Viele Nationen leben mit einer Wunde, die Ihnen zu schaffen macht – eine Wunde der Schande. Es sind dies Ereignisse, über die am Liebsten geschwiegen würde, die aber doch immer wieder zur Sprache kommen. In den USA ist dies der Vietnamkrieg, in Deutschland sind es die Kriegsverbrechen und die Judenvernichtung, in Frankreich die Kollaboration mit den Deutschen und der Algerienkrieg. Die Tschechen wurden nach der Wende mit der Vertreibung der Deutschen konfrontiert. Wir stellen heute ausnahmsweise einen Aufsatz vor, der nichts mit Saaz oder den Deutschen in Böhmen zu tun hat, aber doch beide, Tschechen und Deutsch-Böhmen angeht. Eine Deutsch-Französin schreibt darin über die „Algerische Wunde“. Sie zeigt, wie schwer es oft ist, die Wahrheit zu ertragen und dass es offensichtlich junge Leute braucht, um der Vergangenheit mutig ins Gesicht zu sehen.
Die Algerische Wunde
Von Cécile Calla | Süddeutschen Zeitung 27. Februar 2017
Cécile Calla war Korrespondentin der französischen Tageszeitung Le Monde und Chefredakteurin des deutsch-französischen Magazins ParisBerlin.
Es gibt derzeit eine Diskussion in Frankreich, die scheint in der deutschen Öffentlichkeit fast unbemerkt geblieben zu sein. Während eines Besuches in Algerien Mitte Februar bezeichnete der Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron die Kolonisierung als ein Verbrechen gegen die Menschheit und forderte, der französische Staat müsse sich dafür offiziell entschuldigen. Das rief Entrüstung im rechten Lager, Verwunderung bei den anderen Kandidaten für den Elysée-Palast und eine heftige Debatte quer durch die Medien aus. Man kann darüber streiten, ob dieser Begriff angemessen war, oder ob er dies heikle Thema nicht besser in Frankreich hätte ansprechen sollen. Dennoch war es mutig, denn damit hat er den Finger in eine der schmerzlichsten Wunden der französischen Nation gelegt. Die Kolonisierung und ihr Ende, der Algerienkrieg, gehören zu einer Vergangenheit, die noch nicht bewältigt ist.
Die Erinnerung daran schmerzt auch heute noch, weil Millionen Franzosen einen persönlichen Bezug zu der Geschichte haben, sei es durch ihre algerischen Wurzeln, ihre Erfahrung als Soldat oder weil sie als pied-noir (Franzosen aus Algerien) dort aufgewachsen sind. Es erklärt zum Teil die Spaltung der französischen Gesellschaft, die Ausschreitungen in den armen Banlieues, wo überdurchschnittlich viele Menschen aus dem Maghreb wohnen, und die autoritären Tendenzen, die besonders, aber nicht nur in der rechtsextremen Partei Front National aufscheinen. Mitte Februar waren wieder einige Vorstädte in Aufruhr, nachdem ein junger Schwarzer von der Polizei Anfang Februar schwer misshandelt worden war. Seit der Affäre, die Solidaritätsdemos in vielen Städten ausgelöst hat, stellt sich wieder die Frage nach dem Fortbestehen, wenn auch nur vereinzelt, eines postkolonialen Rassismus innerhalb Frankreichs.
Generationen französischer Kinder – und zu denen gehöre ich – wurde allzu lange eine einzige Perspektive vermittelt: die „Größe“ des französischen Kolonialreichs und die Vorzüge dieses „zivilisatorischen“ Prozesses für die Kolonien mit dem Aufbau von Infrastruktur, einer modernen Landwirtschaft, einem modernen Staatsapparat und anderem. Die dunklen Seiten, Massaker, Repression, Diskriminierung der dortigen Bevölkerung – alles Verstöße gegen die Menschenrechte – wurden kaum und nur am Rande erwähnt.
Befürworter eines französischen Algerien verhalfen dem Front National zu ersten Erfolgen
Von allen Kolonien hat Frankreich zu Algerien die emotionalste und zugleich schwierigste Beziehung. Algerien war nicht nur eine der ältesten Kolonien, 1848 bekam es den Status eines französischen Départements, es wurde auch sehr früh von Franzosen bewohnt. Etwa eine Million Franzosen lebten 1954 bei Ausbruch des Krieges in Algerien. Die Städte, Landschaften und Kultur prägten die Welt vieler Schriftsteller und Romane wie „Der Fremde“ von Albert Camus. Der Algerienkrieg und die Perspektive der Unabhängigkeit spaltete Frankreich, besiegelte das Ende der Vierten Republik und löste eine Gewaltwelle auf beide Seiten des Mittelmeeres aus. Die französische Armee und die Polizei scheuten nicht vor brutalen Methoden, auch der Folter zurück.
Auch das Ende des Konflikts war kein Ruhmesblatt. Ein Teil der frankreichtreuen Algerier, die in der französischen Armee dienten – die „Harkis“, wurde nach Frankreich in unwürdige Lager gebracht, während die anderen im Stich gelassen und oft von den Truppen der Nationalen Befreiungsfront (FLN) massakriert wurden. Etwa 800 .000 pieds noirs kehrten in ein überfordertes Mutterland zurück. Eine Amnestie wurde erlassen, mit der Folge, dass sich ein schamhaftes Schweigen für die zwei folgenden Jahrzehnte ausbreitete. Erst in den 1980er-Jahren, in denen der mit vielen Befürwortern eines französischen Algerien 1972 gegründete Front National seine ersten Wahlerfolge erlebte, schaffte sich diese Geschichte langsam einen Weg in das kollektive Bewusstsein.
Der entscheidende Schritt kam aber erst in den 1990er-Jahren, als sich viele Historiker mit dem Thema befassten. 1999 sprach die Assemblée Nationale zum ersten Mal offiziell von einem „Krieg“. Im Folgejahr löste das Geständnis eines ehemaligen Generals über die Praxis der Folter in der französischen Armee eine heftige Diskussion aus. Im vorigen September machte Präsident François Hollande offiziell die französischen Regierungen (und nicht den französischen Staat) verantwortlich für das tragische Schicksal der Harkis.
