Glaubensbrüderschaft, Fremdenverkehr und Euroregion Erzgebirge
Von PhDr. Petr Hlaváček, Ph.D., Collegium Europaeum / Univerzita Karlova
Die politischen, wirtschaftliche und kulturellen Kontakte von Saaz zu den angrenzenden sächsischen Gebieten jenseits des Erzgebirges sind archäologisch und schriftlich seit dem 10./ 11. Jahrhundert belegt. Sie nahmen seit der Mitte 13. Jahrhundert zu, als Saaz freie Königsstadt und somit einer der Mittelpunkte Nordwestböhmens wurde. Zum Beispiel legte das Zisterzienserkloster Grünhain aus dem sächsischen Erzgebirge zwischen Saaz und Kaaden die ersten Weinberge an. Das Saazer Bürgertum trieb regelmäßigen Handel u. a. mit Leipzig. Seit dem 15. Jahrhundert lieferte Saaz sein Bier auch in die Bergbaustädte im sächsischen Erzgebirge.
Saaz war seit dem 15. Jahrhundert ein namhafter Stützpunkt des christlichen Nonkonformismus und der böhmischen Reformation. Auf religiös-kulturellem Gebiet ergaben sich deshalb Kontakte besonders zu den Waldensern in Sachsen und Meißen. Saaz war zu diesen Zeiten eine tschechisch-deutsche Stadt mit überwiegend tschechischsprachigen Bewohnern und einer bedeutenden jüdischen Gemeinde.
Im 16. Jahrhundert unterhielt die Stadt Saaz, die eine reich ausgestattete Stadtschule besaß, intensive Beziehungen zur lutherischen Reformation und zur Universität Wittenberg. 1521 predigte der radikale Reformer Thomas Müntzer auf seinem Weg von Sachsen nach Prag auch in Saaz. Der Hebraist Matthäus Aurogallus (Goldhahn) aus Komotau, Rektor der Wittenberger Universität und Mitarbeiter Martin Luthers, besuchte Saaz im Jahre 1529. Viele junge Leute aus Saaz studierten in Wittenberg und Leipzig. 1539 beteiligten sich Saazer Utraquisten in Annaberg an einer theologischen Disputation mit sächsischen Lutheranern. In der Folgezeit wurde Sachsen zum Zufluchtsort für Saazer Utraquisten und Protestanten, die nach 1625 Stadt verlassen mussten. Zentrum des Saazer Exils war das sächsische Freiberg, wo auch der Saazer Bürgermeister Tomáš Dentulín Zuflucht fand.
Im 17. und 18. Jahrhundert waren die kulturellen, religiösen, intellektuellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Saaz und den sächsischen Grenzgebieten wegen der strikten Konfessionalität eher eingeschränkt. Immerhin führte seit 1760 die wichtigste Postkutschenlinie zwischen Prag und Leipzig durch das Saazer Land.
Im Zuge der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Wiederbelebung der Beziehungen zwischen Saaz und dem Saazer Land mit dem benachbarten Königreich Sachsen, wobei seit Mitte des Jahrhunderts die jüdische Gemeinde eine bedeutende Rolle spielte. Aus ihr kamen bedeutende Persönlichkeiten des Unternehmertums (besonders im Hopfenhandel), aber auch der Intelligenz, wie zum Beispiel Otto Stein, Professor der Indologie an der Deutschen Universität in Prag, der Kontakte zur Leipziger Universität unterhielt, und 1942 ein Opfer des Holocaust wurde.
In der Zwischenkriegszeit gab es erste Anläufe zu einem tschechisch-sächsischen Fremdenverkehr, in dem das Saazer Land, reich an Sehenswürdigkeiten und Naturschönheiten, eine starke Stellung behauptete. Diese ersprießliche Entwicklung wurde allerdings durch den Schrecken des totalitären deutschen Nationalsozialismus unterbrochen. Dieser zerstörte nicht nur das Zusammenleben der Tschechen, Deutschen und Juden in Saaz, sondern auch die Beziehungen zu den sächsischen Städten Freiberg, Annaberg und anderen. Die zehn Jahre von 1938 bis 1948 führten zuerst zur Unterdrückung der Tschechen in Saaz, die Vernichtung der ansässigen Juden und schließlich zur Vertreibung der deutschsprachigen Saazer. Es folgte die brutale Zerstörung der übrig gebliebenen Sozialstrukturen in der Zeit des Kommunismus.
