Vertreibung der Deutschen: Vergeltung oder Verbrechen?

Eindrücke von einer Ausstellung und einer Podiumsdiskussion in Prag

Von Uta Reiff

2005-08#13-34 Spalt, Uta Reiff.RETOUSCHEAm 26. Februar 2009  fand auf  Initiative  des Vorsitzenden des Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec in Prag eine Podiumsdiskussion  statt., mit dem Thema: „Die Vertreibung der Deutschen: Vergeltung oder Verbrechen?“ Ort der Veranstaltung war das Kulturzentrum  Novodvorská, ein großes repräsentatives Haus. Die Diskussion wurde  – aus deutscher Sicht leider – ohne Dolmetscher geführt, denn das hätte zuviel gekostet und die finanziellen Mittel des Fördervereins sind begrenzt. So konnte ich mich nicht an der Diskussion beteiligen, da ich Tschechisch zwar verstehe, aber noch nicht gut frei sprechen kann.

Es saßen hochkarätige tschechische Historiker und Journalisten  auf dem Podium.  Moderiert  wurde die Diskussion von Martin Komárek, dem Chefredakteur der bekannten Zeitung Mladá Fronta DNES. Die Diskussion war gegliedert in zwei thematische Runden:

  • „Waren  die Kommunisten wirklich schon an der Macht vor der Vertreibung der Deutschen im Jahr 1945? Verdienten die Deutschen die Vertreibung durch ihre Haltung im Jahr 1938? War der Plan dazu vorbereitet?“

Auf dem Podium saßen außer Komárek: Adrian von Arburg, Tomáš Jelínek und Vít Smetana, drei bekannte tschechische Historiker, und Otokar Löbl.

  • „Die Vertreibung der Deutschen in den tschechischen Medien. Wie veränderte sich das Bild der Vertreibung in den Medien und wie ist der gegenwärtige Stand? Warum hält die überwältigende Mehrheit der tschechischen Öffentlichkeit  die Vertreibung für  richtig?“

Auf dem Podium saßen dazu (außer Komárek): der Historiker und Publizist Michal Pehr und die prominenten Journalisten Bohumil Doležal und Vladimíř Kučera.

Gleichzeitig war im weitläufigen, hellen Foyer des Kulturhauses die Ausstellung „Die Opfer der Kommunistischen Macht in Nordböhmen in den Jahren 1945-1946“ zu sehen. Diese inhaltlich überaus beeindruckende Ausstellung mit dem Untertitel: „War es gerechte Vergeltung, Rache oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit?“ zeigt in sehr ausdrucksstarken  Fotos und Dokumenten die Verbrechen an der deutschen Zivilbevölkerung in Nordböhmen. Es werden genau Befehlsstruktur und Befehlswege dargestellt, wodurch ganz klar wird,  dass diese Verbrechen, vor allem das Massaker in Postelberg, auf Anweisung aus Prag begangen wurden. Genannt seien hier Brigadegeneral Oldřich Spaniel und General Svoboda.  Die Zeugenaussagen von deutschen Bewohnern aus Saaz, die die Gräuel in  Postelberg überlebt haben und danach auch noch zu Zwangsarbeit gezwungen wurden, aber auch von Saazer Frauen, vervollständigen diese Dokumentation des Grauens. Die Zeitzeugenaussagen wurden in Georgensgmünd im Sommer 2006 – durch Vermittlung von Otokar Löbl – von Miroslav Bambušek und einem Kameramann  aufgenommen. Es sind unschätzbare Quelle!

Nicht zuletzt diese Ausstellung, durch die alle Besucher gehen mussten, bevor sie den Veranstaltungssaal betraten, trug dazu bei, dass die Diskussion sehr emotionsgeladen  geführt wurde. Die Historiker auf dem Podium bewerteten die Fakten recht objektiv gemäß ihren geschichtlichen Erkenntnisse, und auch die Journalisten äußerten nach meinem Verständnis eine ziemlich ausgewogene Meinung. Die etwa hundert Besucher jedoch, die wohl zu einem großen Teil aus (Alt-) Kommunisten bestanden, ereiferten sich und verteidigten die Vertreibung der Deutschen. Vor allem wiesen sie darauf hin, was sie an Schlimmem unter der deutschen Besatzung entweder selbst erlebt hatten oder was das tschechische Volk insgesamt erleben musste. Und natürlich wiesen sie auch darauf hin, mit welcher Freude die Sudetendeutschen Hitler und seine Armee willkommen geheißen haben. Die Herren auf dem Podium versuchten immer wieder zu beschwichtigen, allen voran der Moderator Martin Komárek, da aber das Mikrofon ausgefallen war, war mancher Diskussionsteilnehmer kaum zu stoppen.