Der Prozess der Verdrängung lässt sich illustrieren am Beispiel der Nacht des 17. Oktober 1961. Die Pariser Polizei, die unter dem Befehl des Präfekten Maurice Papon (1998 für Verbrechen gegen die Menschheit während der deutschen Besatzung zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt) stand, schlug eine friedliche Versammlung von Algeriern, die trotz Ausgangssperre demonstrierten, blutig nieder. Es gab Tote, Verletzte, viele Verschwundene und Tausende Verhaftungen. Und das mitten in der Hauptstadt. Offiziell sprach die Polizei von sieben Toten, erst 1998 wurde die Zahl auf 32 korrigiert. Die endgültige Zahl, – manche Historiker sprechen von bis zu 200 Toten – bleibt umstritten. Trotzdem verschwand dieses Ereignis für mehr als 30 Jahre aus dem kollektiven Bewusstsein. Erst 1999 bezeichnete ein Pariser Gericht dieses Ereignis als Massaker, 2001 wurde von der Stadt Paris eine Gedenktafel auf der Brücke St. Michel eingeweiht.
Das rechtskonservative Lager kritisiert scharf die „Kultur der Reue“
Bis heute hat der französische Staat seine Verantwortung für dieses Massaker nicht anerkannt, Präsident Hollande erkannte 2012 nur die blutige Repression an. Wahrscheinlich wegen seines jungen Alters (39 Jahre) fühlt sich Macron nicht mehr an dieses Schweigen gebunden und kann solche Aussagen machen. Vielleicht dachte er auch an Deutschland, das als Vorbild für eine gelungene Auseinandersetzung mit seiner Nazivergangenheit gilt. Der Pro-Europäer Macron schien beeindruckt zu sein von der deutschen Gesellschaft, die trotz des Anschlags im Dezember standhaft blieb. Im rechtskonservativen Lager kritisiert man scharf diese „Kultur der Reue“. Vergangenen Herbst forderte der Kandidat der Konservativen, François Fillon, einen Geschichtsunterricht, der die „nationale Erzählung“ den kleinen Franzosen beibringt, damit sie einig und stolz auf ihr Land blicken können. Marine Le Pen, die derzeit in den Umfragen führt, würde es kaum besser formulieren.
Bleibt abzuwarten, ob die Franzosen tatsächlich weiter dieser Lektüre der Vergangenheit folgen möchten oder ob sie sich mutig ihrer Geschichte in allen Aspekten stellen wollen und dadurch mit mehr Vertrauen in die Gegenwart und Zukunft schauen. Anfang Mai wird Frankreich zeigen, wohin die Reise führt.
Hohe Wellen in Aussig
Ist das „Museum der Deutschen in den böhmischen Ländern“ in Gefahr? Eine spektakuläre Personalie sorgt für Aufregung / Direktorin entlassen
Redaktionelle Vorbemerkung: Im Zusammenhang mit dem geplanten Museum für deutsch-tschechisch-jüdische Kultur im Saazer Land haben wir auch über das Aussiger Projekt eines „Museums der Geschichte und Kultur der Deutschen in den böhmischen Ländern“ berichtet (Johannes von Saaz Museum – Die Planung geht voran). Vorausgegangen war ein Artikel zu diesem Thema von Luboš Palata (Symbol der Versöhnung). Wegen der großen Bedeutung des Aussiger Museumsprojekts für die deutsch-tschechische Versöhnung übernehmen wir hier mit freundlicher Genehmigung einen aktuellen Bericht aus dem Prager „Landesecho“, der Zeitung für die Deutschen in der Tschechischen Republik.
Von Alexandra Mostýn | LandesECHO 18. Dezember 2016
Ein Erdbeben mittleren Grades erschütterte vor knapp sechs Wochen die derzeitige Idylle des deutsch-tschechischen Verhältnisses: Am 1. November 2016 entließ der Verwaltungsrat des Aussiger Collegium Bohemicum dessen Direktorin Blanka Mouralová mit einer überwältigenden Mehrheit von 8 von 9 Stimmen. Die Sitzung an Allerheiligen war zwar kurzfristig einberufen worden. Doch schon am 15. September hatte der Aufsichtsrat des Collegium Bohemicum die Abberufung Mouralovás beschlossen und fünf Tage später an den Verwaltungsrat weitergegeben. Das, zumindest vorläufige, Ende der Ära Mouralová im Collegium Bohemicum, hat bislang vor allem eines bewirkt: Unsicherheit. Nicht nur in Aussig (Ústí nad Labem), sondern auch in Prag, Berlin und München. Denn das Collegium Bohemicum ist nicht nur irgendeine von vielen Institutionen, die sich den deutsch-tschechischen Beziehungen widmen. Es ist vor allem der Träger des international wohl größten und prestigeträchtigsten Projekts, mit dem die Tschechische Republik das 800-jährige Zusammenleben von Deutschen und Tschechen würdigen will: der lang geplanten Dauerausstellung der deutschsprachigen Bewohner der Böhmischen Länder im Aussiger Stadtmuseum.
„Ein Fragezeichen hängt über der Ausstellung“ titelte die tschechische Tageszeitung MF Dnes nach dem Sturz Mouralovás. Die Sudetendeutsche Zeitung faselte derweil von Kleingeistern in Aussig und fabulierte gar von einem „Aus für Aussig“. Der deutsche Historiker Werner Imhof kündigte sogar an, er werde nun die historischen Leihgaben, die er dem Aussiger Museum zur Verfügung gestellt hat, zurückfordern.
„All diese Spekulationen sind einfach Unsinn“, versucht der stellvertretende Kulturminister Vlastislav Ouroda, Mitglied des Verwaltungsrats des Collegium Bohemicum, die Wogen zu glätten. Schließlich, so Ouroda, wurden aufgrund dieses Projekts von der Europäischen Union im Jahre 2010 Fördermittel in Höhe von knapp 400 Millionen Kronen [knapp 15 Mio. Euro; Anm. d. Red.] zu Verfügung gestellt, die in die Renovierung des Aussiger Stadtmuseums flossen, das die Dauerausstellung beheimaten wird. „Diese Fördermittel würden wir zurückzahlen müssen, sollte die Ausstellung nicht realisiert werden“, erklärt Vlastislav Ouroda.
Dabei ist die Ausstellung selbst schon mehr oder weniger fertig. Und niemand, selbst ihre
Feinde, würde je bezweifeln, dass Blanka Mouralová nicht nur Herz und Seele, sondern auch das Gesicht der Ausstellung ist. Mit viel Energie und Herzblut hat sich die heute 42-jährige Mouralová in das Projekt gestürzt, seitdem sie 2007 vom Tschechischen Zentrum in Berlin nach Aussig übergesiedelt ist, um dort die Leitung des kurz zuvor gegründeten Collegium Bohemicum zu übernehmen. Dort hat sie es in den vergangenen Jahren geschafft, eine anfangs eher regional geplante Ausstellung zu einem internationalen Prestigeprojekt zu machen, einem tschechischen Partner des Sudetendeutschen Museums, das 2018 in München eröffnen soll.
800 Jahre in 20 Räumen
Gemeinsam mit ihrem Kollegen Jan Šicha ist sie auf der Jagd nach Exponaten Tausende von Kilometern gefahren, hat Hunderte von Zeitzeugen, Sammlern und Antiquariaten besucht. In einem in der tschechischen Museumsgeschichte einzigartigen Architekturwettbewerb, den das Collegium Bohemicum 2011 ausgeschrieben hatte, wurde dann die eigentliche Form bestimmt, die die Ausstellung in den oberen Stockwerken des Aussiger Stadtmuseums annehmen wird. In zwanzig Räumen, die über zwei Stockwerke reichen und mit einer Wendeltreppe miteinander verbunden sind, wird da die Geschichte der deutschsprachigen Bevölkerung im heutigen Tschechien dargestellt werden.
„Wir wollen das lange Zusammenleben zwischen Deutschen und Tschechen nicht auf die Konflikte des 20. Jahrhunderts reduzieren“, sagt Blanka Mouralová. Gleich am Anfang der Exposition wird daher anhand eines Films definiert, was einen Deutschen in Böhmen und Mähren eigentlich ausmachte: Sprache, Landschaft, Kultur. Aber auch dem deutschen Unternehmertum in Böhmen, Mähren und Schlesien ist ein eigener Raum gewidmet. Immerhin wurden im alten Österreich die meisten Patente gerade in den deutsch besiedelten Gebieten Böhmens und Mährens angemeldet, das nicht umsonst als das industrielle Herz der Monarchie galt. In fünf weiteren Räumen wird dann das kulturelle deutschsprachige Leben in fünf verschiedenen Städten thematisch dargestellt. Nicht fehlen darf natürlich eine komplett eingerichtete Wirtsstube im Stil des frühen 20. Jahrhunderts.
Ursprünglich war geplant, die Ausstellung schon 2012 zu eröffnen. Doch das scheiterte an
verschiedenen bürokratischen, baulichen und nicht zuletzt finanziellen Hürden. Da die EU-Fördermittel ausschließlich für den Umbau des Aussiger Stadtmuseums, einer 1876 im Neo-Renaissance-Stil erbauten Knabenschule, bestimmt waren, musste das Collegium Bohemicum seine Mittel selbst auftreiben. Zum einen, zum Beispiel für den Ankauf von Exponaten oder Rechten, erhielt es Unterstützung vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds oder dem Goethe-Institut. „Zwischen 2008 und 2014 ist es mir gelungen rund 100 Millionen Kronen [3,7 Mio. Euro] an Drittmitteln und Projektgeldern für das Collegium Bohemicum zu gewinnen, das damals mit einem Jahresetat von nur 400.000 Kronen wirtschaftete“, sagt Blanka Mouralová. Die Summe von 50,5 Millionen Kronen hatte die tschechische Regierung zudem noch der Ausstellung versprochen. Diese Gelder blieben bis Anfang dieses Jahres knapp zehn Jahre lang allerdings virtuell. Auch deswegen, weil es in den Jahren 2006 bis 2013 keine tschechische Regierung geschafft hat, die gesamte Legislaturperiode über im Amt zu bleiben, verzögerte sich die Auszahlung der versprochenen Gelder bis Mai dieses Jahres.
Mär vom Kulturkampf
Umso größer ist jetzt allerdings die Verwunderung, dass Blanka Mouralová gerade zu dem Zeitpunkt von ihrer Funktion abberufen wurde, als endlich alles in trockenen Tüchern zu liegen schien. Hat man ihr auf der Zielgerade ein Bein gestellt oder ist ihr selbst die Puste ausgegangen? „In dem Moment, in dem die Gelder in Sicht waren, hat das Aussiger Stadtmuseum begonnen, sich sehr aktiv für die Belange des Collegium Bohemicum zu interessieren. Ich hatte das Gefühl, man möchte da etwas finden“, sagt Mouralová.
So richtig überraschend kam das Aus für sie nicht. Schon im Sommer 2014 schrieb die MF Dnes, Mouralová habe mit Problemen zu kämpfen, weil die von ihr konzipierte Ausstellung nicht „pro-tschechisch“ genug war. Ein damaliges Aufsichtsratsmitglied, der Rechtsanwalt und Ex-Berater von Václav Klaus, Jaroslav Kuba, mache Druck auf Mouralová, weil ihm das Konzept der Ausstellung nicht tschechisch genug sei, zitierte die Zeitung eine nicht näher genannte Quelle aus dem tschechischen Außenministerium. Kuba, der 2014 für die rechtsextreme Partei des verurteilten Antisemiten Adam B. Bartoš „Nationale Demokratie“ für das Europaparlament kandidiert hat, gilt auch in Aussig als jemand, der in Bezug auf das Collegium Bohemicum Standpunkte vertrat, die aus der stalinistischen Zeit der frühen 1950er stammen könnten. Inzwischen ist er allerdings in keinem der Gremien des Collegium Bohemicum mehr vertreten.
„Die Behauptung, man sei gegen die Ausstellung, weil sie nicht tschechisch genug sei, wiederholt sich immer wieder“, sagt Kristina Kaiserová, Verwaltungsratsvorsitzende des Collegium Bohemicum. „Dabei wurde die inhaltliche Ausrichtung der Ausstellung von keinem der Gremien des Collegium Bohemicum je in Frage gestellt“, meint Kaiserová, die den Fachbereich slawisch-deutsche Studien an der Aussiger Universität leitet. Die promovierte Historikerin ist Gründungsmitglied der Gesellschaft für Geschichte der Deutschen in Böhmen, die neben der Aussiger Universität, dem Kulturministerium und der Stadt Aussig zu den vier Trägern des Collegium Bohemicum gehört. „Dass wir als Historiker uns hier an irgendeiner nationalistischen Propaganda gegen das Konzept des Collegium Bohemicum beteiligen würden, kann niemand ernsthaft glauben, der unsere Arbeit in diesem Bereich kennt“, sagt Kaiserová.
Als Verwaltungsratsvorsitzende des Collegium Bohemicum hat Kaiserová für die Abberufung Mouralovás gestimmt. „Ich möchte betonen, dass ich die Verdienste Blanka Mouralovás für die Dauerausstellung sehr schätze“, sagt Kaiserová. Doch die Ausstellung ist nur ein Standbein des Collegium Bohemicum, das nicht nur museumspädagogisch, sondern auch als eine wissenschaftliche Institution der deutsch-tschechischen Beziehungen wirken soll. Als solche vergibt das Collegium Bohemicum Promotionsstipendien, organisiert Konferenzen zu verschiedenen Punkten des deutsch-tschechischen Verhältnisses und schickt Zeitzeugen in Schulen. Nicht minder wichtig seien die kulturellen Veranstaltungen wie die „Tage der deutsch-tschechischen Kultur“, die jeden Herbst parallel im böhmisch-sächsischen Grenzgebiet stattfinden.
Fremde Stadt
„Die einzige Person, die öffentlich anzweifelt, dass Blanka Mouralová weiterhin für das Collegium Bohemicum arbeiten wird, ist Blanka Mouralová selbst“, sagt Kristina Kaiserová. Denn neben ihrem Vertrag als Direktorin hat sie, so Kaiserová, noch einen weiteren Arbeitsvertrag als Projektmanagerin des Collegium Bohemicum. „Dieser Vertrag ist noch gültig. Blanka Mouralová ist weiterhin in Vollzeit im Collegium Bohemicum angestellt, auch wenn sie derzeit im Mutterschutz ist“, sagt Kaiserová.
So richtig angekommen ist Blanka Mouralová in Aussig nie. „Ich hatte nie das Gefühl, dass dort überhaupt jemand meinen Enthusiasmus für das Projekt teilt oder gar verstand, warum ich dort war“, sagt sie. „Mir kam es immer so vor, als ob man von mir erwarte, es mir erst zu verdienen, überhaupt dort sein zu dürfen“, sagt sie. Einmal, als die Stadt über einen neuen Vertrag für das Collegium Bohemicum verhandelte, sei sie gar nicht zur Sitzung vorgelassen worden und musste auf dem Gang warten. „Ich fühlte mich teilweise von sämtlichen Informationen isoliert“, erinnert sie sich.
„Blanka Mouralová hat sich immer mehr in ihren eigenen Freundeskreis verschlossen und die Kommunikation nach außen vernachlässigt“, wirft ihr indes Kristina Kaiserová vor. „Das hat sich leider in der Wahrnehmung des Collegium Bohemicum durch einige Kollegen niedergeschlagen“, sagt Kaiserová, die meint, Mouralová habe auf viele arrogant gewirkt.
Dass Aussig Mouralová nicht aufgenommen habe, lehnt Kaiserová ab. Als 2014 eine Kontrolle des Höchsten Staatlichen Kontrollamts ernsthafte Fehler bei der Schöpfung staatlicher Zuschüsse feststellte, legte die Finanzdirektion dem Collegium Bohemicum eine Strafe in Höhe von 1,1 Millionen Kronen auf. „Die Stadt Aussig hat die Summe dann dem Collegium Bohemicum geliehen, damit es diese Sanktion überhaupt bezahlen kann. Wäre das nicht geschehen, wäre das Collegium Bohemicum heute im Konkurs“ sagt Kaiserová.
In seiner Pressemitteilung zur Abberufung Blanka Mouralovás erklärt der Verwaltungsrat, es habe ihre Kräfte überschritten, gleichzeitig die Ausstellung zusammenzubringen und das Collegium Bohemicum effektiv zu leiten. Letzteres bestätigt auch das tschechische Kulturministerium, das Blanka Mouralová vorwirft, es in einigen Fällen nicht geschafft zu haben, Fördergelder in voller Höhe zu schöpfen. Zudem wird sie kritisiert, seit zwei Jahren nicht mehr wirklich im Collegium Bohemicum präsent zu sein, seitdem sie 2014 eine leitende Stelle beim tschechischen Stasi-Archiv ÚSTR angenommen hat.
Türen bleiben offen
Bleibt natürlich die Frage, warum man bei einem so international wichtigen Projekt nicht einfach mehr Leute anstellt. Blanka Mouralová hat ihre Kompetenzen in der Konzeption und Durchführung des wichtigen Ausstellungsprojekts, das sie persönlich Bundespräsident Gauck vorgestellt hat, bewiesen. Es scheint, in Aussig ist es vor allem zu einem massiven Kommunikationsproblem gekommen.
Wichtig ist aber, wie es weitergeht. Im Januar 2016 wurde ein neuer Vertrag zwischen dem Collegium Bohemicum und seinen Trägern abgeschlossen, in dem sich die Stadt Aussig bereiterklärt, dem Collegium Bohemicum weiterhin unentgeltlich Büroräume im Stadtmuseum zur Verfügung zu stellen und sämtliche Nebenkosten zu tragen. Außerdem hat sich die Stadt verpflichtet, das Collegium Bohemicum jährlich mit Mitteln von bis zu 1,5 Millionen Kronen zu unterstützen. „Realistisch ist, dass die Dauerausstellung über die Geschichte der deutschsprachigen Bewohner der Böhmischen Länder Ende 2018 eröffnet wird“, sagt Kristina Kaiserová. Blanka Mouralová würde sie gerne weiterhin als Kuratorin der Ausstellung sehen, betont sie.
„Ich werde es mitüberlegen, es hängt sowohl davon ab, wer mein Nachfolger im Collegium Bohemicum wird und welche Bedingungen mir geboten werden“, wägt Blanka Mouralová noch ab. Das Angebot, die Ausstellung weiter zu betreuen ist jedenfalls kein Lippenbekenntnis, sagt der stellvertretende Kulturminister Vlastislav Ouroda: „Wenn Blanka Mouralová als Kuratorin ihr Werk zu seinem Höhepunkt bringen will, stehen ihr alle Türen offen. Und das ist keine leere Geste.“
„Nichts ist so unveränderlich wie die Veränderung“
Geschichte des Saazer Landes: der Film von Jörg-Peter Schilling
Saaz, 27. September 2016: an diesem Tag lud der Förderverein im Salon des Hotels Černý Orel (Schwarzer Adler) zur Vorführung eines Trailers des Films „Deutsche und Tschechen im Saazer Land“. Der Film ist Teil des Projekts „Johannes von Saaz Museum für deutsch-tschechisch-jüdische Kultur im Saazer Land“. Er soll in Deutschland und Tschechien als Unterrichtsmaterial dienen und auch im Fernsehen gezeigt werden. Erzählt wird darin die gemeinsame Geschichte von Tschechen und Deutschen in und um Saaz über tausend Jahre hinweg. Mitveranstalter waren der „Verein der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec“, das „Institut Ackermann aus Böhmen“ und das Filmstudio Sirius aus Meura/ Thüringen.
In seiner Begrüßung sprach der Stuttgarter Historiker Dr. Andreas Kalckhoff über den großen Wandel, den die böhmische Kultur im Laufe ihrer langen Geschichte erlebt hat:
„Viele Jahrhunderte haben verschiedene Sprachgemeinschaften, Religionen und Konfessionen hier zusammengelebt und zwar die meiste Zeit friedlich und zum gegenseitigen Nutzen. Sie haben gemeinsam eine böhmische Kultur geschaffen. Wie eigentlich alle Kulturen in Europa handelt es sich um eine Mischkultur, zu der verschiedene sprachliche, politische und religiöse Einflüsse beigetragen haben. Es gibt keine „völkischen“ Kulturen in Europa, sondern vielmehr eine abendländische Kultur mit verschiedenen regionalen Ausprägungen.“
„Unser Museum will vorführen, wie eine Gesellschaft im Laufe vieler Jahrhunderte über extreme politische, kulturelle und ideologische Veränderungen hinweg immer wieder zu sich selbst gefunden und sich mit ihren Nachbarn verständigt hat. Der Mensch lebt in der Gegenwart und überblickt dabei immer nur einige Jahrzehnte. Vieles, was er dabei erlebt, bleibt ihm unverständlich und macht ihm Angst. Schnelle politische, wirtschaftliche und technologische Veränderungen erfährt er oft als Bedrohung. Der Blick über einen längeren Zeitraum der Vergangenheit kann ihn mehr Gelassenheit im Umgang mit dem geschichtlichen Wandel lehren. Nichts ist so unveränderlich wie die Veränderung.“
Das Museum
Otokar Löbl, Vorsitzender des Fördervereins der Stadt Saaz|Žatec, gab danach einen Überblick über das Museumsprojekt. Sein Ziel sei es, die Geschichte der Region in all ihren kulturellen, religiösen, politischen und wirtschaftlichen Facetten darzubieten. Dabei solle nicht nur ein Stück europäische Geschichte abgebildet werden, man hoffe auch, damit ein historisches Modell für das künftige Zusammenleben der Völker in Europa zu liefern. Man wolle dabei aber keineswegs über die Schwierigkeiten und Brüche im multikulturellen Zusammenleben hinweggehen. So hätten Nationalismus und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert zu jener tiefgreifenden Krise geführt, die wir alle noch in Erinnerung haben. Ab 2017 würden wissenschaftliche Seminare das Museum inhaltlich vorbereiten.
Ing. Josef Žid äußerte sich anschließend im Namen des Ministeriums für Regionalentwicklung der Tschechischen Republik positiv zu diesem Vorhaben und sicherte die Unterstützung seiner Behörde zu. Er wies freilich daraufhin, dass weder die Stadt Saaz noch der tschechische Staat die Mittel hätten, solch ein Museum vollständig zu finanzieren. Die Finanzierung müsse deshalb von außen kommen, etwa von der EU oder privaten Sponsoren.
Der Film
Höhepunkt der Veranstaltung war die Vorführung eines Trailers zu dem Dokumentarfilm „Deutsche und Tschechen im Saazerland“, der nach einjähriger Recherche- und Drehzeit nun in mehreren Fassungen geschnitten wird. Jörg Schilling, der Leiter des Filmstudio Sirius, zeigte dabei Ausschnitte seines reichen Materials an Landschafts- und Architekturaufnahmen, an illustrativen Spielszenen und aktuellen Interviews mit tschechischen und deutschen Historikern. Drehbuch und Begleittexte entstanden in Zusammenarbeit mit dem Förderverein der Stadt Saaz|Žatec, als Regieassistent half Ing. Petr Šimáček, Vorsitzender des Vereins der Landsleute und Freunde der Stadt Žatec. Es wird am Ende mehrere Versionen des Films in unterschiedlicher Länge und jeweils in beiden Sprachen geben.
Das Publikum aus Pressevertretern, Stadtverordneten, Vertretern der jüdischen Gemeinde Teplitz, interessierten Bürgern und Freunden der Stadt Saaz nahmen die Präsentation mit Beifall auf und diskutierten anschließend lebhaft.
Weiterführende Information zum Museumsprojekt liefert ein Flyer des Fördervereins.
Johannes von Saaz Museum: der Flyer zum Projekt
Im Folgenden geben wir den Inhalt des aktuellen Flyers mit Information zum Projekt des Fördervereins „Johannes von Saaz Museum für deutsch-tschechisch-jüdische Kultur im Saazer Land“ wieder. Das originale Faltblatt kann in kleineren Mengen vom Förderverein in deutscher und tschechischer Sprache bezogen werden.
Investition in die Zukunft
Orte mit Vergangenheit haben eine bessere Zukunft. Einer Stadt mit Tradition traut man etwas zu, wirtschaftlich und kulturell. Historische Bauten machen sie attraktiv nicht nur für Touristen, sondern auch für Geschäftsleute und Kulturschaffende. Ein traditionsreiches Ambiente schafft Respekt, Vertrauen und Geborgenheit. Deshalb ist die Pflege der Vergangenheit eine lohnende Investition für jede Stadt, die wirtschaftlich erfolgreich sein will.
Museen, in denen das kulturelle Erbe selbstbewusst ausgestellt und liebevoll bewahrt wird, sind ein Magnet, der Menschen von weit her anzieht. Sie erklären, wie eine Stadt oder ein Land zu dem wurden, was sie sind und was sie sein wollen. Ein gutes Museum ist kein Platz, wo Geschichte begraben liegt, sondern ein Ort lebendigen Erinnerns.
Saaz und das Saazer Land
Saaz ist eine Stadt in Nordböhmen mit über tausendjähriger Geschichte. Auf dem Bergsporn über der Eger, wo heute die Brauerei steht, befand sich seit alters ein Siedlungsplatz. 1004 wird Saaz erstmals in einer Chronik erwähnt („Satzi“), als Kaiser Heinrich II. die tschechische Burg von einer polnischen Besatzung befreite. 1265 zur Königsstadt erhoben, war Saaz (Žatec) im Mittelalter eines der wichtigsten Verwaltungszentren im Königreich Böhmen. Bereits im 12. Jahrhundert begann im Laufe der europäischen Binnenwanderung der Zuzug von deutschen Händlern und Handwerkern, der im Folgenden weiter zunahm.
Anfang des 15. Jahrhunderts, zur Zeit des Johannes von Saaz, war Saaz eine gleichermaßen deutsch und tschechisch geprägte Sadt. Im Zuge der hussitischen Revolution, während der Saaz als „Sonne der Hussiten“ galt, nahm der tschechische Bevölkerungsanteil wieder zu, doch verließen am Ende des Dreißigjährigen Krieges viele tschechische und deutsche Protestanten Saaz, während deutsche Katholiken zuzogen. Im Laufe des 18./ 19. Jahrhundert wurde Saaz unter der Herrschaft der Habsburger zu einer überwiegend deutschen Stadt.
Ähnlich bewegt war die Geschichte der Juden in Saaz, die dort bis zu ihrer Verbannung aus den Königsstädten 1618 eine bedeutende Rolle spielten. Zwei Jahrhunderte überlebten sie danach in den Dörfern des Saazer Landes als Handwerker und Händler. Nach der Aufhebung der Verbannung im 19. Jahrhundert erlebte das Judentum in Saaz wirtschaftlich und kulturell noch einmal eine Blütezeit, von der stattliche Bürgerhäuser und eine prächtige Synagoge zeugen. Die grausamen Ereignisse infolge der Naziherrschaft machten sowohl dem jüdischen wie dem deutschen Leben in Saaz und im Saazer Land ein trauriges Ende.
Das Saazer Land stand nicht nur mit Bayern, sondern vor allem auch mit Sachsen in wirtschaftlichem und technologischem Austausch. Dazu kamen während der Reformationszeit rege geistig-religiöse Beziehungen. Das Luthertum erfuhr auch in Böhmen lebhaften Zuspruch, umgekehrt finden wir junge Leute aus Saaz an den Universitäten von Wittenberg und Leipzig. Später wurde Sachsen zur Zuflucht böhmischer Exulanten.
Wer ist Johannes von Saaz?
Johannes von Saaz, um 1350 geboren, ist ein Gelehrter aus Tepl, der seit 1383 in Saaz als Stadtschreiber belegt ist und danach auch Leiter der örtlichen Lateinschule war, der Vorläuferin des Gymnasiums. Seine Ausbildung führte ihn durch ganz Europa, und er verfügte danach über weitreichende Kontakte zur böhmischen und europäischen Geisteswelt.
Johannes gilt als hervorragender Repräsentant des Frühhumanismus. Das verdankt er vor allem seiner philosophischen Dichtung „Der Ackermann aus Böhmen“, dem frühesten neuhochdeutschen Literaturzeugnis. Darin bricht er mit dem mittelalterlichen Menschenbild, das Glückseligkeit nur im Jenseits verspricht, zugunsten der humanistischen Auffassung, dass auch im irdischen Leben Erfüllung zu finden sei. Dieser deutschsprachige Humanist in Böhmen eignet sich vorzüglich als Namenspatron für ein Museum, das die gemeinsame Geschichte von Tschechen und Deutschen in Saaz dokumentieren will. Seine freundschaftlichen Beziehungen zu jüdischen Gelehrten repräsentieren überdies die Verbundenheit des böhmischen Judentums mit dem europäischen Humanismus. Johannes von Saaz steht heute für ein Europa, in dem Verständigung auf der Basis humanistischen Denkens und kultureller Toleranz möglich ist.
Das Museum
Das Johannes von Saaz Museum für deutsch-tschechisch-jüdische Kultur im Saazer Land ist ein Projekt des deutschen Fördervereins für die Stadt Saaz| Žatec e. V. und des tschechischen Ackermann-aus-Böhmen-Instituts (Ústav Oráče z Čech). Sein Ziel ist es, die Geschichte der Region in all ihren kulturellen, religiösen, politischen und wirtschaftlichen Facetten mit modernsten museumstechnischen Mitteln zu repräsentieren. Es will damit nicht nur ein Stück europäische Geschichte abbilden, sondern ein historisches Modell für künftiges Zusammenleben in Europa liefern.
Dabei soll der kritische Blick nicht zu kurz kommen. Nicht nur die Vorteile, sondern auch die Schwierigkeiten, von denen die Geschichte über multikulturelles Zusammenleben zu berichten weiß, sollen ins Blickfeld rücken. Geschichte wird von Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen gemacht. Von diesen Menschen will das Museum erzählen.
Im Vorfeld des Projekts wurde 2014 eines Ausstellung über die Juden von Saaz realisiert, die in der Synagoge zu besichtigen ist. 2016 wurde vom Studio Sirius in Meura (Thüringen) ein Lehrfilm über die Geschichte des Saazer Landes gedreht, dessen Material auch für das Museum zur Verfügung stehen wird. Ab 2017 sollen wissenschaftliche Seminare das Museum vorbereiten.
Mit Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds
Kontakt und Spendenkonto:
otokar.löbl@t-online.de
Förderverein der Stadt Saaz| Žatec
IBAN: DE17510500150146048110
BIC|SWIFT: NASSDE55XXX
www.saaz.info
Botschafterbesuch in Saaz
Der israelische Botschafter Israels in Tschechien, Gary Koren, besuchte die Hopfenstadt Saaz | Žatec
Am Mittwoch, den 15. Juni 2016, stattete der Botschafter Israels in der Tschechischen Republik mit seinem Mitarbeiterstab der Stadt Saaz | Žatec einen Besuch ab. Die Bürgermeisterin, Senatorin Zdeňka Hamousová, begrüßte die Delegation auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorsts bei Saaz, von wo 1948 Flugzeuge zur militärischen Unterstützung des jungen Staates Israel starteten.
Höhepunkt des Stadtbesichtigung war außer der Synagoge und dem jüdischen Friedhof die historische „Prager Vorstadt“ in Saaz, wo sich früher zahlreiche Hopfenmagazine befanden und wo jetzt das größte Hopfenmuseum der Welt steht. Auch die Kunstgalerie in der Alten Mälzerei und der „Hopfen- und Biertempel“, eine gastronomische Attraktion in der „Prager Vorstadt“, waren Ziel des Besuchs.
Beim Empfang im Plenarsaal des Saazer Rathauses wurden die Gäste von der Stellvertretenden Bürgermeisterin Jana Nováková begrüßt. Der Botschafter würdigte in seiner Dankesrede die Bemühungen der Stadt um den Erhalt der historischen Bausubstanz und versprach seine Teilnahme am Saazer Hopfenfest (Docesna).
„Viele Städte in der Tschechischen Republik pflegen Kontakte mit dem Staat Israel, Saaz ist keine Ausnahme. Die Saazer Vereine dokumentieren die Geschichte der Juden von Saaz und die Schicksale der Saazer Juden zu Belehrung für die jüngere Generation. Auch danken wir dafür, dass mit der Luftbrücke Saaz-Haifa (Ekron) im Jahre 1948 ein wesentlicher Beitrag zur Gründung des Staates Israel von diesem Flugplatz in der damaligen Tschechoslowakei geleistet wurde. Ich war sehr froh, dass wir dieses Gelände des ehemaligen Flugplatzes besichtigen konnten, wo heute ein neues Industriegebiet entsteht. Ich wünsche der Stadt Saaz | Žatec, dass ihr die Aufnahme in die UNECSO-Liste der Weltdenkmäler gelingt. Sie ist eine schöne historische Stadt, und wir danken für den herzlichen Empfang“ , erklärte Botschafter Koren am Ende seines Besuches.
Bericht: Petr Šimáček, Andreas Kalckhoff
Sudetendeutsche Landsmannschaft verabschiedet sich endgültig vom Revanchismus
Sprecher Bernd Posselt setzt sich mit seinem Reformkurs durch
VON ANDREAS KALCKHOFF
Bereits vor ihrem traditionellen Pfingsttreffen 2015 hatten die Sudetendeutschen auf ihrer Bundesversammlung beschlossen, die „Wiedergewinnung der Heimat“ aus den Vereinszielen zu streichen. Eine überwältigende Mehrheit – fast 72 Prozent – hatten dafür gestimmt, doch eine lautstarke Minderheit protestierte wütend und focht die Abstimmung wegen eines Formfehlers an. Jetzt bestätigten die Delegierten der diesjährigen Versammlung die Satzungsänderung mit gleich hoher Stimmenzahl.
Bernd Posselt, langjähriger Europaabgeordneter und Motor der Erneuerungsbewegung bei den organisierten Sudetendeutschen, wurde mit 88 Prozent erneut an die Spitze des Vertriebenenverbandes gewählt. Er hatte zuvor seinen Reformkurs mit Blick auf die nächste Generation verteidigt, die es zu gewinnen gelte. Außerdem habe der Brückenschlag zum tschechischen Volk Priorität bei der landsmannschaftlichen Arbeit im 21. Jahrhundert.
Landsmannschaft im 21. Jahrhundert angekommen
Damit hat sich die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL) endgültig vom Revanchismus verabschiedet. Unter Revanchismus versteht man eine Politik der notfalls gewaltsamen Rückgewinnung verlorener Gebiete, wie sie Frankreich nach dem Verlust von Elsass-Lothringen 1871 gegen Deutschland betrieb. Zwar hatte die SL 1950 in einer Charta der deutschen Heimatvertriebenen auf Rache und Vergeltung verzichtet – als ob es tatsächlich ein Recht darauf gäbe –, aber ein göttliches Grundrecht auf Heimat deklariert, dessen mögliche Realisierung nebulös blieb.
Die SL wurde da schon deutlicher. Sie behauptete in § 3 ihrer Satzung nicht nur einen „Rechtsanspruch auf die Heimat“, sondern wollte auch „deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen“. Von Gewalt war auch dabei nicht die Rede, aber der Realitätssinn einer solchen Forderung stand doch arg in Frage. Wiedergewinnung durchsetzen – wie denn? Posselt hält denn diese Formulierungen jetzt auch für problematisch: sie könnten „missverstanden werden als Gebietsanspruch, als Wunsch nach Grenzänderung“. Und er fügt hinzu: „Das will doch kein Mensch, der bei Trost ist.“
Partnerschaftliche Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen
Dieser Absatz c in § 3 wurde nun endgültig gestrichen, ebenso die Forderung nach „Rückgabe bzw. gleichwertigem Ersatz oder Entschädigung des konfiszierten Eigentums der Sudetendeutschen“. Stattdessen seien „Völkermord, Vertreibungen, ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, menschen- und völkerrechtswidrige Enteignungen sowie Diskriminierungen weltweit zu ächten und dort, wo sie erfolgten, auf der Grundlage eines gerechten Ausgleiches zu heilen“. Nach wie vor bleibe es ein Ziel der SL, „zur Verständigung der Völker in Europa auf der Basis von Wahrheit und Recht, insbesondere zur Herstellung von partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen, beizutragen“.
In Prag wurde die geplante Satzungsänderung bereits 2015 freundlich aufgenommen. Außenminister Lubomír Zaorálek erklärte damals, die Entscheidung sei „eine der Voraussetzungen für eine Verbesserung der Beziehungen“ zu den Sudetendeutschen. Und einer seiner Vorgänger im Amt, Karel Schwarzenberg, forderte die Tschechen auf, nun „ihrerseits Zeichen zu setzen“.
Das Saazer Land wird zum Filmstar
Ein thüringisches Filmstudio widmet sich mit Unterstützung des Fördervereins der deutsch-tschechischen Geschichte in der ehemaligen Königsstadt Saaz und ihrem Umland ⋅ Namhafte Historiker, Archäologen, Volkskundler und Zeitzeugen beider Nationalitäten bringen ihr Wissen ein
Die erste Idee zu einem Film über das Saazer Land hatte Otto Liebert vom Heimatkreis Saaz. Er stellte den Kontakt zu Jörg-Peter Schilling her, der mit seinem Filmstudio Sirius 2005 einen Film über das „Riesengebirge – Die verlorene Heimat“ produziert hatte. Seit über zwanzig Jahren sind Jörg-Peter Schilling und Viola Scheler-Eckstein im Filmgeschäft. Der Firmensitz liegt im thüringischen Meura, Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Geschichte und Kultur, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Menschen beiderseits der deutsch-tschechischen Grenze zu dokumentieren ist eines ihrer Arbeitsbereiche.
Realisiert wird das Projekt nun mit organisatorischer und inhaltlicher Unterstützung des Fördervereins und der Stadt Saaz. Otokar Löbl und Petr Šimáček sind als Regieassistent und Organisator an der Herstellung beteiligt. Am Drehbuch für das Regisseur Schilling verantwortlich zeichnet, wirken Historiker, Archäologen, Volkskundler und Zeitzeugen aus Tschechien und Deutschland mit. Die Finanzierung tragen der Deutsch-tschechische Zukunftsfonds, die Bundesregierung (durch die Beauftragte für Kultur und Medien) und weitere Sponsoren.
Der Film mit dem Arbeitstitel „Die Geschichte der Deutschen und Tschechen im Saazer Land“ soll die wechselhafte Geschichte des Zusammenlebens von Tschechen und Deutschen in Saaz und dem ehemaliger Bezirk Saaz erzählen. Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, dass die Regionalgeschichte im Zusammenhang mit der europäischen Geschichte dargestellt wird. Nach einem Ausflug in die Frühgeschichte der Region beleuchtet der Film das Zusammenleben und Zusammenwirken der beider Nationalitäten seit dem 10. Jahrhundert. Eine wichtige Frage ist dabei, wann und warum die Deutschen in das tschechische Land kamen und welchen Nutzen sie selbst, aber auch die Fürsten, die sie ins Land holten, davon hatten. Neben den unvermeidlichen Konflikten soll vor allem aber auch das befruchtende Miteinander thematisiert werden.
Im Habsburger Reich des 19. Jahrhunderts nahm die Tragödie zwischen Deutschen und Tschechen ihren Anfang, als es nicht gelang, den Tschechen eine gleichberechtigte Stellung mit Deutschen und Ungarn zu verschaffen. In der Tschechoslowakischen Republik setzte sich dieser Streit unter umgekehrten Vorzeichen fort. Diesmal wurde den Deutschen eine gleichberechtigte Stellung verwehrt. Der völkische Nationalismus erreichte seinen Höhepunkt in Hitlers „Drittem Reich“, wo man die Slawen zu Menschen zweiter Klasse degradierte, und endete schließlich in der Vertreibung der Deutschen aus Böhmen.
Nach umfangreichen Recherchen beginnen die Dreharbeiten jetzt im März 2016. Als belebende Stilmittel sind nicht nur Interviews, sondern auch Spielszenen vorgesehen. Bis Ende des Jahres wird das Projekt, wenn alles gut geht, abgeschlossen sein. Dabei sollen drei Versionen geschnitten werden: ein tschechischer Fernsehfilm (45 Minuten), ein deutsch-tschechischer Bildungsfilm für Schulen (120 Minuten) und schließlich einzelne Epochendarstellungen, die dem geplanten Museum in Saaz für deutsch-tschechisch-jüdische Geschichte dienen sollen, einem weiteren Projekt des Fördervereins.
Quellen: 20. November 2015 / Förderverein der Stadt Saaz, Vorstand