Die Zeiten von ČSSR und DDR waren für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Saaz und Sachsen nicht günstig. Das änderte sich mit der politischen Wende von 1989, als Tschechen und Sachsen erneut ihre Freiheit erlangten. Heute ist die Stadt Saaz wieder ein bedeutendes regionales Zentrum des Aussiger Kreises und aktives Mitglied in der Euroregion Erzgebirge. Eine Partnerstadt ist Thum im sächsischen Erzgebirge. Die Zukunft der tschechisch-sächsischen Kooperation, in der die Stadt Saaz in der Vergangenheit eine bedeutende Aufgabe hatte, ist wieder offen für neue Herausforderungen. Gerade Saaz mit seiner glanzvollen Geschichte, die mit Tschechen, Deutschen und Juden verbunden ist, kann eine Schlüsselrolle in der tschechisch-deutschen Versöhnung und bei der gemeinsamen Suche nach einer europäischen Identität einnehmen.
Saazer Weihnachtsgrüße 2014
Den Freunden von Saaz und allen, die es werden wollen:
Frohe Weihnachten und ein Gutes Neues Jahr!
Ausstellung in der Saazer Synagoge
auch im Internet : www.saaz-juden.de
Bericht des Saazer Fernsehen über die Ausstellung
Ausstellung „Die Juden von Saaz“ in Nordböhmen eröffnet
Von Hannah Illing, Radio Prag 18. September 2014
Im nordböhmischen Žatec|Saaz hat vergangene Woche eine historische Ausstellung eröffnet: „Die Juden von Saaz“. Sie dokumentiert Geschichte, Kultur und Schicksal der Saazer Juden seit dem Mittelalter. Die 1200 jüdischen Einwohner trugen vor dem Zweiten Weltkrieg bedeutend zum Stadtleben bei. Konzipiert hat die Ausstellung der Förderverein der Stadt Saaz.
Rund 18.000 Einwohner hatte die Stadt Saaz in den 1930er Jahren. Etwa 1200 davon waren Juden. 10-15 von ihnen überlebten den Holocaust und kehrten nach 1945 in ihre Heimatstadt zurück. Dieses Zahlenspiel veranschaulicht aber nur einen Teil der Geschichte der Saazer Juden. Der Vorsitzende des Fördervereins der Stadt Saaz, Otokar Löbl, erzählt:
Die ersten Juden waren nachweislich schon 1350 in Saaz. Das steht so in den Stadtbüchern. Später gab es natürlich auch Pogrome, da sind die Juden teilweise verjagt worden. Aber erst durch die Toleranzgesetze im 18. Jahrhundert haben sich die Juden wieder aus den Dörfern in der Stadt Saaz angesiedelt. Sie haben dann sehr viel Handel getrieben und sich stark am kulturellen und wirtschaftlichen Leben beteiligt.
Heute lebt nur noch eine jüdische Familie in Saaz. Selbst die Juden, die nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt waren, verließen ihre Heimatstadt bald Richtung Israel. Da die meisten Saazer Juden Deutsch sprachen, wurden sie von der tschechischen Bevölkerung damals nicht gern gesehen, erzählt Löbl. Der Unternehmer hat selbst Wurzeln in der Stadt: Fast alle seine Vorfahren waren Saazer Juden, die im Holocaust in den Vernichtungslagern Treblinka und Auschwitz ermordet wurden. Nur seine Großmutter und eine Tante überlebten. Heute setzt sich Löbl dafür ein, dass die Saazer Juden nicht in Vergessenheit geraten.
Deshalb hat er gemeinsam mit dem Förderverein der Stadt Saaz und mit dem Historiker Andreas Kalckhoff die Ausstellung „Juden in Saaz“ konzipiert. Der Adalbert-Stifter-Verein, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds unterstützen das Projekt.