Einige im Publikum schienen aber doch nachdenklich zu werden aufgrund der Informationen und Meinungen der Historiker und Journalisten auf dem Podium und der drastischen Ausstellung im Foyer, die sie gesehen hatten. Ein Vertreter aus Postelberg äußerte sich positiv zugunsten eines Mahnmals in der Stadt, wurde aber durch laute Zurufe fast ausgebuht. Es war schade, dass nicht mehr jüngere Gruppen oder Teilnehmer gekommen  waren, dann hätte das vielleicht ein anderes Bild ergeben. So waren die meisten Besucher verbitterte alte Herren mit grauem Haar, ewig Gestrige.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass Veranstaltungen dieser Art – und vor allem die  schockierende Ausstellung – sicherlich dazu beitragen, das Bewusstsein hinsichtlich des Verbrechens und der Unmenschlichkeit der Vertreibung in der tschechischen Bevölkerung  wachsen zu lassen.  Auch Schulklassen haben diese Dokumentation besucht, und  viele Schüler  waren entsetzt von  diesen schrecklichen Taten.  Bei meinen Besuchen in Tschechien – ich wohne nur eine Stunde von der Grenze entfernt – konnte ich doch ein gewisses  Umdenken, vor allem in der mittleren und jüngeren Generation, bemerken. Leider durfte  ja die Vertreibung und die damit verbundenen Verbrechen an den Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei vor 1989 kaum erwähnt werden und wenn, dann in völlig verdrehter Form. Ich war sehr beeindruckt vom Entsetzen in den Gesichtern und den Äußerungen vieler tschechischer Besucher,  die von diesen schrecklichen Ereignissen nichts gewusst haben, und denen der odsun  („Abschiebung“) oder transfer mit ganz anderem Hintergrund und in ganz anderer, humanerer Form geschildert  worden war – wenn überhaupt.  Auch meine Unterhaltungen  mit Tschechen, wenn ich mich als Deutsche aus dem heutigen Tschechien  zu erkennen gebe, werden zunehmend interessanter. Das Thema „Vertreibung“ spielt jetzt eine größere Rolle und stößt auf immer mehr Interesse und Verständnis, zumal wenn ich der heutigen Generation zu verstehen gebe, dass ich ihnen keine Schuld an diesen furchtbaren Ereignisse zuweise – dass aber das tschechische Volk trotzdem die historische Wahrheit über diese unmenschliche Vertreibung wissen sollte.

Wird in Postelberg ein Gedenkstein für die Opfer des Postelberger Massakers stehen?

Von Prof. Dr. Adalbert Wollrab

Die tschechische Öffentlichkeit erfährt von „Postelberg“

Prof. Dr. rer. nat. Adalbert Wollrab

Prof. Dr. rer. nat. Adalbert Wollrab

Zu den schrecklichsten Ereignissen der Nachkriegsgeschichte zählt mit Sicherheit der Todesmarsch [1] der deutschen männlichen Bevölkerung der Stadt Saaz am 3. Juni 1945 von Saaz nach Postelberg und die Massenmorde in der Postelberger Kaserne, in Postelberg und in der Umgebung von Postelberg. Die Verbrechen in Postelberg wurden an der deutschen Zivilbevölkerung, an unschuldigen Männern, Frauen und sogar Kindern verübt.

Die Zusammenarbeit des damaligen Vorstandes des Kulturkreises Saaz e. V. unter Vorsitz von Prof. Dr. Herbert Voitl mit dem tschechischen Saazer Verein „Vereinigung der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“ (im weiteren benutze ich für diesen Verein die Abkürzung rodáci) ermöglichte es, dass in Saaz am 19. September 2002 eine Gedenkfeier für die Opfer der Postelberger Massaker, auch mit Einverständnis des Saazer Bürgermeisters, abgehalten werden konnte. Um die Dreifaltigkeitssäule [sogenannte „Pestsäule“] am Marktplatz in Saaz versammelten sich die angereisten [Deutsch-] Saazer Teilnehmer der Feier [2], und vor Vertretern der geladenen tschechischen Presse erstattete unser Saazer Landsmann Peter Klepsch einen Erlebnisbericht, den ich simultan in die tschechische Sprache übersetzte. Es folgte eine Fahrt zur Kranzniederlegung im Fasanengarten bei Postelberg und am Nachmittag eine umfangreiche Pressekonferenz im Hotel Motes in Saaz.

Eine breite tschechische Öffentlichkeit erhielt durch die Zeitungsartikel über diese Feier Kenntnis von den Verbrechen in Postelberg, und dies war der Auslöser dafür, dass sich Medien in der Tschechischen Republik eingehend mit dem Postelberger Massaker befassten. [Beträge dazu leisteten auch] die Wanderausstellung „Die Opfer der kommunistischen Macht in dem nordböhmischen Gebiet in den Jahren 1945-1946″, das in [erstmals n Laun und später auch in] Prag aufgeführte Theaterstück „Porta Apostolorum“[4] und die Sendung des tschechischen Fernsehens über die Morde in Postelberg „Auch Morde bewillkommneten den Frieden“). Diese medialen Ereignisse in der Tschechischen Republik rückten die Postelberger Verbrechen in das Bewusstsein der tschechischen Bevölkerung, und dies ebnete die Wege, die – so hoffe ich – in Postelberg zu einem Denkmal für die Opfer der Postelberger Massaker führen könnte.

Otokar Löbl beantragt eine Gedenktafel in Postelberg 

Einen wichtigen Schritt in diese Richtung machte Herr Otokar Löbl, der Vorsitzende des „Fördervereins der Stadt Saaz“. Dies ist ein in der Bundesrepublik gegründeter Schwesterverein der rodáci unter dem Vorsitzenden Otokar Löbl, der sowohl deutsche als auch tschechische Mitglieder hat. In seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins forderte Löbl im Dezember 2007 den Bürgermeister von Postelberg und den Postelberger Magistrat auf, im Sinne der Aufarbeitung der tschechischen Nachkriegsgeschichte für die Opfer des Postelberger Massakers ein Mahnmal mit einer Gedenktafel zu erstellen.

Der Magistrat der Stadt Postelberg war zunächst dagegen bzw. wollte nur einem Mahnmal mit Gedenktafel zustimmen, die der Opfer allgemein gedenkt – der Kriegsopfer, der tschechischen Opfer des Faschismus und auch der Opfer des Postelberger Massakers. Dem hat Herr Löbl nicht zugestimmt. Gegenüber der Saazer Zeitung „Denik Lucan“ sagte er am 26. August 2008, „dies erscheint mir wie ein Alibismus. In Saaz haben z. B. auch die Opfer im wolhynientschechischen Malin ein Denkmal [5]. Ich bin der Auffassung, dass auch die deutschen Opfer verdienen, geehrt zu werden“.

Der schwierigste Punkt der Verhandlungen mit dem Postelberger Magistrat bezog sich auf den Text des Mahnmals. Schließlich stimmte der Rat der Stadt einer sechsköpfigen Kommission zu, die auf der Sitzung der Postelberger Stadtverordnetenversammlung im 18. Februar dieses Jahres bestätigt wurde und die einen Vorschlag für einen Gedenkstein unterbreiten soll. Ihr gehören an: Jaroslav Vodicka für den Regionalverein der Wolhynien­tschechen, Michael Lichtenstein, der zweite Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Teplitz [6], Walter Urban, ein alteingesessener Postelberger [7], Petr Schöll, Mitglied des Finanzausschusses der Stadt Postelberg, Michal Pehr, ein Historiker und Vorsitzender der Christlich-Sozialen Partei in Laun, und Otokar Löbl. Die Kommission soll die Modalitäten ausarbeiten – wo das Denkmal stehen soll, wie es aussehen soll, die Inschrift der Gedenktafel und wie die Finanzierung erfolgen soll. Der Vorschlag der Kommission muss dann noch die Zustimmung im Stadtrat und der Stadtverordnetenversammlung finden. Die Kommission wird im Frühjahr dieses Jahres tagen.

Podiumsdiskussion in Prag

Im Rahmen der Wanderausstellung „Opfer der kommunistischen Macht in Nordböhmen in den Jahren 1945-1946 – War es gerechte Vergeltung, Rache oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit?“, die sich gerade in Prag befindet, gab es am 26. Februar 2009 eine Podiumsdiskussion in Novodvorská, einem Stadtteil in Prag. Zu dieser Veranstaltung, die als Informationsveranstaltung zu den Postelberger Geschehnissen gedacht war, lud Herr Löbl Bürger von Postelberg, das Stadtparlament und Mitglieder der Kommission ein, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, sich in der Ausstellung und in der Podiumsdiskussion eingehend über die Postelberger Massaker zu informieren. In dieser Podiumsdiskussion schlugen die Emotionen hohe Wellen. Dies ergab sich auch daraus, dass zu der Podiumsdiskussion viele Kommunisten, angeführt von der Sprecherin des Zentralkomitees der tschechischen kommunistischen Partei, und Leute des extremen nationalistischen „Klubs des tschechischen Grenzgebietes“ gekommen waren.

Über die Podiumsdiskussion und die Ausstellung erschien in der „Mladá Fronta DNES“, der in der Tschechischen Republik meistgelesenen Zeitung, ein kurzer Artikel, den ich in deutscher Übersetzung anführe, um dem Leser einen Eindruck über den Verlauf der Podiumsdiskussion zu vermitteln:

Vertreibung oder Abschiebung (odsun)? Oder sollen wir heute Transfer sagen? Es schmerzt und brennt bis heute. Unerwartet hohe Emotionen rief eine Debatte über die Vertreibung, oder wenn sie so wollen, den „odsun“ der Sudetendeutschen hervor. Im Kulturzentrum Novodvorská wurde die Podiumsdiskussion von Otokar Löbl organisiert, der sich schon lange um eine Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen bemüht. Bei der Organisation der Podiumsdiskussion hat die „Mladá Fronta DNES“ geholfen. Ab und zu gab es Schreie aus dem Publikum, voller Emotionen, scharfe Wortgefechte – so als ob nicht schon sechzig Jahre seither vergangen wären. Die geladenen Gäste, die Historiker und Publizisten sprachen in versöhnlichem Geiste. Einer, der Schweizer Historiker Adrian von Arburg, appellierte an die Anwesenden: ‚Wir wollen uns vom Schachterldenken und von der Ideologie loslösen.‘ Seine tschechischen Kollegen, Michal Pehr und Vit Smetana wiesen darauf hin, dass die Vertreibung oder die Abschiebung (odsun) nur eine Reaktion darauf waren, wie sich die Sudetendeutschen vor dem Krieg benommen haben. Das entschuldigt aber nicht die Verbrechen, die nicht in Zweifel gezogen werden dürfen. Die Atmosphäre im Saal war dick. Ein Teil des Publikums wollte eine derartige Diskussion gar nicht zulassen: ‚Die Deutschen haben am Kriegsende in Prag hundert Menschen, Frauen und Kinder verbrannt‘, so argumentierte einer von ihnen. Ein weiterer erklärte, eine solche Debatte zu führen wäre schamlos in einem Prager Stadtteil, wo während des Krieges ein Fallbeil stand und viele unschuldige Leute starben. Die Atmosphäre war auch deshalb so schlecht, weil die Diskussion von einer provokativen Ausstellung begleitet wird, die von der Föderation unabhängiger Schriftsteller im Kulturzentrum veranstaltet wird. Sie versucht zu beweisen, dass die sogenannte Wilde Vertreibung, bei der Deutsche umgebracht und gefoltert worden waren, das planmäßige Werk der Kommunisten war. Damit waren die Historiker und die Publizisten und eine Reihe von Diskutierenden nicht ganz einverstanden: An den Verbrechen beim ‚Transfer‘ (ein neutrales Wort, das Vit Smetana vorschlug) hatten alle Bevölkerungsschichten einen Löwenanteil. Als eine Dame auf den antikommunistischen Charakter der Ausstellung hinwies, reagierte der Publizist Bohumil Doležal: ‚Aber ich bin ein Antikommunist – das darf man doch heute wohl sein! Und auch die übermäßig scharfe, persönliche Debatte, in der es aber keine Ohrfeigen gab, sondern nur Argumente, trägt dazu bei, dass man über alles reden darf.

Diese, vom Chefkommentator der „Mladá Fronta DNES“ Martin Komárek moderierte Podiumsdiskussion hat klar aufgezeigt, mit welchen Voreingenommenheiten, Aversionen und Hassäußerungen man sich auch heute immer noch bei dem Thema Aufarbeitung der Vergangenheit in der Tschechischen Republik auseinandersetzen muss. Die Kommission, die einen Vorschlag für ein Mahnmal in Postelberg erarbeiten soll, wird es nicht leicht haben. Es ist zu hoffen, dass es trotzdem ein Mahnmal für die Opfer des Postelberger Massakers geben wird und vor allem, dass es eine dem Gedenken würdige und der Wahrheit entsprechende Inschrift tragen wird, die den Opfern gerecht wird, und keine nichtssagende Formulierung.

Zur Ausstellung „Opfer der kommunistischen Macht“

Um nochmals auf die Ausstellung zurückzukommen. Sie hat sicherlich dazu beigetragen, dass viele, vor allem auch junge Tschechen, von den an Sudetendeutschen in Postelberg verübten Massenmorden Kenntnis erlangt haben, und dass der tschechischen Bevölkerung nach vielen Jahren kommunistischer Indoktrination neue Erkenntnisse über die Vertreibung gegen bisher festgefressene Klischees vermittelt wurden. Es ist leicht einzusehen, dass es sich für manche Tschechen dabei um einen schmerzlichen Erkenntnisprozess handelt. Die Ausstellung ist objektiv und entspricht den Tatsachen. Sie zeigt auf, dass die Kommunisten einen Löwenanteil der Schuld an den in Postelberg verübten Massakern tragen. Die Massenmorde waren, wie die Ausstellung dokumentierte, nicht eine Explosion des Volkszorns, sondern ein Akt der Staatsmacht. Sie wurden vom tschechoslowakischen Militär geplant, organisiert und von Einheiten der Svoboda-Armee durchgeführt. Die Svoboda-Armee, die der Kommunist General Svoboda befehligte [9], wurde nach Einnahme von Wolhynien [in der Ukraine] durch die Sowjetarmee zusammengestellt. Einer der Haupträdelsführer bei den Massenmorden in Postelberg, Oberleutnant Zícha (Deckname Petrov) wurde später Vorsitzender des Kreisnationalausschusses (Okresni národni vybor [wörtlich „Bezirksnationalausschusses“]) in Saaz und war Kreisvorsitzender der kommunistischen Partei in Saaz.

Die Täter waren allerdings nicht nur die Kommunisten. Sie hatten willige Helfer, vor allem extrem nationalistisch geprägte Tschechen, z. B . im Okresni národni vybor (Nationalausschuss) in Saaz. Dessen seinerzeitiger Vorsitzende Dr. Petraček war kein Kommunist und er war am Organisieren des Todesmarsches der Saazer Männer nach Postelberg maßgebend beteiligt gewesen. Eine entscheidende Rolle spielte schließlich auch die Habgier nach deutschem Eigentum und auch bei manchen Tschechen der Umstand, dass sie durch Dienste für die Nazis Dreck am Stecken hatten und sich durch übereifrigen „Patriotismus“ reinwaschen wollten.

Letztendlich war auch das Postelberger Massaker eingebettet in den Ablauf und in den Rahmen der Vertreibung der Sudetendeutschen, und [waren] die Massenmorde nur möglich, weil die Beneš-Dekrete die entsprechenden Rahmenbedingungen herstellten: durch Enteignung der Deutschen, deren Kennzeichnung [durch Armbinden], deren Einsatz zur Zwangsarbeit und Einweisung in Lager und nachträglich auch noch durch Legalisierung der an Deutschen nach Kriegsende begangenen Verbrechen. Schließlich hatten auch die Teilnehmer der Diskussionsrunde recht, welche behaupteten, dass an den an Sudetendeutschen verübten Verbrechen alle tschechischen Bevölkerungsschichten einen Anteil hatten: alle nach Kriegsende zugelassenen tschechischen Parteien haben im Kaschauer Programm der Vertreibung zugestimmt. Und die Vertreibung von Millionen von Menschen ist eines der größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts.


Anmerkungen der Redaktion:

[1] Unter „Todesmarsch“ versteht man Märsche von Gefangenen von einem Lager zum anderen, die ohne Rücksicht auf die Gesundheit und ohne Verpflegung der Häftlinge über eine große Entfernung durchgeführt wurden, wobei der Tod der Häftlinge nicht nur in Kauf genommen, sondern durch Erschießung von schwachen und kranken Teilnehmern absichtlich herbeigeführt wird. Postelberg liegt 15 Kilometer von Saaz entfernt. Tatsächlich kamen auf dem Hin- und Rückweg einige Häftlinge zu Tode. Auch sind hunderte von ihnen tatsächlich insofern „in den Tod marschiert“, als sie in Postelberg ermordet wurden. Trotzdem ist dieser Marsch nicht mit den bekannten Todesmärschen, etwa dem von Brünn vergleichbar, erst recht nicht mit den Todesmärschen aus KZs , die den Tod der Marschierenden regelrecht zum Ziel hatten.
[2] Herbert Voitl, Fritz Heinzel mit Gattin, Peter Klepsch mit seinem Sohn Alfred Klepsch, Eberhard Heiser, Franz Stopfkuchen, Peter Wagner, Adalbert Wollrab und Otokar Löbl.
[4] Szenische Lesung, deren Namen den lateinischen Ursprungsnamen von Postelberg wiedergibt, das auf ein gleichnamiges Kloster zurückgeht.
[5] Im 2. Weltkrieg wurde das von Wolhynientschechen bewohnte Dorf Český Malín in der Ukraine (heute Malyn) von den Deutschen niedergebrannten und die Einwohner ermordet.
[6] Der Versitzende Oldřich Latal und sein Stellvertreter Michael Lichtenstein nahmen an den Sitzungen der Denkmalkommission abwechselnd teil.
[7] Walter Urbans Vater Franz gehört zu den Ermordeten von Postelberg (siehe Deutschlandfunk, „Postelberg will endlich Ruhe vor dem Zweiten Weltkrieg“, Seite ###).
[9] Ludvík Svoboda trat erst am 11. Oktober 1948 offiziell in die Kommunistische Partei ein. Dem Leiter der Militärmission in Moskau, Heliodor Píka, der den Kommunisten gegenüber kritisch war, gelang es nicht, ihn als Oberkommandieren durchzusetzen. Richtig ist, dass er dem kommunistischen Februar-Putsch nicht entgegentrat. Doch schon 1950 wurde er als Verteidigungsminister entlassen und später sogar verhaftet. Nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 verweigerte Svoboda die Zusammenarbeit mit der von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzten Regierung. Durch Verhandlungen in Moskau erreichte er die Freilassung der dort festgehaltenen Reformer. Ein moskauhöriger Kommunist war er wohl nicht. Neuere Forschungen legen aber nahe, dass er beim russischen Einmarsch im Sommer 1968 eine zumindest zwielichtige Rolle spielte.

Kranzniederlegung zur „Reichskristallnacht“ in Saaz

Tschechen und Deutsche gedenken der Leiden ihrer jüdischen Mitbürger

Tschechen und Deutsche trafen sich am Montag, den 10. November 2008 in Saaz|Žatec zu einem Gedenkakt an der Synagoge, die vor 70 Jahren in der sogenannten „Reichskristallnacht“ gebrandschatzt wurde. An der Feierlichkeit beteiligten sich Vertreter und Mitglieder der jüdischen Gemeinde Teplitz sowie städtische und staatliche Repräsentanten. In Saaz gibt es seit der Nazizeit keine jüdische Gemeinde mehr. Die Synagoge, die in kommunistischer Zeit als Lagerhalle diente, ist heute äußerlich renoviert, die Innenräume warten indes noch auf eine Wiederherstellung und angemessene Nutzung.

Synagoge 10.11.2008 033Vertreter des deutschen „Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec“ und des „Heimatkreises Saaz“ sowie des tschechischen Vereins der „Landsleute und Freunde der Stadt Žatec“ legten am Haupteingang der Synagoge einen Kranz nieder. Ein jüdischer Geistlicher trug Verse aus den Alten Testament in Tschechisch und Hebräisch vor, der Kinderchor „Poupata“ sang jüdische und tschechische Lieder. Anschließend traf man sich im Saazer Rathaus, wo die Kinder ihre Aufführung fortsetzten. In Ansprachen wurde an in die schrecklichen Ereignisse während Nazi-Okkupation erinnert.

Oldřich Látal und der Kantor der jüdischen Gemeinde Pelc

Oldřich Látal und der Kantor der jüdischen Gemeinde Pelc

Der Vorsitzende des „Fördervereins“, Otokar Löbl, hob gegenüber der Presse den kulturellen Verlust hervor, den Saaz durch die Vernichtung der Juden und ihrer Gemeinde erlitten habe. Überlebende, die später zurückkehren wollten, seien wegen ihrer deutschen Sprache unerwünscht und wie alle Deutschen von Enteignungen betroffen gewesen. In der tschechischen Presse fand das Ereignis große Aufmerksamkeit. Anwesend waren neben Vertretern der Saazer Presse Redakteure der Zeitungen Svobodny Hlas (Louny), MF Idnes, Blesk, Pravo sowie Vertreter der Presseagentur CTK und des nordböhmischen Rundfunks.

 

 

An dem Gedenken beteiligten sich namentlich der Bürgermeister von Saaz, Erich Knoblauch, der Senator der Tschechischen Republik, Marcel Chládek, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Teplitz, Oldrich Latal, sowie als weiteres Vorstandsmitglied Herr Loblowitz, der Vorsitzende des „Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec“, Otokar Löbl, das Vorstandsmitglied des „Heimatkreises Saaz“, Helmut Wabra, das Mitglied des „Freundeskreises Deutsch-tschechischer Verständigung“, Bohuslav Řeřicha, der Vorsitzende des tschechischen „Vereins der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec“, Petr Šimácek, und für die Wolynientschechen und den Verband der Freiheitskämpfer, Jaroslav Vodicka, außerdem weitere Mitglieder der genannten Vereine sowie Gäste.

Massaker an Sudetendeutschen

Wolfgang Kramer und Stefan Reiss | ZDF-Frontal  8. August 2006

Die Tschechen und die Opfer

Postelberg, das heutige Postoloprty, ist eine kaum bekannte kleine Stadt im Norden der Tschechischen Republik. In der Nachkriegszeit, im Juni 1945, geschah dort eines der schlimmsten Massaker an der deutschen Bevölkerung. Damals wurden mehrere hundert deutsche Bewohner der Ortschaften Postelberg und Saaz ermordet.

Im politischen und gesellschaftlichen Leben der Tschechischen Republik ist das Interesse an der Abschiebung der Deutschen und an den Vertreibungsverbrechen gering. Erst seit wenigen Jahren sind amtliche Prager Schriftstücke aus dem Jahr 1947 zugänglich, die die Ereignisse und Gräuel in Postelberg und Saaz belegen.

Aus den Dokumenten geht hervor, dass die Misshandlungen und Erschießungen von Offizieren und Soldaten der tschechoslowakischen Armee geplant und ausgeführt wurde. Die Einheiten standen unter kommunistischem Kommando. Beteiligt war auch eine Abteilung des tschechoslowakischen Armeenachrichtendienstes OBZ, die in der Sowjetunion ausgebildet wurde.

Soldaten erschossen Hunderte

Peter Klepsch hat als Betroffener die Ereignisse miterlebt. Der Zeitzeuge besuchte zusammen mit Frontal21 die ehemalige Kaserne in Postelberg. Dort trieben die Soldaten die Männer zusammen. Beim Rundgang über das Gelände ist er immer noch erschüttert: „Wenn man den Platz hinter mir als den Vorhof der Hölle bezeichnen möchte, war das hier bereits die Hölle.“ Angeblich sollten die Internierten auf ihre Verstrickung mit dem Naziregime geprüft werden. Doch die Soldaten erschossen Hunderte und verscharrten sie in Massengräbern; viele von ihnen wurden vorher grausam gefoltert.

Klepsch erinnert sich weiter: „Wir waren wie Kälber vor der Schlachtbank gewesen. Wir waren so eingeschüchtert.“ Schnell war den Inhaftierten klar, um was es wirklich ging, weiß Klepsch: „Am Mittwoch lief hier alles aus dem Ruder. Die Leute – soweit sie noch lebten – in dem Todesblock merkten, was man mit ihnen vorhatte. Sie schrien und tobten – und man hat hineingeschossen.“ Bei späteren Exhumierungen wurden hunderte Leichen gefunden. Klepsch, damals fast 17 Jahre alt und bei Kriegsende noch in Gestapo-Haft, kann die schrecklichen Ereignisse nicht vergessen.

Politiker fordert Schlussstrich

Doch im politischen Alltag der Tschechischen Republik spielt dieses Kapitel aus der Nachkriegsgeschichte so gut wie keine Rolle. Jan Zahradil, Europaabgeordneter und außenpolitischer Sprecher der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) sagt im Hinblick auf die Abschiebung der Deutschen gegenüber Frontal21: „Es ist eine Sache – davon sind wir fest überzeugt -, die längst Geschichte ist, die vor über sechzig Jahren geschehen ist. Deswegen kann man daraus in der Gegenwart keine politischen und juristischen Konsequenzen ziehen.“ Seine Folgerung: „Wir müssen einen Schlussstrich darunter ziehen, damit wir in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit schauen können.“

Es sind eher wenige wie der Regisseur Miroslav Bambusek und der Schriftsteller Eduard Vacek, die mit experimentellem Theater und einer ersten Ausstellung an die Verbrechen der Nachkriegszeit erinnern. Peter Klepsch bedauert dagegen, dass es in all den Jahren seit der Wende in der Tschechischen Republik noch immer nicht gelungen ist, mit einem Gedenkstein an das Massaker von Postelberg zu erinnern.

© ZDF 2006

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Der Kreislauf der Gewalt

Von Uta Reiff | Erstmals veröffentlicht im Katalog zu der Ausstellung „Die Opfer der kommunistischen Macht in Nordböhmen in den Jahren 1945-1949“ 

Uta ReiffViele Menschen haben in den letzten siebzig Jahren Schreckliches erlebt, während und auch nach dem Ende des furchtbaren letzten Krieges. Über diese Erlebnisse wurde damals kaum gesprochen, sondern sie wurden verdrängt. In den Kriegs– und Nachkriegsjahren galt es als klüger, zu schweigen – speziell für Deutsche und Sudentendeutsche und, wie im vorliegenden Fall des Massenmordes in Postelberg (Postoloprty) und der Nachkriegsereignisse in Saaz (Žatec), das Erlebte tief in sich zu vergraben. Oft erst im Alter zeigt sich bei vielen Betroffenen eine Reaktivierung des Erlittenen in Form eines Traumas. Dabei brechen die erlebten Angsterfahrungen wieder auf und stürzen die Menschen in eine Krise. Die Erlebnisberichte in diesem Heft legen davon ein lebhaftes Zeugnis ab. Ich selbst war als siebenjähriges Kind mit meiner Mutter und meinem neunjährigen Bruder in Saaz im Frauenlager, von Juni 1945 bis Februar 1946. Ich habe daran schreckliche Erinnerungen. Auch meine Aussage ist in diesem Katalog, ebenso die Zeugenaussage meines Bruders Hans Jäckl, damals 17 Jahre alt. Mein Vater wurde in Postelberg ermordet.

Ich bin Systemische Familientherapeutin und Körperpsychotherapeutin. Das Wort „systemisch“ ist wichtig, denn eine „Systemische Therapie“ bedeutet, dass ich mich mit dem System von Beziehungen befasse, sei es in der Familie, einem Team in einem Betrieb, in Institutionen und Gemeinschaften, auch in Völkergemeinschaften. Die Körperpsychotherapie befasst sich mit der Tatsache, dass alle schlimmen und traumatischen Erlebnisse eines Menschen in dessen Körper und Psyche gespeichert werden. Die Menschen haben versucht, diese Ereignisse zu verdrängen, ins Unbewusste zu versenken, aber es gelingt meist nicht. Sie zeigen sich in Krankheit und Traumata. Durch Arbeit am Körper, die Garantie der Sicherheit durch den Therapeuten und vorsichtiges Herantasten an die Situation/ das Ereignis, das das Trauma bewirkte, können diese Traumata erlöst und verarbeitet werden, was oft eine große Verbesserung des seelisch-körperlichen Zustandes bewirkt.

Ein Trauma zu verarbeiten gelingt oft, wenn das Ereignis, das dem Trauma zugrunde liegt, anerkannt und gewürdigt wird. Oft mit dem Satz: „Ja, das war so und es war ganz schrecklich.“ Es ist dabei nicht nötig, die Einzelheiten und die Gründe für diese Taten darzulegen, oder die Schuldfrage zu klären. Es ist zur Heilung das Anerkennen nötig, dass das Ereignis stattgefunden hat und keine Wahnvorstellung ist. Es ist keine Anerkennung von Schuld nötig, zumal wenn die Täter nicht mehr leben und eine Schuldanerkenntnis gar nicht mehr gegeben werden kann, wie im vorliegenden Fall der Morde von Postelberg und der Ereignisse in Saaz. Es erscheint mir wichtig, gerade das hier zu betonen.

Die Ereignisse in Saaz und Postelberg liegen Jahrzehnte zurück, und es wäre absurd von Schuld der nachgekommenen Generationen zu sprechen. Psychologisch gesehen, sind oft Täter und Opfer in einer unlösbar erscheinenden Verstrickung aneinander gebunden oder miteinander verbunden, d. h. Opfer und Täter sind oft ein und derselbe Personenkreis oder Angehörige eines Kreises, einer Gemeinschaft, eines Volkes, die sich schicksalhaft abwechseln in den Rollen von Täter und Opfer. Die Geschichte und die Psychologie lehren uns, dass die jeweiligen Opfer bzw. deren Kreis oder Gemeinschaft oder deren Volk – egal welcher Nationalität – wieder zu Tätern werden würden, und die Täter – oder deren Kreis – wieder zu Opfern, wenn sich irgendwie die Gelegenheit bieten würde. So wechseln sich diese schicksalhaften Verstrickungen, quer durch alle Familien, Gemeinschaften und Völker ab, oft rasch im einzelnen, privaten Leben oder Familienkreis, oft erst nach Jahren oder Jahrzehnten im großen Kreis von Gemeinschaften oder Völkern. Es ist wie ein schreckliches Karussell, wie ein Totentanz.

Das hier ausgeführte Modell von Opfern und Tätern, das sich ständig wiederholt, ist in der Psychologie wohlbekannt. Da kommt dann oft noch der „Retter“ hinzu, der aber auch zum Täter oder zum Opfer werden kann. Die Rollen wechseln immer wieder, und es ist unser aller Aufgabe diesen schrecklichen Automatismus zum Stillstand zu bringen

Auch in der Psychotherapie ist es letztlich unmöglich herauszufinden, wann wer womit angefangen hat. Der Täter wird immer einen Grund finden, das Opfer zu strafen, und das Opfer wird sich rächen und leider nicht nach einer Erklärung suchen, warum es zum Opfer wurde. Diese Erfahrung haben wir alle schon gemacht, z. B. im Familienkreis. Die griechischen Tragödien, die von Blut triefen und sich nur von Rachegedanken nähren, sind ein deutlicher Beweis dafür, dass dies offensichtlich schon seit Urzeiten gilt: Es wird Rache geübt, und neue Untaten folgen, unter denen meist Unschuldige leiden.

Es gilt also folgendes: Das schreckliche Rad Opfer-Täter kann angehalten werden durch die Anerkennung der Leiden des Opfers und Öffentlichmachung der Tat durch den Täter bzw. den Täterkreis, der Gemeinschaft oder dem Tätervolk. Geschieht die Anerkennung der Tat nicht, bleibt in einer Familie, einer Gemeinschaft oder einem Volk der bittere Nachgeschmack und … meist leider Rachegedanken. Und die Untaten beginnen von neuem oder besser, sie setzen sich fort, das Opfer wird bei nächster Gelegenheit wieder zum Täter usw. usf.

Im Fall Postelberg und Saaz ist im Licht der obigen psychologisch-historischen Erkenntnisse folgendes zu sagen: Eine Öffentlichmachung in Form z. B. eines Mahnmals für diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit wäre nicht nur eine psychische Hilfe für die Opfer und deren Nachkommen, sondern vor allem für die Täter bzw. deren Nachkommen, denn damit könnten sie ihre seelische Reinheit wiedergewinnen und die Scham für diese Taten ablegen. Wenn Deutschland sich nicht zu den furchtbaren Verbrechen der Nazizeit bekannt hätte, so wären die Folgen für die seelische Gesundheit des deutschen Volkes der Nachkriegszeit katastrophal gewesen – und auch für die Wiederaufnahme in die Völkergemeinschaft. Die Nachkommen der Täter, egal auf welcher Seite, tragen keine Schuld, aber es ist für sie von großer Bedeutung, sich dazu zu bekennen, damit die Scham nicht fortbestehen muss.

Ziel einer humanistischen menschlichen Gemeinschaft, die diesen Namen verdient, kann es nur sein, diesen Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt zu stoppen. So, dass nicht mehr auf jede Tat die Rache folgt und auf die Rache wieder die Tat oder Untat der Gegenseite. Wir müssen aufhören, uns über Generationen und Jahrhunderte hinweg gegenseitig die Schuld zuzuschieben und damit eine Rechtfertigung zu finden für unsere Taten oder Untaten, für unsere angeblich gerechtfertigte Vergeltung.

Seit dem blinden Racheakt von Postelberg sind nun fast 64 Jahre – drei Generationen – vergangen, und es wäre gut, ein Denkmal in Postelberg zu errichten. Ob die Ermordeten Untaten oder Verbrechen begangen haben, das wusste und weiß niemand, es gab kein Gericht und keine Rechtsprechung für sie. Nun müssen sie sich vor ihrem Schöpfer verantworten, nicht mehr vor einem irdischen Gericht. Für uns Nachkommen der Toten und für die Überlebenden wäre ein solches Denkmal in Postelberg auch und vor allem ein Platz der Trauer, wo wir unserer Toten gedenken und für sie beten könnten, für sie, die nie ein Grab bekommen haben, sondern verscharrt wurden wie tote Hunde. Wir, die Überlebenden, die Angehörigen und Nachkommen der Opfer, wollen keine Rache, keine Schuldzuschreibung an die Nachkommen der Täter, sondern wir wollen unseren Toten die ewige Ruhe wünschen und in Liebe an sie denken.

Mein Vater hat mir sehr gefehlt.

Gedenkakt zum Brand der Saazer Synagoge

Anläßlich des Jahrestages der „Reichskristallnacht“ fand am Montag, den 12. November 2007, um 15.00 Uhr in Saaz|Žatec ein stiller Gedenkakt statt. Die Vorsitzenden des deutschen „Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec“  und des tschechischen „Vereins der Landsleute und Freunde der Stadt Saaz“, Otokar Löbl und Petr Šimáček, legten  in Anwesenheit von Vertretern der jüdischen Gemeinde Teplitz am Haupteingang der Synagoge einen Kranz nieder. Anschließend fand eine Besichtigung der in Renovierung befindlichen Innenräume des Synagoge sowie eine Pressekonferenz im Hotel „U hada“ statt.

Die Saazer Synagoge, 1871-1872 errichtet, ist das zweitgrößte der­artige Bauwerk in Böhmen. In der „Reichskristallnacht“ brannte sie innen aus, Schlimmeres konnte die beherzte Saazer Feuerwehr verhindern. Mittlerweile ist das ehemalige Gotteshaus außen wieder­hergestellt. Berühmt für seine Akustik, soll es nach seiner Innen­sanierung kulturellen Zwecken dienen. In Saaz gibt es seit dem Holocaust keine jüdische Gemeinde mehr. Heute ist die jüdische Gemeinde Teplitz für Saaz zuständig.

In der regionalen und überregionalen tschechischen Presse fand dieses Ereignis große Aufmerksamkeit. Anwesend waren außer  Vertretern der Saazer Presse Redakteure der Zeitungen Svobodny Hlas (Louny), MF Idnes, Blesk, Pravo, außerdem Vertreter der Presseagentur CTK und des nordböhmischen Rundfunks. An dem Gedenkakt und der Pressekonferenz nahmen außerdem der stell­vertretende Bürgermeister von Saaz Ales Kassal, der ehemalige Bürgermeister Bohuslav Kunes, der Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Teplitz, Oldrich Latal, sowie als weiteres Vorstandsmitglied Herr Loblowitz teil, sodann Jaroslav Vodicka für die Volynien­tschechen und den Verband der Freiheitskämpfer, Bohuslav Řechiřa, Vorsitzender des „Deutsch-tschechischen Freundeskreises“, sowie Mitglieder der oben genannten Vereine und viele andere teil.

Wanderausstellung über Verbrechen an Deutschen während der Vertreibung

Von Andreas Wiedemann | Tschechischer Rundfunk 7, Radio Prag, 20. Februar 2007

Seit Mai vergangenen Jahres zieht eine Wanderausstellung durch einige nordböhmische Städte. Diese informiert den Besucher über Gewalttaten und Exzesse, die im Zuge der so genannten wilden Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg begangen wurden. Am Montag machte die Ausstellung in Teplice|Teplitz Station.

2007 Ausstellung Teplitz 01Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der Zeitraum zwischen Mai und September 1945, als Hunderttausende Deutsche aus den böhmischen Ländern vertrieben wurden. Im Zuge dieser so genannten wilden Vertreibung kam es zu zahlreichen Gewalttaten und Exzessen. Gerade darüber soll der Besucher informiert werden, erläutert Eduard Vacek, Präsident des Verbandes unabhängiger Schriftsteller, der die Ausstellung initiiert hat:

Es geht vor allem um Dokumente, um zeitgenössische Fotos und persönliche Aussagen von denen, die während der Vertreibung der Sudetendeutschen von den Exzessen betroffen waren und das entweder als direkte Opfer oder als Kinder oder Familienangehörige. Die Ausstellung will alle Ereignisse erfassen, die sich in Nordböhmen abgespielt haben. Dieses Gebiet gehörte nach dem Krieg nicht zur amerikanischen sondern zur sowjetischen Zone. Der Raum der uns interessiert, reicht ungefähr von Chomutov|Komotau bis nach Liberec|Reichenberg,

so Eduard Vacek.

Zum Beispiel wird die so genannte „Säuberungsaktion“ in Postoloprty|Postelberg bei Žatec|Saaz dokumentiert. Die Tschechoslowakische Armee und Einheiten des Nachrichtendienstes sowie der militärischen Abwehr sollten Ende Mai 1945 die Stadt von den Deutschen „säubern“. In der Folge wurden zwischen 700 und 800 deutsche Männer erschossen. 763 Tote wurden 1947 in einem Massengrab bei Postoloprty entdeckt. Solche und weitere Verbrechen gehen nach Ansicht der Ausstellungsmacher vor allen Dingen auf das Konto ganz bestimmter Gruppen, wie Eduard Vacek erklärt:

Wir wollen gerade zeigen, welchen Anteil die Kommunisten und das Militär an der Aussiedlung der Deutschen beziehungsweise an konkreten Exzessen hatten.

Die Ausstellung trägt denn auch den Titel „Opfer der kommunistischen Macht im nordböhmischen Grenzgebiet in den Jahren 1945-1946.“ Die Kommunisten hatten nach dem Krieg Schlüsselpositionen in der Tschechoslowakischen Volksarmee und im Innenministerium inne und tragen deswegen die Hauptverantwortung für die tragischen Ereignisse bei der Vertreibung der Deutschen, meint Eduard Vacek. Die Fokussierung auf den kommunistischen Anteil ist allerdings so scharf geraten, dass wichtige historische Zusammenhänge in der Ausstellung fehlen.

Auf der ersten Texttafel wird die Gründung der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei im Jahr 1921 als „die Wurzel des Bösen“ bezeichnet. Hinweise auf die sechsjährige Besatzung durch die Deutschen, auf NS-Gräueltaten und auch auf die Rolle der tschechoslowakischen Exilregierung in England bei der Vorbereitung der Vertreibung fehlen hingegen.

Paul Neustupny, ein Tscheche, der 1968 nach Berlin gegangen ist und sich für die Versöhnung von Tschechen und Sudetendeutschen einsetzt, betont, warum die Ausstellung dennoch wichtig ist:

2006-2009 Ausstellung Teplitz-Schoenau 508

Paul Neustupny (vorne)

Wenn wir Tschechen nicht über unsere eigene Geschichte aufgeklärt sind, dann betrügen wir uns weiterhin selbst. Wir haben ein Verständnis, dass wir immer diejenigen waren, die gelitten haben. Das muss aufhören. Wir tragen selbst auch Schuld. Wie wir mit den Sudetendeutschen umgegangen sind, ist eine Schande.