiegend deutschbesiedelten Städte wurde im Mai/ Juni 1945 ein Massaker verübt. Daran erinnert heute eine Gedenktafel, die von der Stadt Postelberg gestiftet wurde.
Minister Spaenle wurde von einer fünfköpfigen Delegation begleitet, darunter der Europaabgeordnete Bernd Posselt. Die Gäste wurden in Saaz auf dem Marktplatz von Bürgermeisterin Zdenka Hamousova sowie Petr Šimáček und Otokar Löbl, den Vorsitzenden der „Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“ bzw. des deutschen „Fördervereins der Stadt Saaz/ Žatec“ begrüßt. Bei der anschließenden Veranstaltung im Hotel „Goldener Löwe“ (Zlaty Lev) bekamen der Minister und Herr Posselt von der Bürgermeisterin ein Bilderbuch über die Stadt Saaz. Herr Löbl überreichte das Buch „Versöhnung durch Wahrheit“, das die Verbrechen vom Mai/ Juni 1945 und ihre mediale Bewältigung in Tschechien 1995-2010 dokumentiert. Im nahen Postelberg besuchten die Gäste die Gedenkstätte für die Opfer auf dem dortigen Friedhof.
Die Delegation war von Saaz, dessen Innenstadt unter Denkmalsschutz steht und das sich um den Titel „Weltkulturerbe“ bewirbt, nicht nur in touristischer Hinsicht begeistert. Bei der Bierverkostung nahm man gerne die Einladung zum berühmten Saazer Hopfenfest im Herbst an und versprach im Gegenzug, sich für den Fremdenverkehr, aber auch für die Projekte der beiden tschechischen und deutschen Fördervereine einzusetzen. Von diesen kam insbesondere das laufende Projekt „Die Juden von Saaz“ und die geplante Einrichtung eines Museums für deutsch-böhmische und jüdische Kultur im Saazerland („Johann-von-Saaz-Museum“) zur Sprache.
Mitglieder der Delegation waren außer Minister Dr. Ludwig Spaenle: der führender Mitarbeiter der Landeszentrale für Politische Bildung in Bayern, Herr Werner Karg; der Direktor der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Jörg Skriebeleit; der Europaabgeordnete Bernd Posselt; der Geschäftsführer der Paneuropaunion, Johannes Kijas, und die Sekretärin des europäischen Parlaments, Frau Stephanie Waldburg.
Versöhnung durch Wahrheit: Buch über Fall Postoloprty|Postelberg
Martina Schneibergova im Gespräch mit Andreas Kalckhoff | Tschechischer Rundfunk 7, Radio Prag, 28. März 2013
Kurz nach dem Kriegsende wurden im nordböhmischen Postoloprty|Postelberg 763 deutsche Zivilisten, darunter Frauen und Kinder ermordet. Zwei Jahre nach dem Massaker hat eine Parlamentskommission den Fall untersucht. Während des Kommunismus war der Fall Postelberg jedoch ein Tabu-Thema. Erst vor zwei Jahren wurde herausgefunden, wer 1945 Schießbefehl erteilte. Die beiden Täter sind inzwischen gestorben und wurden nie bestraft. Zahlreiche Dokumente zum Fall Postelberg, Zeugenaussagen sowie Berichte von tschechischen und deutschen Medien, sind einem neuen Buch enthalten, das vor kurzem erschienen ist. Der zweisprachige Band heißt „Versöhnung durch Wahrheit – Der Fall Postelberg und seine Bewältigung 1945-2010“. Herausgegeben wurde er vom sudetendeutschen Heimatkreis Saaz. Das Buch hat der deutsche Historiker Andreas Kalckhoff zusammengestellt, der selbst aus Žatec|Saaz stammt. Bei der Präsentation des Buches in der Prager Buchhandlung Academia entstand das folgende Gespräch mit dem Historiker.
Herr Kalckhoff, Sie haben sich selbst als Deutschböhme bezeichnet. Spielte dies eine Rolle bei der Entstehung Ihres Buchs?
Meine Mutter ist in Saaz geboren. Meine Vorfahren lebten seit einigen Jahrhunderten in Saaz. Im Elternhaus ist viel über Saaz erzählt worden. Irgendwann möchte man ja wissen, wie seine Geburtsstadt ausschaut. Auf die Idee, mich zu engagieren, bin ich durch Otokar Löbl gekommen. Er hat mich angesprochen, und sein Plan hat mir gefallen. Seitdem arbeite ich an dem Projekt des „Saazer Weges“ mit.
Handelt es sich um ein rein wissenschaftliches Buch oder ist der Band für die breite Öffentlichkeit bestimmt?
Es hat schon den Anspruch eines wissenschaftlichen Buches. Es sind darin Dokumente veröffentlich, die so auf Tschechisch überhaupt nicht veröffentlicht wurden. Wir kommentieren es aber nicht wissenschaftlich, sondern bringen Anmerkungen, die das Verständnis erweitern, weil die junge Generation über die Zeit von 1945 nicht allzu gut Bescheid weiß. Das Ziel ist vor allem, die jüngere Generation mit diesen Ereignissen vertraut zu machen. Ich glaube nicht, dass man an der Meinung von älteren Leuten viel ändern kann. Deswegen freuen wir uns auch über das große Interesse, das junge Menschen für das Thema gezeigt haben. Es gab mittlerweile schon einige Projekte von Geschichtslehrern in Tschechien, die diese Themen mit ihren Schülern durchgegangen sind. Auch das haben wir in dem Buch unter anderem dokumentiert.
