Die Stadt Saaz plant mit dem Förderverein ein Museum
In einem Gespräch im Saazer Rathaus am Mittwoch, den 16. März 2011 brachte der Stellvertretende Bürgermeister von Saaz das große Interesse der Stadt am Projekt eines Museums für deutsch-böhmische Kultur im Saazer Land zum Ausdruck. Das Konzept dazu, das der deutsche Förderverein der Stadt Saaz|Žatec e. V. ausgearbeitet hat, wird in der nächsten Sitzung dem Stadtrat vorgelegt werden. Danach wird ein Vertrag zwischen beiden Partnern die weitere Planung regeln. Die Mittel dafür sollen durch Sponsoren und aus Fördermitteln aufgebracht werden. Die Stadt will die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und den Unterhalt der ständigen Ausstellung sichern, die als Abteilung des örtlichen Regionalmuseums gegründet werden soll. Als Unterbringungsort ist das ehemalige Deutsche Gymnasium im Gespräch, in dem bisher noch die Polizei residiert.
Viele hundert Jahre lebten Tschechen und Deutsche in Saaz (Žatec) friedlich zusammen. 1004 kam der deutsche König dem böhmischen Herzog Jaromir gegen die polnische Besatzung der nordböhmischen Burg „Satci“ zur Hilfe: In diesem Zusammenhang tritt Saaz erstmals ins Licht der Geschichte. Um 1400 bildeten die Deutschen, die von böhmischen Fürsten zur Besiedlung des Landes eingeladen wurden, einen respektablen Teil der Saazer Bevölkerung und bekleideten hohe Ämter in der Stadt. Zu dieser Zeit schrieb der Stadtschreiber Johann von Saaz den berühmten „Ackermann aus Böhmen“, die erste neuhochdeutsche Dichtung. Er soll dem Museum seinen Namen geben.
Das Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in Saaz, das im 19. Jahrhundert zur überwiegend deutsch geprägten Stadt wurde, war über viele Jahrhunderte von gegenseitiger kultureller Befruchtung und wirtschaftlichem Nutzen bestimmt. Erst die Exzesse eines übersteigerten Nationalismus im 20. Jahrhundert führten zu den tragischen Ereignissen, an deren Ende die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei und damit auch aus dem Saazer Land stand. Die Ausstellung will vor allem die beinahe tausendjährige deutsch-tschechische Erfolgsgeschichte in den Vordergrund stellen, ohne freilich das traurige, von beiden Volksgruppen verschuldete Ende auszusparen.
Deutsch-tschechischer Stammtisch in Saaz
Am Abend des 16. März 2011 fand im neu eröffneten „Hopfen- und Biertempel“ der Saazer Brauerei auf Anregung des Fördervereins ein erster deutsch-tschechischer Stammtisch statt, der in regelmäßigen Abständen unter Beteiligung von Pressevertretern aus beiden Ländern fortgeführt werden soll.
Deutsche in der Tschechoslowakei nach 1945
Von Franz Chololaty Gröger | Buchrezension, Pardubitz|Pardubice 22. Januar 2011
Vom 12.-14.November 2008 fand auf dem Boden der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn eine Konferenz unter der Benennung: „Die deutschsprechende Bevölkerung in der Tschechoslowakei nach 1945“ statt, die gleichzeitig auch Anlass zu einem Arbeitstreffen des Autorenkollektivs rund ums Forschungsvorhaben der Masaryk-Universität gab . An der Konferenz nahmen auch Forscher aus der Slowakei, ferner der deutschstämmige Historiker aus Mährisch Ostrau, Otfried Pustejovsky, sowie Vertreter der deutschen Minderheit in Böhmen, Mähren und Schlesien teil. Für den „Förderverein der Stadt Saaz“ nahm Otokar Löbl teil.
Als Ergebnis kam ein Buch heraus, das auch in Zusammenarbeit zwischen dem Forschungszentrum für Geschichte Mitteleuropas und dem Institut für zeitgenössische Geschichte der Akademie der Wissenschaften der ČR entstanden ist. Deren Brünner Nebenstelle beteiligte sich an der Umsetzung im Rahmen des Projektes „Dokumentation des Schicksals der aktiven Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus“, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Zusammenhang mit jenen Maßnahmen standen, die in der damaligen Tschechoslowakei gegen die sogenannte feindliche Bevölkerung angewendet wurden. Das Buch „Die deutschsprechende Bevölkerung in der Tschechoslowakei nach 1945“ erschien Ende des vergangenen Jahres bei der Matice moravská.
Das veröffentlichte Werk kann im Wesentlichen in drei Abteilungen untergliedert werden:
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Die bisherige Forschung, Perspektiven und Methoden,
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Regionale Forschung und
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Neue Themen und neue Kontexte.
Im ersten Kapitel beschäftigt sich Tomáš Staněk anhand der bisherigen Forschung mit der „deutschen Problematik“ nach Kriegsende, und Adrian von Arburg legt einen umfangreichen Beitrag einiger Erwägungen vor, wie man die Forschung über die Stellung der deutschsprechenden Bevölkerung in Böhmen, in Mähren und in Schlesien nach dem Krieg fortsetzen sollte. Eben dieser Beitrag wurde diskutiert, vor allem von Seiten der deutschen Minderheit. Ein weiteres Kapitel ist die Arbeit Tomáš Dvořáks „Die Erforschung der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegstschechoslowakei, Probleme und deren Begrenzung sowie eine weitere Kontextualisierung“, eines der Autoren, der in der Edition „Aussiedlung der Deutschen und die Veränderungen des tschechischen Grenzlandes von 1945“. Diesen ersten Teil beschließt die Arbeit „Vertreibungsforschung zwischen Politik und Wissenschaft“ des bedeutenden deutschen Forschers Otfried Pustejovsky.
Der zweite Teil wird durch die Arbeit des bereits erwähnten Tomáš Dvořák eingeleitet, der Brünn und seiner Bevölkerung im Jahre 1945 gewidmet ist. Für Tschechen bekannt geworden ist die Vertreibung der deutschen Bevölkerung und der von vielen Exzessen begleitete folgende Marsch zur österreichischen Grenze. Es handelt sich dabei um die Frage des historischen Gedächtnisses, bzw. des Nicht-erinnert-werden-wollens, und um die Frage der politischen Verantwortung. Die darauf folgende Arbeit ist den Deutschen in Reichenberg nach dem Zweiten Weltkrieg, den Deutschen in Neuhaus und Umgebung nach 1945 und der deutschsprechenden Bevölkerung in der Umgebung von Budweis nach 1945 gewidmet, die durch dazu gehörende und veranschaulichende Tabellen ergänzt wird. Die Studie „Die deutsche Bevölkerung im politischen Kreis Senftenberg in den Jahren 1945-1948“ von Václav Kaška befasst sich ebenfalls mit den leidigen Aktivitäten der Partisanengruppe „Václavík“ der Kommandeure Jan Ptáčník und Josef Hýbl Brodecký, die „bekannt“ wurde durch die Morde in Landskron, Wichstadtl, Grulich, Linsdorf und in weiteren Orten. Sie beschäftigt sich auch mit der Vertreibung der Bevölkerung nach Glatz im Jahre 1945. Den tschechischen Leser werden sicher auch die Arbeiten slowakischer Autoren interessieren, die sich mit der Frage der Karpatendeutschen in den Jahren 1945-1946 befassen.
Die dritte Abteilung widmet sich der Frage der Kommunistische Partei der Tschechoslowakei und „unseren Deutschen“, also dem Verhältnis von Nationalismus, Internationalismus und Pragmatismus beziehungsweise der Problematik der Rückkehr „rechtswidrig Abgeschobener“. Aufmerksamkeit verdienen alle Arbeiten, mag es sich dabei um das Schicksal von Emil Beer oder um den Deutschen Karl Jüttner handeln. Große Aufmerksamkeit erweckt die Arbeit von Vladimir Černý „Prozesse mit den Angehörigen des nationalsozialistischen Sicherheitsapparates in Brünn und deren Schicksale in den Jahren 1945-1956“, die ergänzt wird durch ein komplexes Verzeichnis der ermittelten und inhaftierten Mitglieder des Sicherheitsapparates, oder die Arbeit „Das kleine Retributionsdekret und die deutschsprechende Bevölkerung in Ostrau in den Jahren 1945-1948“.
Das Buch enthält auch Quellen und eine ausgewählte und empfohlene Literatur inklusive noch nicht erschienener Quellen bzw. Verzeichnisse von Archiven und Fonds in der Tschechei, in der Slowakei, in Deutschland und Österreich. Teil des Buches ist auch umfangreiches Foto-Material.
Es ist anzunehmen, dass diese anregende, gut bearbeitete Publikation in Hinkunft weitere Forschungen anregen wird und auf diese Weise behilflich bei der Suche nach Antworten auf bislang verschwiegene Fragen zur Nachkriegszeit sowie zum Zusammenleben von beiden Völkern sein kann.
Bilder zur Tagung in Brünn:
Dass die Fenster geöffnet bleiben
Von Otokar Löbl | Mladá Fronta DNES, 16. Dezember 2010
„Lasst frische Luft herein! Habt keine Angst! Das, liebe Landsleute, ist ein ganz entscheidendes Wort. Habt keine Angst. Wir wollen die Fenster aufreißen, wir wollen frische Luft herein lassen, wir wollen einen festen und realistischen Blick auf eine bessere Zukunft richten.“ Das waren die Schlussworte von Bernd Posselt auf dem diesjährigen Sudetendeutschen Tag in Augsburg.
Dies kling gut, hat aber einen Fehler. Wenn man die Fenster öffnet, kommt zwar frischer Luft herein, aber es kommt auch zu einer Luftzirkulation und die verbrauchte Luft entschwindet hinaus.
Herr Posselt sollte in Prag erklären, wie er sich die Wiedergewinnung der Heimat und die Entschädigungszahlungen für die „Sudetendeutschen“ vorstellt, die ein Pfeiler in der Satzung der Landsmannschaft sind, derer Sprecher er ist.
Die Sudetendeutschen sind keine Ethnie, sondern eine politische Schicksalsgemeinschaft der vertriebenen Deutschen. Der Begriff „sudetendeutsch“ entstand anfangs des 20. Jahrhunderts, hat also keine älteren historischen Wurzeln. Heute verlangt die „Sudetendeutsche Landsmannschaft“ von den Tschechen eine Aufarbeitung der Vergangenheit; sie sollen ihre Fehler und Verbrechen zugeben und für diese Taten die Verantwortung übernehmen.
Wo aber bleibt die eigene Reflexion? Darüber, dass in Dux, also im Grenzgebiet der damaligen Tschechoslowakei, schon am 16. November 1919 − also noch bevor der erfolglose Maler von Ansichtskarten in München seine NSDAP gegründet hat − eine extrem nationalistische und antisemitische Arbeiterpartei namens DSNAP entstand. Dass sich führende Funktionäre der Sudetendeutschen Partei (SdP) bei Hitler für ihre gemäßigte Forderung vor dem Krieg nach „Autonomie“ entschuldigten − diese sei nur aus taktischen Erwägungen gestellt worden, da die Partei sonst verboten worden wären. Dass sie sich bei Heydrich über eine angebliche Bevorzugung der Tschechen im Protektorat beschwerten, während die Sudetendeutschen doch nur Pflichten hätten. Dass sie in ihren Volkstumskampf radikaler gegen die Tschechen vorgehen wollten als die Reichsdeutschen und deshalb nicht mit Heydrichs Umvolkungsplan einverstanden waren. Dass sie eine schnellere Enteignung der Tschechen verlangten als Belohnung für ihren „Volkstumskampf“, der das Münchner Abkommen erst ermöglicht habe und auch die kampflose Schaffung des Protektorats Böhmen und Mähren. Dass nach dem Krieg in der SL-Führung nicht nur Leute saßen, die einfache NSDAP-Mitglieder waren, sondern Leute, die im Sudetengau und im Protektorat führende Funktionen inne hatten und fanatische Anhänger des deutschen Nationalsozialismus waren.
Seit dem Jahre 1938 war das Sudentenland als Verwaltungsgebiet „Sudetengau“ ein Teil des nationalsozialistischen Hitler-Reiches. Die Sudetendeutschen waren den Deutschen im „Reich“ gleichgestellt mit Rechten und Pflichten. Also waren sie auch verantwortlich für die Verbrechen an der tschechischen und jüdischen Bevölkerung hier und in anderen besetzten Ländern. Von dieser Verantwortung und Mitschuld der „Sudetendeutschen“ findet sich aber kein Wort im Programm der SL oder der Erklärungen aus München.
Die Zuweisung einer Kollektivschuld einer ganzen Nation ist unzulässig. Aber es gibt eine kollektive Verantwortung und Scham für das, was im Namen einer Nation getan wurde. Dies gilt für Tschechen, Deutsche und auch für „Sudetendeutsche“.
Die Bitte um Vergebung für die Mitschuld der Sudetendeutschen an den Verbrechen des Nationalsozialismus in der Tschechischen Republik aus den Munde des Sprechers der SL und die Kranzniederlegung in Lidice waren ein symbolischer Schritt zu einer wirklichen Versöhnung. Nun müssen Taten folgen. Dies wird keine leichte Aufgabe für ihn sein. Aber mit der Hilfe eines starken, zuverlässigen und ehrlichen Partner, in der Person von Horst Seehofer als Ministerpräsidenten des Landes Bayern, dem Schirmherrn der vertriebenen Deutschen aus Böhmen, Mähren und Schlesien, könnte es ihm gelingen, dass die Fenster für immer geöffnet bleiben.
Ein Weg aus dem Kreislauf der Vorwürfe
Von Martin Komárek | Mladá Fronta DNES, 5. November 2010
Komárek (*1961) ist Chefkommentator von Mladà Fronta DNES, der auflagenstärksten Tageszeitung Tschechiens.
Die bewegte Geschichte Mitteleuropas spiegelt sich in der Geschichte der Stadt Saaz (Žatec) wieder. Zeiten der Blüte wechselten mit Zeiten des Blutvergießens. Die Saazer „Landsleute“ (rodaci) versuchen, einen Weg aus den gegenseitigen Anschuldigungen der Tschechen und Deutschen zu finden. Ist Versöhnung heute überhaupt möglich? Und was sind die Motive derer, die sich darum bemühen?
Wir sitzen in einem Wirtshaus, das sich „Tempel des Hopfens und Bieres“ nennt. Mitten in Saaz ist es, zusammen mit dem Hopfenmuseum, durch Unterstützung der EU entstanden.
Rund um den Tisch sitzen fröhlich Tschechen, Deutsche und Juden. Vertreter der Völker, welche die ruhmvolle Geschichte der Stadt Saaz geschaffen haben, die im letzten Jahrhundert zusammenbrach. Das wunderschöne Renaissancezentrum ist verwahrlost, in den Seitengassen findet man Trümmer, als ob der Krieg erst vor fünf Jahren zu Ende gegangen wäre. Die Narben in den Seelen der Menschen sind aber noch schmerzhafter.
Seit den dreißiger Jahren ist die Geschichte der Stadt eine Tragödie der vereitelten Hoffnungen. Erst wurden Tschechen von Deutschen vertrieben und drangsaliert. Dann wurden die Juden ausgerottet. Nach den Krieg wurden die Deutschen von den Tschechen vertrieben. Weitere Tschechen gingen nach der Besetzung durch die Russen 1968.
Jetzt heilen langsam die Wunden. Das ist überwiegend das Verdienst zweier Männer − Petr Šimáček und Otokar Löbl.
Zusammen mit weiteren Saazern sind sie die Seele der „Vereinigung der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec“. Dieser Verein will nicht nur der Stadt wenigstens zu einem Bisschen ihres ehemaligen Ruhms verhelfen. Sie bemüht sich auch um das, was bei uns heute nicht üblich ist. Um eine Versöhnung aller Landsleute. Also der aus Tschechien und Deutschland. Otokar Löbl bemüht sich um das gleiche von der deutschen Seite aus mit seinem „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“.
Der Tempel des Hopfens und Bieres
Im „Tempel des Hopfens und Bieres“ wird heute ein regionales Ereignis gefeiert: die Eröffnung der Ausstellung über „Die Juden von Saaz“, die diese beiden Männer zusammengestellt haben. Sie deckt die Schicksale von Menschen auf, die zum Ruhm der Stadt beigetragen haben und auf einmal verschwanden. Einige von ihnen sind jetzt nach vielen Jahren zurückgekehrt, um die Ausstellungstafeln im Saazer Regionalmuseum zu besichtigen. Ein fast neunzigjähriger Kernphysiker, Herr Sommer, ist aus Paris gekommen. Die neunzigjährige Anna Roubíček durchtrennte das Eröffnungsband. Mit am Tisch sitzen die Nachfahren derer, die 1945 aus der Stadt vertrieben wurden. Die Konversation ist fröhlich, und niemand erinnert jemanden an geschehenes Unrecht. Man könnte sagen, dass blutige Geschichte sich in leutselige Bieratmosphäre aufgelöst hat.
Versöhnung?
Vielleicht ist man Versöhnung und Vergebung schon näher gekommen. Im Falle von Petr Šimáček und Otokar Löbl hat es zehn Jahre gedauert, bis sie mit ihrer „Vereinigung der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec“ nach Deutschland eingeladen wurden.
Šimáček erinnert sich noch an seinen ersten Besuch in Deutschland:
Es war in Georgensgmünd, als wir uns mit Otto beim Treffen der deutschen Saazer vorgestellt haben. Im Saal waren fast 300 Saazer, und es war dicke Luft und Misstrauen zu spüren …. Manche hatten sogar Angst, zu unseren Tisch zu kommen. Allmählich trauten sie sich und wollten überwiegend wissen, wie ihr Hause, ihre Straße oder der Friedhof in Saaz aussieht. Ob Herr X oder Frau Y noch lebt …
Noch größeres Misstrauen begegnete Šimáček aber bei seiner Rückkehr nach Saaz. Die Leute zu Hause wollten nicht begreifen, dass in Deutschland die gleichen Leuten leben, wie sie. Sie haben Petr Šimáček verdächtigt, dass er zu den „Sudetaky“ (Sudetendeutschen) fährt, um sich mit ihnen anzufreunden, um einen Mercedes zu bekommen oder etwas ähnliches. Er sagt dazu:
Sie äußerten sich mit Gehässigkeit und Neid. Was haben Sie von den Deutschen bekommen, was werden die dafür bekommen? Andere hatten Angst und fürchteten, dass wir durch den Kontakt mit den deutschen Landsleuten unangenehme Sachen aus der Vergangenheit erfahren könnten. Wer mit den Deutschen kollaborierte, wer was gestohlen hat, wie er sich während des Krieges und nach dem Krieg gegenüber den Deutschen verhalten hat … Bei den persönlichen Begegnungen mit den Saazer Landsleuten erfuhren wir aber beispielsweise, wer mit wem ging und wer seine erste Liebe in Saaz war. Wessen unehelicher Sohn oder Tochter heute noch in Saaz leben und ähnliche Pikanterien. Dies sind aber rein private Sachen, und niemand wird es jemals von mir erfahren!
Otokar Löbl kennt dasselbe von der anderen Seiten. Nachdem er in Folge der russischen Invasion weggegangen war, erkannte er erst in vollem Umfang die Ängste und Erwartungen der ehemaligen Saazer. Mit dem größten Teil seiner Landsleute hatte er kein Problem: Sie sind pragmatisch, sie wollen Saaz besuchen, eventuell dort unternehmerisch tätig werden. Aber auch auf deutscher Seite gibt es welche, die sich mit ihrem Leid nicht versöhnt haben und niemals versöhnen werden:
Ähnlich wie ein Teil der heutigen Bewohner von Saaz die Sudetendeutschen pauschal verurteilen, so sieht ein Teil der Deutschen in den Bewohnern von Saaz die Erben derer, die sich an ihrem Eigentum bereichert haben. Es ist eine Minderheit, aber die ist aktiv und organisiert. Der Unterschied zwischen denen, die eine Zusammenarbeit wollen, und den anderen ist leider fast unüberwindlich, ähnlich wie der Dogmatismus mancher Mitglieder des »Klubs des tschechischen Grenzgebiets«“, der Kommunisten und der berufsmäßigen »Kämpfer für die Freiheit,
erklärt Otokar Löbl traurig. Auch wenn er nicht ganz sicher ist, dass sein Kampf für Versöhnung erfolgreich sein wird, widmet er ihm viel Kraft und Energie und gibt nie auf.
Löbl und Šimáček
Weder Otokar Löbl noch Peter Šimáček sehen aus wie beispielhafte Kämpfer für Wahrheit und Liebe. Löbl wuchs in einer deutschen Familie mit jüdischen Wurzeln auf. Da sie antifaschistisch war, wurde sie nicht abgeschoben. Er ging erst nach 1968, als die russische Invasion seine Hoffnungen auf eine Änderung zum Besseren zunichte gemacht hatte. Er ist Wirt [richtig: Unternehmensberater für Gaststätten und Steuer. Anm. d. R.], Bonvivant und mit sechzig Jahren fing er an, Philosophie zu studieren. Er liebt Bier, gutes Essen und gute Gespräche.
Petr Šimáček ist ein erfolgreicher Manager, der eine blühende Agentur besitzt und genau so aussieht. Mit Löbl verbindet ihn die Begeisterung für Verbandsarbeit, die man eher in den Zeiten von F. L. Věk [Figur eines tschechischen Patrioten in einem Roman von Alois Jirásek] vermuten würde, Organisationstalent und der Glaube in eine bessere Zukunft von Žatec|Saaz.
Vor allem aber ein einfacher Gedanke: Verlängern wir nicht mehr die Kette des gegenseitigen Unrechts. Was geschehen ist, ist geschehen. Es ist notwendig, sich darüber Rechenschaft abzulegen, es ist nötig, die Schuld zu bereuen. Aber die Zukunft sollte dies nicht belasten.
Mit dieser Überzeugung gelang es ihnen zumindest, einen Teil der Saazer Landsleute auf beiden Seiten der Grenzen zu versöhnen. Aber es ist noch lange nicht klar, ob dies für immer sein wird.
Petr Šimáček, mit einem Lächeln, aber doch klagend:
Im Jahr 2010 hat sich unsere Zusammenarbeit mit den deutschen Saazern wieder verschlechtert. Wegen der vielfältigen Meinungen in ihrem Verein sind sie innerlich zerstritten, und ich habe das Gefühl, dass einige heimliche nationalistische Gedanken verbergen.
Die Zeichen stehen tatsächlich wieder auf Nationalismus. Tschechien wollte eine Ausnahme für sich im Lissaboner Vertrag, da der Präsident der Republik sich vor Ansprüchen der Sudetendeutschen fürchtet. Bei der diesjähriger Feier zum 28. Oktober [Nationalfeiertag] sprach Klaus davon, dass zu viel die Rede sei von dem, was die Tschechen den Deutschen angetan hätten, und dass dabei verschwiegen werde, was umgekehrt geschehen sei. In Deutschland bezweifelt man wiederum sehr, ob die neuen Mitglieder wirklich ein Zugewinn für die EU seien.
Zukunft
Steht Mitteleuropa vor einer neuen Kältewelle? Hier beim Schankbier im Saazer „Tempel des Hopfens und Biers“ sieht es nicht so aus. Aber die Geschichte lehrt uns anderes. Otokar Löbl glaubt jedoch, dass sie sich nicht wiederholen müsse:
Das Geschehene und die Mordtaten kann man nicht mehr zurückholen und rückgängig machen. Ebenso ist es nicht möglich, rückwirkend das Unrecht zu beseitigen, ohne dass dabei neues geschieht. Es ist aber möglich, sich gegenseitig zu verzeihen und seine Fehler zugeben und vor einer Wiederholung der früheren Taten zu warnen.
Der Saazer Verein ist darauf vorbereitet, auch die Rückkehr des Misstrauens zu überleben. Er ist nicht auf Vergangenheit fixiert, sondern auf die Zukunft. Trauern über verblassten Ruhm erneuert nicht oder heilt nicht die Wunden. Die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Politiker zu helfen sind sehr begrenzt und ihre Interessen egoistisch. Die Saazer Vereinsmenschen verlassen sich nur auf sich selbst. Petr Šimáček:
Im Unterschied zu ähnlichen Vereinen wollen wir uns nicht an Hand alter Fotos erinnern und über die verlorene Vergangenheit lamentieren. Wir wollen neu anfangen und dabei modern und gestalterisch sein.
Kinderoper „Brundibar“ in Saaz
Am 4. November 2010, zwei Tage nach Eröffnung der Ausstellung „Die Juden von Saaz“ im Saazer Regionalmuseum, lud der deutsche „Förderverein der Stadt Saaz|Žatec“ in das Stadttheater zur Aufführung der Kinderoper „Brundibár“. Sie wurde vom Kinderchor „Disman“ des tschechischen Rundfunks Prag vorgetragen und von den Zuschauern, darunter viele Kinder mit ihren Eltern, reichlich mit Ovationen bedacht. Der Erlös der Vorführung wurde für die Pflege des Jüdischen Friedhofs in Saaz gespendet.
Die Oper wurde 1938 von Hans Krása (1899-1944) nach einem Libretto von Adolf Hoffmeister komponiert. Da Krása von Mutterseite her Halbjude war, kam sie nicht mehr offiziell zur Aufführung − die Uraufführung fand 1941 heimlich im jüdischen Waisenhaus von Prag statt. Nach seiner Deportation ins Ghetto von Theresienstadt schrieb er die Noten noch einmal aus dem Gedächtnis nieder und und ließ das Werk dort von Kindern aufführen, um etwas Freude und „Normalität“ in das Ghettoleben zu bringen. Da laufend Kinder ausfielen, weil sie in KZs verschleppt wurden, mussten die Partien immer wieder neu besetzt werden.
„Brundibár“ wurde in Theresienstadt insgesamt 55 Mal gespielt. Hans Krása hat man in der Nacht zum 16. Oktober 1944 in einen Eisenbahnwaggon mit Ziel Auschwitz verfrachtet. Dort kam er als „älterer Mann“ sofort nach Ankunft in die Gaskammer.
Die Juden von Saaz
Von Otokar Löbl | Ansprache zur Ausstellung im Regionalmuseum Saaz von 2. November bis 31. Dezember 2010
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich heiße sie herzlich willkommen zur Ausstellung „Die Juden von Saaz“. Erlauben Sie mir bitte, einige kurze Erläuterungen zur Entstehung und Bestimmung dieser Ausstellung.
Ich bin hier in Saaz in den sechziger Jahren geboren und seit meiner Umsiedlung nach Deutschland im Jahre 1970, die nicht nur familiäre Gründe hatte, habe ich überwiegend gute Erinnerungen an meine Heimatstadt. Ich selbst betrachte mich als einen Patriot dieser schönen Stadt.
Jeder Mensch befasst sich ab einem bestimmten Alter mit seiner Herkunft und seinen Wurzeln. Das Schicksal meiner Eltern, genauso wie das des überwiegenden Teils der Bewohner dieser Stadt, war nicht einfach, sondern oft bewegt. Zwei Kriege und die anschließende kommunistische Diktatur hinterließen ihre Spuren. Ein Teil davon bekommt man als junger Mensch mit, aber viele Gespräche mit den Eltern gab es darüber eigentlich nicht. Die Gründe dafür sind von Familie zu Familie unterschiedlich.
Die Wurzeln meiner Mutter waren relativ einfach zu verfolgen. Ihre Verwandtschaft wurde aus dem von den Amerikanern besetzten Teil der Sudeten ziemlich undramatisch vertrieben. Problematisch wurde es mit den Vorfahren meines Vaters. Außer einer Schwester und zwei Cousins, die Europa 1937 rechtzeitig verlassen hatten, war von seiner Familie keine Spur mehr zu finden. Mein Vater starb, als ich 17 war; so erfuhr ich nicht viel von ihm, was mir heute sehr leid tut. Meine Großmutter ist hier in Saaz auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.
Aus persönlichen Gründen fing ich an, nachzuforschen, und vor mir öffnete sich eine zwar vergangene, aber doch neue Welt. Ich betrachte es als meine Pflicht, diese Erkenntnisse mit Ihnen zu teilen.
Denn wie ein bedeutender deutscher Historiker Johannes Droysen sagte: „Nicht die Vergangenheiten sind die Geschichte, sondern das Wissen des menschlichen Geistes von ihnen. Und dies Wissen ist die einzige Form, in der die Vergangenheiten unvergangen sind, in der die Vergangenheiten als in sich zusammenhängend und bedeutsam, als Geschichte erscheinen.“ Die Geschichte muss daher ständig ergänzt und manchmal sogar neu geschrieben werden. Am besten drückte dies Prof. PhDr. František Šmahel aus: „Die Geschichte wird immer neu geschrieben, denn sonst würde sie für uns als Bürger ihren Sinn verlieren. Es kann nämlich sein, ich will es nicht heraufbeschwören, dass man in der Geschichte und ihren Gestalten wieder seine Stärke sucht und dies ohne Rücksicht auf den Fortschritt der europäischen Integration. Die Geschichte als Wissenschaft sollte sich aber nicht durch nationale und religiöse Rücksichtnahmen binden. Auch wenn sie mit ihren Erkenntnissen manchmal verletzt.“
Aus diesem Grund habe ich mich zusammen mit unserem Verein und allen, die sich an dem Projekt „Die Juden von Saaz“ beteiligen, entschlossen, diese Ausstellung durchzuführen. Die Nachforschungen waren nicht einfach. Die meisten Juden aus dem Saazer Land leben entweder nicht mehr – denn sie überlebten den Holocaust nicht – oder sind in der ganzen Welt verstreut. Dasselbe gilt für die Urkunden und schriftliche Nachweise, die sich in unterschiedlichen Archiven befinden und noch nie gesichtet wurden.
Deswegen besuchten wir im Frühjahr dieses Jahres Saazer Juden, die in Israel leben, und befragten sie zu ihren Erinnerungen an Saaz. Ein Teil dieser Gespräche wird in dieser Ausstellung als Video vorgeführt. Aus dem umfangreichen Filmmaterial möchten wir einen Dokumentarfilm erstellen. Er soll auch die Luftbrücke Saaz–Tel Nof (Haifa) im Jahre 1948 zum Thema haben. Auch zu diesem Thema ist eine Ausstellung geplant.
Dank vieler hilfsbereiter Menschen, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde, ist es uns gelungen, genügend Material für diese Ausstellung zusammenzubringen. Ich versuchte, mich auf die Meilensteine der Geschichte der Juden in Saaz zu konzentrieren. Über manche Schicksale bekam ich auch fotografisches und urkundliches Material. Dies alles sind nur Splitter, aber ich hoffe dennoch, dass sie Ihnen das Leben der Saazer Juden näher bringen können.
Die Ausstellung ist aber nicht nur auf die Vergangenheit gerichtet. Ihre Aufgabe ist auch, dass sie eine Hilfe zur Verteidigung und Bewusstseinsbildung gegen den immer noch vorhandenen latenten Antisemitismus wird. Dieser entsteht vor allen durch Unkenntnis, Vorurteile und durch die falsche Auslegung der sogenannten „Auserwähltheit des jüdischen Volkes. Diese bedeuten aber in der jüdischen Religion an erster Linie die Verantwortungsübernahme für das eigene Leben und für die Handlungen gegenüber den Mitmenschen und Gott.
Der verbale Antisemitismus der Deutschen transformierte wie in Deutschland und Österreich, so auch in Saaz auf furchtbare Weise. Erst wurden die Juden aus der Gesellschaft ausgeschlossen und entrechtet, dann wurden sie ihrer materiellen Existenz beraubt und schließlich physisch vernichtet. Wir sollten uns immer das Bibelzitat vor den Augen halten: „Am Anfang war das Wort …“
Der radikale deutsche Antisemitismus hat seine Wurzel in Wien, wo Georg Ritter von Schönerer den Spruch prägte: „Religion ist einerlei, Rasse ist die Schweinerei“. In den Sudeten wurde schon 1919 eine radikale „Deutsche nationalsozialistische Arbeiterpartei“ (DNSAP) gegründet. Und dies schon Monate bevor der erfolgslose Maler von schlechten Ansichtskarten die NSDAP in München mitgründete. Diese sudetendeutsche Partei verfolgte in ihrem Programm eine klare und strenge antijüdische Richtung.
Der Antisemitismus war und ist kein Monopol der Deutschen. Er war auch in der ersten Tschechoslowakischen Republik verbreitet, wenn auch unter dem Tarnmantel der Vorwürfe, dass sich die Juden zur deutschen Kultur bekannten und überwiegend die deutsche Sprache benutzen. Letzteres wurde ihnen am meisten vorgehalten.
Ich hoffe, dass diese Ausstellung ein weiterer Schritt auf unserem „Saazer Weg“ ist, dass sie hilfreich ist für die Überwindung vieler Vorurteile gegenüber den Juden und einen Beitrag zur weiteren Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft in Saaz leistet.
Das nächste Ziel unseres Verein ist, in Zusammenarbeit mit dem Regionalmuseums und allen Bürgern dieser Stadt an einem eigene Standort eine ständige Ausstellung zur deutschen und jüdischen Geschichte der Stadt Saaz zu installieren. Wir hoffen, dass uns dies bis zum Jahre 2015 gelingt, in der die Stadt ihr 750jähriges Jubiläum der Erteilung der Stadtrechte durch König Otokar II. begeht.
Zum Schluss möchte ich mich bei allen Institutionen, Organisationen und Menschen bedanken, die diese Ausstellung ermöglicht haben, ins besonders bei dem Direktor des Museums in Saaz, Herrn Kopica und seinem Team, bei allen Angestellten des Prager jüdischen Museums, die mich sehr unterstützten. Weiters bei Herrn Mgr. Petr Šimaček, der leider heute nicht anwesend sein konnte, für seine Arbeit, Koordination und Betreuung des Projektes, bei der jüdischen Gemeinde Teplitz und beim Heimatkreis Saaz in Roth, der hier heute durch Frau Uta Reiff vertreten ist. Falls ich jemanden vergessen habe, bitte ich dies zu entschuldigen.
Morgen um 17.00 Uhr laden wir Sie herzlich zu einer Benefizvorstellung der Kinderoper Brundibar ein. Diese wurde zu ersten Mal im Ghetto Theresienstadt uraufgeführt. Der Erlös der Veranstaltung wird für die Revitalisierung des jüdischen Friedhofs in Saaz verwendet, der ein bedeutsames historischen Mahnmal werden soll.