Es handelt sich um eine Dokumentation mit Bildern und mit einer Schilderung der ganzen Geschichte der Saazer Juden von Anfang an: über die Rabbiner, über die Synagoge und über die Friedhöfe im Saazer Land. Die Ausstellung erzählt auch von der neueren Geschichte und von der Luftbrücke. Nach Vereinbarung können Besucher auch den neu restaurierten jüdischen Friedhof besuchen.
Anders als die Luftbrücke von Berlin ist die „Saazer Luftbrücke“ nur wenigen ein Begriff. Im ersten arabisch-israelischen Krieg im Jahr 1948 fungierte der Saazer Militärflugplatz, dessen Bau kurz vor Kriegsende noch Adolf Hitler in Auftrag gegeben hatte, als Ausgangspunkt für tschechische Waffenlieferungen nach Israel. Das Material stammte teilweise noch aus den ehemaligen Beständen der Wehrmacht.
Da wurden beispielsweise die Messerschmitt-Düsenjäger umgerüstet und nach Israel transportiert. Die Tschechoslowakei hat Israel damals voll unterstützt. So sind über 50 Tonnen Kriegsmaterial und Flugzeuge nach Israel gekommen – überwiegend vom Saazer Flugplatz aus.
Die Ausstellung „Die Juden von Saaz“ ist auch der Auftakt für ein neues Geschichtsmuseum, das in Saaz gerade in Planung ist. Otokar Löbl will es in den kommenden Jahren gemeinsam mit dem Förderverein und in Zusammenarbeit mit Stadt und Regionalmuseum Saaz verwirklichen. Dann soll auch die aktuelle Ausstellung von der Saazer Synagoge in das Museum umziehen.
Unsere Vision ist ein Museum der tatsächlichen Geschichte der Stadt, in der Juden, Tschechen und Deutsche wechselvoll gelebt haben – zeitweise auch sehr friedlich miteinander.
Die Ausstellung „Die Juden in Saaz“ ist eine Dauerausstellung. Wer sie besichtigen will, muss sich bei der Touristeninformation im Saazer Rathaus den Schlüssel borgen. Der Eintritt ist frei.
Die Ausstellung ist auch im Internet erreichbar unter www.saaz-juden.de
Dauerausstellung „Die Juden von Saaz“ eröffnet
Die Saazer Synagoge hat jetzt wieder eine Bestimmung | Die jüdische Geschichte von Saaz ist nicht vergessen | Festliche Eröffnung mit der Prager Klesmer-Band „Trombenik“ | Warnung vor neuem Antisemitismus | Ausstellung auch mit deutschem Text | Eröffnung am 3. September 2014
Die Ausstellung des Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec e. V. dokumentiert auf 14 Tafeln Geschichte, Kultur und Schicksal der Saazer Juden vom Mittelalter bis in die Nachkriegszeit und informiert auf weiteren drei Tafeln über die Luftbrücke von Saaz nach Ekron in Israel, die im Sommer 1948 maßgeblich zur Gründung des jüdischen Staates beigetragen hat. Es ist begrüßenswert, dass sie dank des Eigentümers Daniel Černý eine Heimstatt in der Saazer Synagoge gefunden hat, die damit eine neuer Bestimmung hat. Seit der Zerstörung ihrer Inneneinrichtung in der „Reichskristallnacht“ 1938 haben dort keine Gottesdienste mehr stattgefunden.
Jüdische Kaufleute gab es in Böhmen bereits im 10. Jahrhundert. Eine erste jüdische Niederlassung in Saaz soll sich nahe der Eger befunden haben. Die erste urkundliche Erwähnung von Juden in Saaz stammt aus dem Jahr 1350. Spannungen zwischen Christen und Juden aus religiösen und wirtschaftlichen Gründen gab es immer wieder mal, doch das Saazer Judenpogrom von 1541 war der Auftakt zur Vertreibung der Juden aus der Stadt. Die Vertriebenen zogen in die benachbarten kleineren Orte, wo sie unbehelligt leben konnten. Es dauerte 200 Jahre, bis die Wohnsitzbeschränkung der Juden in Böhmen aufgehoben wurde.
Ab 1850 ließen sich wieder jüdische Familien in Saaz nieder und eine neue Blütezeit jüdischen Lebens begann. Mit ihrem Bildungsdurst, ihrem Kunstsinn, ihrer Wirtschaftskraft und ihrem sozialen Engagement trugen sie nicht unerheblich dazu bei, dass Saaz zu einer wohlhabenden Stadt mit reichem Kulturleben wurde. Der Bau der Synagoge – die zweitgrößte Böhmens und berühmt für ihre Akustik –, die Errichtung eines prächtigen Portals für den neu angelegten Friedhof und der Bau respektabler Wohnhäuser waren der sichtbare Ausdruck ihres verdienten Wohlstands.
Durch biologistisch-rassistischen Antisemitismus, der Ende des 19. Jahrhunderts aufkam und vor allem von deutsch-nationalen Kräften getragen wurde, aber auch bei tschechischen Nationalisten Anklang fand, entstand eine neue Bedrohung für die Juden. Wie sich zeigen sollte, schützte ihr patriotisches, soziales und kulturelles Engagement sie nicht vor antisemitischem Hass. Das wurde in der 1. Tschechoslowakischen Republik schlimmer und fand seinen schrecklichen Höhepunkt im Holocaust während der deutschen Besatzung 1939-1945. Die Juden wurden zuerst aus Saaz vertrieben, dann im Ghetto Theresienstadt interniert und schließlich in Auschwitz ermordet. Nur wenige von den fast Tausend Saazern israelitischen Glaubens oder jüdischer Abstammung überlebten.
Eine kleinen Nachtrag erfuhr die große Geschichte der Saazer Juden durch ein heute fast unbekanntes Ereignis aus dem Sommer 1948: Die Tschechoslowakei lieferte am Nahost-Waffenembargo vorbei über eine Luftbrücke Militärgüter nach Israel, darunter Nachbauten der Messerschmidt Bf 109G aus den Škoda-Werken sowie deutsche Waffen, die 1945 zurückgeblieben waren. Dazu wurde ein deutscher Fliegerhorst bei Saaz benutzt, auf dem in diesen Sommermonaten auch einige der wenigen überlebenden Saazer Juden als Bodenpersonal und Zulieferer aushalfen. Zdeněk Klima hat aufgrund eigener Forschungen die entsprechenden Ausstellungstafeln mit Text und Bildern versehen.
Die Texte sind dreisprachig tschechisch, deutsch und englisch.
Zur Eröffnung spielt die Klesmer Band „TROMBELIK“ aus Prag
Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft des Ministers für Kultur der Tschechischen Republik, Mgr. Daniel Herrman, und der Bürgermeisterin der Stadt Žatec/Saaz, Mgr. Zdeňka Hamousová.
Sie wird außerdem unterstützt vom Verein der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec, von der Jüdischen Gemeinde Teplitz , der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen Republik und der Botschaft des Staates Israel in der Tschechischen Republik.
Mehr als Bierkultur
In der einstigen „Welthopfenhauptstadt“ Saaz treffen deutsche, jüdische und tschechische Geschichte aufeinander.
Von Peter Münch-Heubner, Prager Zeitung Nr. 35, 28. August 2014
Immer Anfang September, am Ende der Hopfenernte, lockt Dočesná, das Hopfenfest von Žatec, Menschen aus ganz Tschechien und aus dem Ausland in die Stadt an der Eger. Dann wird das frühere Saaz zum Schauplatz eines Volksfestes, das von Fremdenführern in seiner Bedeutung gerne mit dem Münchener Oktoberfest verglichen wird. Doch anders als in München spielt beim Saazer Hopfenfest neben der Folklore auch die Kultur eine Rolle, treten auf der Hauptbühne auf dem Marktplatz neben Blasmusikkapellen wie in den vergangenen Jahren auch Mitglieder der Tschechischen Philharmonie auf. Das Programm auf den vielen Podien in der Stadt ist breit gestreut, reicht von Country- über Rock- bis hin zur U-Musik. Dass da auch schon eine Legende der tschechischen Musikszene wie Helena Vondrácková zu Gast war, unterstreicht die Popularität von Dočesná im ganzen Land.
Wer dann noch am späten Abend durch die Altstadtgassen wandert, der kann in die Geschichte der Stadt eintauchen. Es ist die Geschichte von Tschechen, Deutschen und Juden und sie spiegelt die Wechselfälle böhmischer Geschichte wider. Sie steht für deren dunkle Seiten ebenso wie für ihre großen Kapitel. Auch das Hopfenfest mit seiner langen Tradition tut dies: Als „Hopfenkranzfest“ stellte es früher den heiteren Höhepunkt im Leben der Bürger der Stadt dar, egal welche Sprache sie sprachen. Es verweist auf die Brautradition in der Region, die bis in das 13. Jahrhundert zurückgeht. Im 19. Jahrhundert galt Saaz als „Welthopfenhauptstadt“. 1933 dann aber missbrauchte Konrad Henlein, der sich gern als „Statthalter des Führers“ in Böhmen bezeichnete, den Festplatz als Bühne für seinen „völkischen“ Propagandaauftritt. Nach Anschluss der Sudetengebiete an das Dritte Reich wurde das Fest verboten, weil es keine „arischen“ Wurzeln hatte. Nach dem Krieg instrumentalisierten die kommunistischen Machthaber Dočesná in ihrem Sinne. Nun ist es wieder das, was es ursprünglich war, einfach nur ein Fest und eine Attraktion für Besucher, die von auswärts kommen.
Heute ist es, für diese Besucher eher ungewöhnlich, ein Biermuseum, das sie neben einem Regionalmuseum durch die Stadtgeschichte führt. Der Hopfen ist immer noch ein Wirtschaftsfaktor in der Region, wenngleich auch nicht mehr von so zentraler Bedeutung wie in der Vergangenheit. Häufig wird darauf verwiesen, dass sich das hier gebraute Bier deutlich von der internationalen Massenproduktion unterscheide. Die Traditionsbrauerei Žatec allerdings, die 1801 als „Bürgerbrauerei“ gegründet wurde, ist jetzt in den Mehrheitsbesitz des dänischen Bierkonzerns Carlsberg übergegangen.
Doch Žatec ist mehr als nur „Bierkultur“. Die historischen Sehenswürdigkeiten umfassen das Rathaus, die Stadttore, die Stadtbefestigung, die Kirchen, das Stadttheater, den Ringplatz, die Synagoge und die vielen alten Bürgerhäuser in der Altstadt sowie in Vierteln wie der Oberen und der Unteren Vorstadt. Zu den berühmten Persönlichkeiten, die hier wirkten, gehört Johannes von Saaz, der am Beginn des 15. Jahrhunderts sein bekanntes Werk „Der Ackermann aus Böhmen“ schuf. Johannes von Nepomuk besuchte die Lateinschule am Ort, die zum ersten Mal zu Beginn des 13. Jahrhunderts in den Quellen erwähnt wird. 1389 wurde der spätere Landespatron Böhmens und Bayerns Archidiakon von Saaz, bevor er noch im selben Jahr als Generalvikar nach Prag berufen wurde.
Saaz war zu diesem Zeitpunkt seit mehr als einem Jahrhundert „Königsstadt“. Das bedeutete die Gewährung von Privilegien, einer eigenständigen Gerichtsbarkeit sowie von Bürgerrechten, von denen die Landbewohner noch lange Zeit ausgeschlossen blieben. Die Könige Přemysl Otakar I., Václav I. und Přemysl Otakar II. hatten im 13. Jahrhundert die Geschichte Böhmens in jene Bahnen gelenkt, die das spätere Schicksal des Landes bestimmen sollten. Schon seit dem 12. Jahrhundert waren bayerische, fränkische und sächsische Siedler in die südlichen, westlichen und nördlichen Grenzregionen des Königreichs der Přemysliden gezogen. Nach 1200 warben die Herrscher in Prag im Zuge des geplanten „Landesausbaus“ deutsche Bauern, Handwerker und Händler für die dünn besiedelten Regionen gezielt an. 1266 wurden den Neusiedlern, die nun auch nach Saaz gekommen waren, als „Freien“ Sonderrechte zugestanden. In der Stadt, die 500 Jahre zuvor eine slawische Gründung mit dem Namen Lucko gewesen war, wuchs eine deutsche Bevölkerungsmehrheit heran. Als Datum der ersten urkundlichen Erwähnung aber gilt das Jahr 1004, weswegen man 2004 eine Tausenjahrfeier beging. Dieses Saaz sollte eine Stadt bleiben, deren Werden und Wachsen Deutsche und Tschechen in wechselseitigem Zusammenspiel bestimmen sollten – im Miteinander, aber auch schon bald im Gegeneinander.
Drei Böhmen
Ein umfangreiches Gewerbewesen entwickelte sich unter deutscher Ansiedlung. Dann kamen die Hussiten, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Böhmen teilweise unter ihre Herrschaft bringen konnten. Diese Hussiten waren, wie der Osteuropa-Historiker Manfred Alexander betont, „keine rein tschechische Bewegung“. Auch Deutsche, unter ihnen Priester, hingen deren religiösen, theologischen sowie sozialen Ideen an. Das war auch in Saaz so. Gefordert wurde die Mitbestimmung der unteren Bevölkerungsschichten in den Ratsversammlungen des Landes. In vielen Städten Böhmens standen sich katholische deutsch-sprachige Ratsherren und sozial schwächere tschechische Unterschichten gegenüber. Deutsche katholische Familien verließen Saaz, das nach 1415 zur „Sonne der Hussiten“, zu einer mehrheitlich tschechischen Stadt, zu Žatec wurde.
Der Sprachwissenschaftler Alfred Klepsch verweist jedoch darauf, dass deutsche Hussiten in Žatec verblieben, in deren Kreis eine Assimilierung einsetzte. So wurde aus dem Bürgermeister „Meister Peter“ in den Ratsprotokollen „Petr Nemec“, wobei dessen neuer tschechischer Familienname immer noch auf seine deutsche Herkunft verwies.
Ratsprotokolle in deutscher Sprache finden sich in den Archiven, so die Ergebnisse der Untersuchungen von Klepsch, erst im „frühen 18. Jahrhundert“ wieder. Die Auswertung der Bürgermatrikel zeigt, dass ein erneuter und umfangreicher „Zuzug von Neubürgern mit deutschen Namen“ nach 1750 einsetzt. Klepsch schätzt, dass das „Saazer Land“ an der „Wende des 18. zum 19. Jahrhundert“ wieder eine mehrheitlich deutsch besiedelte Region war.
Die Existenz vieler Lehnwörter aus dem Tschechischen im ost-fränkischen Saazer Dialekt zeugt indes von einer kulturellen Vermischung. Als Saazer Bürger mit rein tschechischer Muttersprache stuften sich im Jahr 1910 allerdings nur noch 2,6 Prozent der Einwohner ein. Bis zur Volkszählung 1930 sollte dieser Anteil wieder steigen, 3.156 von insgesamt 18.100 Einwohnern ließen sich dann als Tschechen registrieren.
Saaz war ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Industriegebiet geworden. Rasch entwickelten sich Werke der unterschiedlichsten Produktionszweige. Generell verzeichnete das deutsch-böhmische Wirtschaftsgebiet nun einen Zuzug von Arbeitskräften aus dem tschechischen Kernland, der auch nach Gründung der Tschechoslowakei 1918 anhielt. Die beiden Böhmen waren nie vollkommen voneinander zu trennen.
Es gab aber auch noch das dritte Böhmen: 1930 umfasste die jüdische Gemeinde von Saaz 944 Angehörige. Wissenschaftliche Studien gehen jedoch davon aus, dass rund 10 Prozent der Bürger jüdischer Herkunft waren – die Zahl der „assimilierten Juden“ mit eingerechnet. 1939 wurden nur noch 25 von ihnen gezählt.
Am 8. November vorigen Jahres gedachte man in Žatec des 75. Jahrestages der Reichskristallnacht. Ort des Gedenkaktes war die Synagoge in der Langen Gasse (Dlouhá), deren Inneneinrichtung in dieser Nacht ausbrannte. 2010 bereits wurde im Regionalmuseum eine Ausstellung eröffnet, die durch die Geschichte der Juden von Saaz führt. Deren Gemeinde wurde im Jahre 1350 erstmals in den Quellen erwähnt.
Gefeiert wurde der Erfolg der Ausstellung im „Tempel des Hopfens und des Bieres“. Martin Komárek schrieb dazu kritisch, dass hier „blutige Geschichte sich in leutselige Bier Atmosphäre aufgelöst hat“. Doch Otokar Löbl, der selbst einer Saazer Familie mit jüdischen Wurzeln entstammt, die 1970 nach dem Prager Frühling die Heimatstadt verließ, hatte keine Probleme mit diesem Umtrunk. Er ist bekennender Bierliebhaber. Und die Geschichte der Juden der Stadt ist eng mit der hiesigen „Bierkultur“ verbunden: Die „Saazer Hopfenjuden“ haben in der Vergangenheit zum Aufstieg dieses Wirtschaftszweigs in der Region viel beigetragen.
Das Projekt „Die Juden von Saaz“ ist Bestandteil einer tschechisch-deutsch-jüdischen Zusammenarbeit, die unter dem Titel „Saazer Weg“ steht. Vorbereitet wurde die Ausstellung von der Jüdischen Gemeinde von Teplice, vom „Förderverein der Stadt Saaz/Žatec“ (Frankfurt am Main), vom Heimatkreis Saaz (Roth) sowie aus dem heutigen Žatec von der „Vereinigung der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec“.
Der „Saazer Weg“ umfasst viele Initiativen. „Die den Saazer Weg gehen wollen“, so beschreibt es der Förderverein, „sind überzeugt: Ohne Erinnerung kann es keine Versöhnung geben, aber ewige Vorwürfe führen auch nicht zum Ziel.“ Man wolle miteinander aus der „Vergangenheit und ihren schrecklichen Ereignissen“ lernen, um „der gemeinsamen Zukunft von Tschechen und Deutschen im europäischen Haus“ ein neues und solides Fundament zu geben.
Dunkle Kapitel
Die „schrecklichen Ereignisse“ aber haben das Bewusstsein von Tschechen und Deutschen zutiefst geprägt. Das wissen auch Otokar Löbl und Petr Šimáček, die Vorsitzenden des Fördervereins und der „rodáci“ (Landsleute). Da steht auf der einen Seite der Massenmord von Postelberg, begangen von der Division unter General Španiel an der männlichen deutschen Bevölkerung von Saaz im Juni 1945. Und auf der anderen Seite ist Lidice bis heute der Ort, der an die vielen NS-Verbrechen, begangen an tschechischen Zivilisten, an Männern, Frauen und auch Kindern, erinnert.
Weil sich der Förderverein und die „rodáci“ gemeinsam dafür engagierten, wurde im Juni 2010 eine Gedenktafel für die Opfer von Postelberg eingeweiht. Der Förderverein organisierte 2012 in Deutschland eine Wanderausstellung mit dem Titel „Die wilde Vertreibung der Deutschen in Nordböhmen 1945“. Lidice und andere NS-Gewalttaten blieben hier ganz bewusst nicht unerwähnt.
Doch es gibt nicht nur diese dunklen Kapitel in der Geschichte. Löbl und Šimáček planen ein „Johannes-von-Saaz-Museum“ in Žatec, in dem das Zusammenleben von Deutschen, Tschechen und Juden in der Stadt im friedlichen Miteinander dokumentieren werden soll. In die wechselvolle Stadtgeschichte mit einzubeziehen wären in der neueren Zeit aber auch jene Neubürger, die nach der Vertreibung der Sudetendeutschen hier ansiedelten – oder auch angesiedelt wurden – und die aus dem tschechischen Kernland, aus Mähren und der Slowakei kamen oder die Roma, die hierher zogen und nach dem NS-Terror kommunistischen Repressalien ausgesetzt waren.
Geschichte ist in der Gegenwart präsent, sie soll aber nicht nur im neuen Museum in der Zukunft vor allen Dingen eines: zusammenführen. So sagte Löbl im Jahr 2010 anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Die Juden von Saaz“ in einem Gespräch mit der Tageszeitung „MF Dnes“: „Das Geschehene und die Mordtaten kann man nicht mehr (…) rückgängig machen (…) Es ist aber möglich, sich gegenseitig zu verzeihen (…) und vor einer Wiederholung der früheren Taten zu warnen.“
In der Geschichte Stärke suchen für Gegenwart und Zukunft, das ist in Anlehnung an den Historiker František Šmahel Löbls Motto. Die Geschichte von Žatec|Saaz bietet hierzu viele Ansätze.