Wann haben Sie Ihre Geburtsstadt Saaz zum ersten Mal besucht – war es erst nach der Wende oder schon in den 1960er Jahren?
Ich war 1968 das erste Mal hier, danach nach der Wende 1992. Seit 2000 komme ich regelmäßig nach Böhmen.
War es damals in den 1960er Jahren schon möglich, in den Archiven über das Thema Postelberg zu forschen?
Nein. Damals hatte ich auch noch kein Interesse, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich habe zwar böhmische Geschichte studiert, ich bin ein Schüler von Ferdinand Seibt, der selber aus Böhmen stammte und über das Mittelalter geschrieben hat, bin also eigentlich Mittelalter-Spezialist. Die ganze Geschichte der Vertreibung hat mich damals nicht so sehr interessiert. Meine Mutter hat zwar davon erzählt, und was sie erzählt hat, war nicht schön.
Haben Sie vor, weiter in diesem Bereich zu forschen? Es gibt auch noch weitere Fälle, die nicht so bekannt sind wie das Massaker von Postelberg.
Nein, das Thema ist erstmal für uns abgeschlossen. Ein größeres Projekt wäre ein Museum für deutsch-tschechisch-jüdische Kultur im Saazer Land. Wir werden mit dem Museum in Aussig zusammenarbeiten, in dem auf das Thema für ganz Böhmen eingegangen wird. Wir würden uns da auf Saaz beschränken, das liegt aber noch in weiter Ferne. Ich kann das auch nicht alleine machen, da braucht man viel Hilfe vor allem von den Kollegen aus Tschechien.
Versöhnung durch Wahrheit
Das Buch zum „Fall Postelberg“ wurde in Saaz und Prag vorgestellt
(Saaz/ Prag) Mit einer feierlichen Buchtaufe, wie sie in Tschechien üblich ist, wurde das wegweisende Werk über die Tragödie von Postelberg im Mai/ Juni 1945 und ihre Bewältigung seit 1995 am vergangenen Donnerstag und Freitag der tschechischen Öffentlichkeit unter Teilnahme politischer Prominenz vorgestellt. Es erscheint in deutscher und tschechischer Sprache.
Zwei Jahre nach der Ermordung von mindestens 763 deutsch-böhmischen Männern, Frauen und Kindern aus dem Saazer Land im Lager Postelberg hat eine Prager Parlamentskommission diesen Vorgang untersucht. Die Protokolle der Untersuchung und andere Dokumente zum „Fall Postelberg“ wurden danach geheim gehalten und erst nach Ende des kommunistischen Regimes zugänglich. Der sudetendeutsche „Heimatkreis Saaz“ (Roth) hat diese Geschichtsquellen veröffentlicht und ergänzt durch Zeitzeugenaussagen von Überlebenden und Vertriebenen sowie durch einen Pressespiegel, der die Reaktion der tschechischen und deutschen Öffentlichkeit auf das Bekanntwerden der Geheimakten wiedergibt. Außerdem sind die deutsch-tschechischen Bemühungen um die Anbringung einer Gedenktafel für die unschuldigen Opfer von Postelberg, die im Juni 2010 erfolgreich waren, dokumentiert.
Im Saazer Hotelrestaurant „U Hada“ tauften die Saazer Bürgermeisterin, Zdeňka Hamousová, und der Postelberger Bürgermeister, Václav Ibl zusammen mit dem Vorsitzenden des Heimatkreises Saaz, Adolf Funk, das in Folie eingeschweißte Buch mit Saazer Bier. In den Reden zur Buchvorstellung wurde hervorgehoben, dass es keine Anklage gegen das tschechische Volk ist, denn die Täter sind tot und es gibt keine Kollektivschuld. Vielmehr dient es der gemeinsamen Erinnerung an vergangenes Leid, ohne die keine echte Versöhnung möglich ist. Das drückt auch der Titel des Buches aus: „Versöhnung durch Wahrheit“.
In der Prager „Akademischen Buchhandlung“ am Wenzelsplatz fand tags darauf unter Anwesenheit der Hauptstadtpresse eine neuerliche Präsentation statt. Die Buchtaufe nahm hier der stellvertretende deutsche Botschafter, Dr. Ingo von Voss, vor. Der Leitende Redakteur der Prager Tageszeitung „Mladá Fronta DNES“, Martin Komárek, moderierte die gut besuchte Veranstaltung.
Das zweisprachige Buch mit dem Titel „Versöhnung durch Wahrheit. Der Fall Postelberg 1945-2010“ hat 514 Seiten im Folioformat und ist reich bebildert. Es wurde vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und der Bayerischen Staatsregierung gefördert. Es kann gegen eine Spende vom „Heimatkreis Saaz“ bezogen werden (solange der Vorrat reicht). Kontakt: Adolf Funk, Am Hochgericht 8, 91126 Schwabach | Horst Bodak, Email: horst.bodack@t-online.de.
PDF-Download hier.
Buchtaufe in Saaz, Hotel U Hada:
Buchtaufe in Prag, Akademische Buchhandlung: